BILDER IM KOPF

Jeder Mensch hat individuelle Bilder im Kopf. Vorstellungen, was richtig/falsch, gut/schlecht ist. Was andere (möglicherweise) denken, was sie motiviert. Etliche dieser Bilder lassen sich unter dem Begriff „Vorurteile“ zusammenfassen. Männer sind … Frauen sind … Borderliner sind …

Es braucht nicht viel, um abgestempelt zu werden als ….

Vor kurzem bin ich auch mit „Bildern im Kopf“ zu Borderline konfrontiert worden – aber auch mit dem ehrlichen Interesse, diese zu hinterfragen und abzugleichen. Eine echte Wohltat, Menschen zu treffen, die über den Tellerrand der Vorurteile hinausblicken auf das, was es ist.

Eines dieser Vorurteile lautet: „Borderliner sind eine Gefahr für andere und sich selbst“. Sind sie das wirklich? Oder präziser gefragt: Sind Borderliner gefährlicher für sich selbst und andere als Nicht-Borderliner? Wer richtet mehr Schaden in dieser Welt an? Bei Borderlinern kann Selbstverletzung vorkommen, aber wie viel (Selbst)Verletzung findet durch Nicht-Betroffene statt? Bislang habe ich keine Studie gefunden, die sich diesem Vergleich widmet, aber ich traf auf eine Menge Vorurteile der Ablehnung, Ausgrenzung, Stigmatisierung ….

Ich liebe es, Vorurteile zu hinterfragen.

Oder neue Perspektiven zu eröffnen, so wie diese:

Ich bin Borderlinerin. Mein emotionales Gleichgewicht ist nur bedingt „von allein stabil“, weshalb ich mir über die Jahre eine tägliche Routine der Psychohygiene angewöhnt habe um Schwankungen auszugleichen und mein inneres Gleichgewicht bewusst herzustellen. Mindestens eine Stunde pro Tag (in der Bahn, beim Waldspaziergang oder auch auf der Couch) widme ich mich dem Reflektieren meiner Erlebnisse in einer Art „Achtsamkeits-Meditation“. Was ist geschehen? Wie hat es auf mich gewirkt? Was habe ich gefühlt? Wie habe ich reagiert? Wie hat das wiederum aufs Umfeld gewirkt? Was will ich künftig anders machen?

Wie viele Nicht-Betroffene reflektieren täglich ihr Verhalten und dessen Auswirkungen?

Achtsamen Umgang mit anderen und sich selbst erlebe ich im Alltag eher selten. Wenn ich daran denke, wie häufig ich in Öffis angerempelt werde (obwohl ich nicht zu übersehen bin mit über 1,80 m), neige ich dazu, Achtsamkeit unter „ferner liefen“ abzulegen. Auch all die verletzenden Worte und geringschätzigen Blicke rundum … Respekt und Höflichkeit sind offenbar ebenso aus der Mode gekommen wie Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. 

Wie wäre der Alltag in einer achtsamen Gesellschaft, in der jeder Mensch sich täglich eine Stunde der Reflexion und Psychohygiene widmet? Eine kühne Spekulation von mir: Rücksichtlosigkeit wäre die Randerscheinung unter „ferner liefen“.

Oder im Sinne von „Henne oder Ei“ gedacht: Wie verbreitet wäre Borderline in einer achtsamen Gesellschaft, in der achtsame Menschen darauf achten, nicht übergriffig zu werden oder andere zu traumatisieren? Oder sie allein lassen mit Ereignissen, die sie nicht verarbeiten können? Wer sind die Täter? Wer die Opfer?

Rotieren die Bilder im Kopf?

Jeder, der schon mal mit Vorurteilen konfrontiert war, weiß aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, vorverurteilt zu werden und wie mühsam es ist, daran etwas zu ändern. Viele Jahre meines Lebens fühlte ich mich fehlerhaft, defekt, kaputt … dieses Gefühl hat eine Menge Schaden angerichtet. Ich frage mich, was alles hätte vermieden werden können ohne dieses Defekt-Gefühl? Wie viel schneller und einfacher wäre mein Heilungsprozess verlaufen? Hilfreich war es sicherlich nicht, vom Umfeld vermittelt zu bekommen „du bist fehlerhaft“.

Aber so sind sie, die Bilder im Kopf, omnipräsent und nur selten hinterfragt. Ebenso wie all die Informationen, mit denen wir tagtäglich über diverse (soziale) Medien berieselt werden und aus denen unsere Bilder im Kopf entstehen. Wie viel davon ist wahr? Was Fake? Ist die Welt wirklich jener Ort des Schreckens, die Menschheit ohne Zukunft, oder findet sich rund um das Faktenkorn eine Menge Fake-Spreu?

Fakt ist, dass negative Gedanken und Gefühle sich negativ auf die physische und psychische Gesundheit eines Menschen auswirken. Wir werden davon langfristig krank und sterben früher. Einen Menschen laufend mit dem Vorurteil „du bist fehlerhaft“ abzustempeln sollte – meiner Ansicht nach – ebenso wie Körperverletzung behandelt werden, denn es ist per se Seelenverletzung. Leider sind Narben auf der Seele weniger sichtbar als Narben an den Unterarmen. Über letztere verfüge ich nicht, weshalb ich auch schon mal skeptische Blicke ernte im Sinne von „Du bist wirklich Borderlinerin – ohne Narben?“ Wieder so ein Bild im Kopf. Tatsächlich gibt es weniger Borderliner, die sich selbst Schnittverletzungen zufügen als solche, die es nicht tun. Dieses Bild ist allerdings weniger weit verbreitet.

Die Fake-Spreu lässt sich mit gezieltem Hinterfragen und konsequenter Achtsamkeit vom Faktenkorn trennen. Mit ihr verschwinden dann auch einige Bilder im Kopf, entsteht Raum für neue Bilder, können Vorurteile durch Erfahrungswerte ersetzt werden. Natürlich ist das ein bewusster Prozess, anders als unbewusstes Reagieren anhand unreflektierter Bilder.

Aber wie bei allem im Leben, führt auch Übung zum Erfolg und zur Meisterschaft. Für mich sind meine täglichen Achtsamkeitsmeditationen ein integrierter Bestandteil meines Lebens, ein Automatismus, Routine. Ich komme gar nicht auf die Idee, einen Tag mal NICHT zu reflektieren. Vielleicht bin ich keine typische Borderlinerin, aber auch das ist nur ein Bild im Kopf.

Bild: pixabay.com

EIN LACHENDES UND EIN WEINENDES AUGE

… waren es, die mich gestern begleitet habe – und die (neuerliche) Erkenntnis, dass alles im Leben einen tieferen Sinn hat, der sich oft erst spät offenbart.

Begonnen hat es damit, dass ich mich für ehrenamtliche Einsätze als Hüttenwirtin gemeldet hatte. Gestern fand die „Einschulung“ vor Ort statt. Aufgrund der Bahnverbindungen reiste ich bereits am Vortag an, übernachtete im Tal und spazierte früh morgens gemütlich zum Treffpunkt bei der Talstation der (noch geschlossenen Bergbahn). Gleich daneben befindet sich ein Hotel, dessen Name mir irgendwie bekannt vorkam von dem Moment an, als ich die erste Info erhielt.

Allmählich dämmerte es mir, ich zählte 1 und 1 zusammen … Hotel mit diesem Namen + Talstation = ich hatte hier vor einigen Jahren mit meinem damaligen Partner einen Skiurlaub verbracht… und kaum noch eine Erinnerung daran. Nichts hatte einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Ganz anderes als gestern. Die überwältigende Bergkulisse mit den noch weißen Gipfeln, das Grün im Tal mit den bunten blühenden Tupfern, die vereinzelten Wolken, das zwitschern der Vögel, das Rauschen des Windes, die lebendige Landluft 😉 … oafoch nua schee (einfach nur schön). Ich fand mich im Gefühl der „Umarmung des Lebens“ wieder, erfüllt von Dankbarkeit, Zufriedenheit, Gelassenheit, Geborgenheit, mit mir selbst im Reinen – gestern.

Vor ein paar Jahren konnte ich all das nicht fühlen, nicht die Schönheit der Landschaft um mich herum wahrnehmen. Es zog an mir vorüber. Ich erlebte die Welt wie durch einen emotionsdämpfenden Nebel. Ich war da – und auch nicht. Ständig darauf fokussiert, das zu tun, was ich dachte, das andere von mir erwarteten. Keinen Fehler zu machen. „Normal“ zu sein. Perfekt zu Funktionieren. Das Erleben des Augenblicks musste dem Kontrollwahnsinn weichen. Nur kein falsches Wort, keine zeitverzögerte Antwort, keine unpassende Handlung. Meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche? Unwichtig! Erwartungshaltungen erfüllen war wichtiger. Mein Denken war ständig auf 120% unterwegs, für Fühlen blieb keine Zeit.

Gestern stand ich am Fuß jenes Berges, auf dem ich im Sommer einige Zeit als Hüttenwirtin dabei helfen werden, ein cooles, auf Eigenverantwortung und Gemeinschaftssinn basierendes Konzept der Bewirtschaftung umzusetzen – und ich fühlte, dass es gut werden wird. Spürte die positive Stimmung zwischen den Menschen, die an diesem Tag zum ersten Mal aufeinandertrafen und sich auf Anhieb in den Dienst der Sache stellten. Kein Ego, das in den Vordergrund drängte, stattdessen die Bereitschaft, gemeinsam zu tun. Einer der viel zu seltenen Momente, in denen Menschen einfach Menschen sind, ohne mehr sein zu wollen.

Mein weinendes Auge blickte zurück in die Vergangenheit auf all das, was ich nicht zuließ zu fühlen. Mein lachendes Auge blickte in die Runde und freute sich auf das Kommende.

Die eigenen Gefühle „auf Mute zu schalten“ um rein aus dem Kopf heraus zu leben, Empfindungen zu konstruieren und sich einzureden, etwas zu fühlen, das war mein „Kerker“, dem ich erst vor wenigen Jahren entronnen bin. Echte Gefühle empfand ich nur, wenn ich allein war. Schutz vor Verletzung? Ja, aber gleichzeitig mit meiner „Unangreifbarkeit“ wurde ich auch „nicht mehr greifbar“ für andere. Unverständlich. Anders. Suspekt. Dies war meine selbstgewählte emotionale Isolation. Was auf den ersten Blick gar nicht so schlimm anmuten mag (emotionale Unberührbarkeit), bedenkt man die Rücksichtslosigkeit, mit der man heutzutage leider allzu oft konfrontiert wird, ist in Wahrheit ein Gefängnis, dem zu viele nur auf eine, finale Weise entrinnen können.

Da ist es wieder, das traurige Auge, das sich wünscht, meine Worte würden all jene erreichen, die sich vor der Welt in den „sicheren“ emotionalen Kerker flüchten und könnten ihnen vermitteln, das es einen Ausweg gibt, der zurück in die Umarmung des Lebens führt und sie eben jenes auf eine Weise spüren lässt, von der sie möglicherweise geträumt haben, aber sie nicht für umsetzbar hielten… und dann rückt mein lachendes Auge in den Vordergrund, das voller Hoffnung nach vorne blickt und sieht, das DU in diesem Augenblick diese Zeilen liest, meine Worte ihren Weg zu DIR gefunden haben. Und wer weiß, vielleicht öffnen sie für DICH eine Tür zurück in die Umarmung des Lebens. Das wünsche ich DIR von ganzem Herzen.

Bild: pixabay.com

SCHULD UND SÜHNE

Wieder einmal konnte ich in der vergangenen Woche meinen Mund nicht halten. Oder besser: Meine Finger nicht von den Tasten fernhalten.

Was war geschehen?

„Zufällig“ geriet ich in eine Facebook-Diskussion zu einem heiklen Thema. Die ursprüngliche Fragestellung im Beitrag lautete in etwa so: „Sind Stalker einfach nur kranke Menschen? Oder steckt mehr dahinter? Wie denkt ihr darüber?“

Nun, wer die Facebook-Community kennt, kann sich nun lebhaft vorstellen, welche Art von Kommentaren folgten. Überwiegend war die Reaktion heftig, voller (Vor)Urteile und ebenso voller Überzeugung, damit richtig zu liegen. Schuld wurde zugewiesen und Sühne gefordert. Dazwischen fanden sich ein paar wenige, die vorsichtig darüber sinnierten, ob da nicht noch mehr sein könnte.

Ich konnte nicht anders. Es drängte mich, zu all diesen Stimmen und Meinungen meine eigene hinzuzufügen. Hier der Originaltext meines Kommentars:

„Wo verläuft die Grenze zwischen krank und normal? Das Verhalten eines Stalkers ist keineswegs in Ordnung.  Dennoch stellt sich die Frage: Warum wird jemand zum Stalker? Was ist im Vorfeld geschehen? Was braucht es, damit jemand sein eigenes Verhalten als übergriffig wahrnimmt und sich aktiv um eine Veränderung bemüht? Urteile sind schnell gefällt, aber was wird dadurch besser? Für mich ist das Thema vielschichtig. Krankheit? Persönlichkeitsstörung? Traumatisierter Mensch? Opfer? Niemand wird als Stalker geboren. Es gibt immer eine Geschichte unter der sichtbaren Oberfläche. Und es gibt immer Lösungen und Auswege, die damit beginnen, nicht zu urteilen, sondern zu verstehen.  Aber ich bin auch nicht „normal“. Ich bin Borderlinerin, also „krank“. Deshalb steht für mich die Frage im Vordergrund, was dieser Mensch braucht, um mit sich selbst und anderen respektvoll umgehen zu können. Wie gesagt, ich bin „krank“…“

Zugegeben, die Sätze gegen Ende sind provokativ ausgefallen – bewusst provokativ. Gerichtet an all jene „Gesunde“, die nur allzu rasch (ver)urteilen, ohne die ganze Geschichte zu kennen. Davon gibt es für meinen Geschmack immer noch zu viele. Anders formuliert: Die Anzahl der bewusst reflektierenden und nach Lösungen suchenden Menschen in unserer Gesellschaft bewegt sich nach wie vor in der Größenordnung von Minderheiten. Wieder so eine kleine Provokation. Mea culpa 😉

Dies hier soll kein Plädoyer „pro Stalking“ werden. Ganz und gar nicht.

Dies hier ist ein Plädoyer „zuerst verstehen, dann verändern“. Urteile bringen keine Lösungen. Urteile bringen Bestrafung, Ausgrenzung, Verstärkung des Problems etc. etc. etc. Wäre es anders, hätten Bestrafung schon längst zum Erfolg geführt. Immer wieder interessant, wie wenig lernbereit die Menschheit diesbezüglich ist (sowohl als Gesellschaft als auch als Individuen).

Dies ist ein Plädoyer, zusätzlich zu kurzfristigen Aktionen (im Sinne der Rechtslage) stets auch die langfristige, nachhaltige Perspektive einzubeziehen.

Dies ist ein Plädoyer dafür, Verantwortung für das eigene Handel zu übernehmen (auch wenn diese Handlungen nicht immer in Ordnung sind oder mitunter mit den Gesetzen in Konflikt stehen), die daraus entstehenden Konsequenzen zu akzeptieren, sich selbst die Frage zu stellen, ob man sich künftig an die geltenden Regeln der Gesellschaft, in der man lebt, halten möchte, und anschließend aktiv zu werden um das zu tun, was notwendig ist, um innerhalb der gesellschaftlich anerkannten Spielregeln gemäß den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zufrieden, respektvoll und achtsam leben zu können.

Ich empfehle, den obigen Satz mehrfach zu lesen. Was sich da lockig flockig in ein paar Zeilen unterbringen lässt, könnte ebenso gut einen ganzen Seminartag füllen, wenn es bis ins Detail durchdacht wird.

Ein Plädoyer, dessen Umsetzung eine Herausforderung ist. Auch an mich selbst. Ich nehme mich da keineswegs aus. In mir sind nach wie „Bewertungs- und Verurteilungsprogramme“ aus meiner Erziehung innerhalb einer Gesellschaft, die es nicht besser wusste – und offenbar bis heute nicht besser weiß.

Deshalb bin ich dankbar für Gelegenheiten wie die erwähnte Facebook-Diskussion, da sie mir die Möglichkeiten bieten, meine eigenen Denkprozesse zu reflektieren und neu zu kalibrieren. Kommentare wie den oberhalb stehenden schreibe ich als Denkanstoß für andere – und als Erinnerung an mich selbst. In alte Denkmuster zu verfallen, geschieht unglaublich schnell und vor allem lautlos. Da hilft nur Achtsamkeit.

Wie meine weise Lucy gerne zu sagen pflegte: „Stell dir einen dicken Baumstamm vor, der vor dir liegt und den du zersägen sollst. Einen tiefen Einschnitt gibt es bereits. Doch nun sollst du nur wenige Millimeter daneben das Sägeblatt neu ansetzen, weil der alte Schnitt nicht zum Ziel führt. Was wird geschehen? Zu Beginn wird das Sägeblatt immer wieder in die bereits vorhandene, tiefe Spur abrutschen. Es braucht Zeit, Geduld und Konzentration, um in der neuen Spur zu bleiben.“

(M)eine alte Spur heißt „Schuld und Sühne“.

(M)eine neue Spur trägt den Titel „Verständnis und Veränderung“.

Bin ich „krank“?

Nun, ich bin in meinem Denken und Fühlen [nicht] ganz alltäglich, folge meinem eigenen Weg und gehöre damit einer Minderheit in der Gesellschaft an. Es steht jedem frei, dies (oder mich) anders zu beurteilen.

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Ein Plädoyer des Herzens

Hast du schon einmal von John Forbes Nash jr. gehört? Das war ein amerikanischer Mathematiker, der von 1928 bis 2015 lebte. Für seinen Beitrag zur Spieltheorie bekam er 1994 den Nobelpreis verliehen. Ein außergewöhnlicher Mann. Vor allem wenn man bedenkt, dass er im Alter von 30 Jahren an paranoider Schizophrenie erkrankte. Da gab’s doch einen Film … richtig. „A beautiful mind“ basiert auf seiner Lebensgeschichte und wurde mehrfach Oscar-prämiert. Laut seiner Autobiografin sind zwar einige Details im Film frei erfunden, aber unverrückbare Eckpunkte wie seine Erkrankung oder mathemische Arbeit entsprechen der Realität.

Warum erzähle ich heute davon? Ganz einfach. Nach vor treffe ich auf viele Menschen, die eine ähnliche Erfahrung teilen: die Diagnose einer psychischen Erkrankung oder Persönlichkeitsstörung führt zu Vorurteilen, Ablehnung und Ausgrenzung. Bedauerlich, denn offenbar sind der Mangel an Verständnis, Respekt und Wertschätzung noch immer weit verbreitet. Fast zwangsläufig entwickeln die Betroffenen Strategien des Verbergens. Manchmal auch eine Form von Schamgefühl, nicht richtig zu „funktionieren“, zu versagen, lebensunfähig zu sein …

„Sei froh, dass man dir nicht ansieht, dass du Borderliner bist.“

Bei so einer Aussage krampft sich alles in mir zusammen. Was soll das heißen? Wie sieht ein durchschnittlicher Borderliner denn aus?

Wer mit einem Gipsbein durch die Gegend humpelt, kann die Geschichte dahinter erzählen ohne Ressentiments befürchten zu müssen. Wessen Seele leidet, sollte sich besser in Schweigen hüllen und seinen Schmerz hinter einer lächelnden Maske verbergen, um weiterhin als wertvolles Mitglied der Gesellschaft geschätzt zu werden? Echt jetzt?

Was mich an diesem – ich schalte mal meinen Zynismus weg – Mysterium am meisten ärgert, ist die Beobachtung, dass „Helden mit leichtem bis mittelschweren Knacks“ auf der Kinoleinwand und den Bildschirmen Hochkonjunktur feiern. Vom Schicksal gebeutelte Existenzen, tief gefallen, mit Problemen und Komplexen behaftet, von denen sie bei weitem nicht alle gelöst haben, aber das Herz am rechten Fleck, erobern sie die Gunst ihrer Fans in Scharen. Ich bin überzeugt, dass mir Diagnostiker zustimmen, dass man so ziemlich jedes psychische Krankheitsbild bei den diversen Film- und Serienhelden findet. Dennoch lieben wir sie. Können sie so annehmen, wie sie sind. Warum gelingt das nicht im realen Leben? Mit echten Menschen? Warum gibt es für fiktive Charaktere Verständnis, für tatsächliche hingegen Vorurteile?

Vor einigen Tagen sagte eine Frau nach einer Buchlesung zu mir: „Drei Burnouts – und du stehst vor uns als wäre das nie passiert.“ Ich korrigierte sie und meinte, es waren nur zwei, da mir kurz vor dem dritten die Kurskorrektur mit JAN/A gelungen war. Dennoch – es war nicht zu übersehen, wie irritiert sie davon war, dass ich nicht ihrem vorgefassten Bild einer Ausgebrannten bzw. Borderlinerin entsprach. Schließlich sagte ich zu ihr etwas in der Art von: „Genau deswegen stehe ich hier und mache das: weil ich nicht den Klischees entspreche. Weil ich damit Menschen aus ihrer starren Erwartungshaltung wachrütteln und zum Nachdenken bringen will.“

Ich bin nicht John Nash. Ich bin nur eine unbedeutende Stimme unter vielen, die sich auf einer langen Liste mit jenen Diagnosen und Symptomen einreiht, über die man allzu oft den Mantel des Schweigens ausbreitet: Borderline, PTBS, Depressionen, Schizophrenie, Bipolare Störung … 

Ich bin eine, die genug hat vom jahrelangen Schweigen und sagt: ich bin, was ich bin. Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch, bestrebt ein gutes Leben zu führen. Sehne mich wie andere nach Liebe, Geborgenheit und Anerkennung. Ja, ich bin Borderlinerin. Vielleicht nicht immer ganz pflegeleicht, aber wer ist das schon? Ablehnung schmerzt mich, Ausgrenzung noch viel mehr. Ich erwarte kein Mitleid, aber Wertschätzung; brauche keinen „Schongang“, sondern ehrliche Anerkennung. 

„Behandle einen anderen stets so, wie du selbst behandelt werden willst.“

Darum geht es. Nicht mehr und nicht weniger als Respekt und Achtsamkeit. Zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen, wechselseitig und auf Augenhöhe.

Das musste wieder einmal gesagt werden. Es müsste noch viel öfter gesagt werden, damit sich endlich etwas ändert. Die Zeit ist längst überfällig. Vieles muss neu gedacht werden. Unsere beschleunigte Arbeits- und Lebenswelt produziert Jahr für Jahr Menschen, die nicht mehr mithalten können; die an der Ignoranz und Intoleranz verzweifeln. Wenn ich mir die Weltwirtschaft anschaue, frage ich mich, wohin dieser Kurs führen wird und ob jeder Schritt vorwärts uns auch wirklich weiterbringt? Oder zurück, in eine Welt der rücksichtslosen Selbst- und Fremdausbeutung? Eine Gesellschaft, die viele ins stille Leiden drängt, anstatt eine helfende Hand zu reichen.

Wir könnten gemeinsam so vieles erreichen, wenn wir aufeinander zugehen, mit Offenheit und Verständnis, neugierig auf die Vielfalt, die das Leben erschaffen hat und täglich neu erschafft.

Ich bin nur eine unter vielen, doch heute erhebe ich meine Stimme zu einem Plädoyer für Achtsamkeit, Respekt und Wertschätzung, zu einem Plädoyer des Herzens.

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Lebst du bereits danach, hinterlass bitte ein Herz als sichtbares Zeichen für jene, die noch zögern, den Mantel des Schweigens abzuwerfen.

Zwei wie Hund und Katze …

… ein geflügeltes Wort aus der Umgangssprache für zwei, die nicht zusammen passen. Kennt jeder von uns. Manche verwenden es vielleicht sogar. Dennoch ist es eine bewiesene Lüge. Unzählige Bilder zeigen, dass es auch anders sein kann. Im Grunde kann alles anders sein.

Wie viele „Volksweisheiten“ oder Glaubenssätze übernehmen wir unreflektiert, hegen und pflegen sie unser Leben lang, geben sie an die nächste Generation weiter.  

Wie viele Wahrheiten glauben wir zu kennen, über andere und uns selbst.

Es gibt nur wenige verbriefte Wahrheiten, und selbst über die kann man philosophieren … was ich heute ausnahmsweise nicht vorhabe. Vielmehr geht es mir darum einen Denkanstoß zu geben, achtsam zu bleiben, zu hinterfragen und vorsichtig mit Vorurteilen und Zuschreibungen.

Hund und Katze müssen einander nicht zwangsläufig als Feinde begegnen.

Borderliner müssen nicht zwangsläufig beziehungsunfähig sein.

Nicht-Borderliner müssen nicht zwangsläufig die einfacheren Menschen sein.

In den vergangenen Tagen habe ich mich in einigen Foren bewegt und festgestellt, dass nach wie vor viele Menschen an den diversen Vorurteilen und Zuschreibungen leiden. Es scheint fast, als hätte das Leben (oder die Gesellschaft) ihnen einen Stempel verpasst, ein Etikett in der Art von: „Borderline – eh schon wissen …“

Tun wir das? Wissen wir? Was wissen wir?

Das jeder Mensch ein Individuum ist?

Das jede Persönlichkeit die Summe all ihrer Lebenserfahrungen ist?

Das keine zwei vollkommen gleich sind?

Das Hund und Katze beste Freunde sein können?

Bleib wachsam gegenüber Vorurteilen und Zuschreibungen. Mögen sie von außen kommen oder aus deinem Innersten, aus deiner Vergangenheit, aus dem, was andere dich einst lehrten, über dich und die Welt zu denken.

Bleib wachsam und erlaube dem Leben, dich jeden Tag aufs Neue zu überraschen; dir neue Ideen und Erkenntnisse zu bringen; deine Welt größer und bunter werden zu lassen.