JENSEITS DER ANGST

Vor einigen Tagen unternahm ich eine kleine Bergtour, wählte dafür eine beliebte Route zu einem Bergsee (siehe Bild). Im ersten Drittel der Strecke quert ein schmaler Pfad den Hang des Graukogels. Der Weg ist ungefähr 30 cm breit, voller Steine und Geröll, links geht steil nach oben, rechts steil nach unten. Zwar kein blanker Felsabhang, sondern mit Gras bewachsen, aber ob ich im Falle eines Sturzes Halt finden würde, möchte ich lieber nicht austesten.

Eine Passage wie diese löst in mir unmittelbar ein ungutes Gefühl aus. Man könnte es auch Angst nennen, mit leichten Panikspitzen. Schwindelfrei bin ich nicht, Höhenangst (oder besser: Abgrundangst) begleitet mich bereits mein ganzes Leben.

Was mache ich an diesem Ort?

Mich meiner Angst stellen und sie überwinden.

Von Tauchgängen in Haifischkäfigen als Mittel zur Angstüberwindung halte ich persönlich nicht viel. Es gibt weniger dramatische Aktionen, die den gleichen Effekt erzielen. Eine für mich gut funktionierende sind eben solche Bergtouren.

Kurze Anmerkung für potenzielle Nachahmer: Bitte nicht im Alleingang! Und schon gar nicht ohne Vorbereitung! Ich mache das seit vielen Jahren und habe eine gewisse Routine. Außerdem prüfe ich im Vorfeld, ob meine körperliche Fitness an diesem Tag so eine Tour erlaubt und bin entsprechend ausgerüstet.

Zurück zu meinen Schritten auf dem schmalen Pfad. Zittrige Knie mahnen mich zur Achtsamkeit, das Gelände zu Respekt. Meine Aufmerksamkeit ist vollkommen auf das gerichtet, was ich tue. Für Angstgefühle oder störenden Brain Traffic im Sinne von Zweifel, negativen Gedanken und dergleichen, bleibt kein Raum. Ich bin völlig in der Gegenwart mit meinem Bewusstsein. Meine Angst ist eine Stimme aus der Vergangenheit, eine Mahnerin. Doch in diesem Augenblick fehl am Platz.

Gebranntes Kind scheut das Feuer.

Angst wird meistens erlernt. Oder übernommen. Meine Mutter ist ein sehr ängstlicher Mensch. Als Kind „infizierte“ sich mich mit ihrer Angst vor giftigen Pilzen. Es dauerte Jahrzehnte, bis ich es wagte, selbst gepflückte Schwammerl zu essen. Ein harmloses Beispiel, doch es gibt etliche andere, die zu persönlich sind, um sie hier zu erläutern.

Viele Jahre versuchte ich, die Ursache meiner Ängste zu identifizieren und zu neutralisieren. Irgendwann erkannte ich, das mit jeder neuen Erkenntnis neue Unklarheiten auftauchten, und meine Suche niemals abgeschlossen sein würde innerhalb meiner zu erwartenden Lebensspanne. Solange die Ängste auf ein erlebtes Ereignis zurückgeführt werden konnten, bestand noch Aussicht auf Erfolg, aber sobald es sich um übernommene Ängste (Stichwort: Schwammerl) handelte, wurde es eine Never Ending Story. Also entschloss ich mich, die Suche zu beenden und konzentriere mich seither darauf, mit dem umzugehen, was auftaucht. Auch mit meinen Ängsten.

Woher die Angst auf dem schmalen Pfad kommt? Warum taucht sie immer wieder auf, trotz mehrfach „Begehung schmaler Pfade“? Ehrlich: Keine Ahnung!

Für mich war diese Bergtour eine gute Gelegenheit, den Umgang mit meiner (unangebrachten) Angst zu trainieren für die wirklich wichtigen Herausforderungen: Das Zusammenleben mit Menschen.

Ganz ehrlich – in unserer heutigen Zeit gibt es eine nahezu omnipräsente Angst in der Gesellschaft, und die hat nichts mit steilen Berghängen, Schwammerl, Monstern oder dergleichen zu tun, sondern mit einer kleinen Frage: Bin ich gut genug?

Die Angst, nicht gut genug zu sein, gleich in welchem Bereich des Lebens, im äußeren Erscheinungsbild oder worin auch immer Menschen sich vergleichen, diese Angst richtet unglaublich viel Schaden an, löst Stress aus, fördert Konflikte, bringt Menschen dazu, verrückte Dinge zu und sich selbst sprichwörtlich fertig zu machen.

Die Angst, nicht gut genug zu sein, ist aus meiner Sicht eine der ganz großen Herausforderungen des Menschseins.

Bin ich gut genug, sicher auf einem schmalen Bergweg zu wandern? Ja!

Bin ich gut genug, dem Urteil anderer Menschen standzuhalten und als liebenswert, attraktiv … eingestuft zu werden? Niemand hat das Recht über mich zu urteilen!

Während einer Bergtour zu stürzen und sich einen Arm oder ein Bein zu brechen, tut weh, doch dieser Schmerz vergeht nach einer Weile.

Von einem anderen Menschen durch Worte, Blicke oder Taten verletzt zu werden, dieser Schmerz sticht mitunter bis ans Lebensende. Mit einiger Mühe kann man vielleicht die Worte „vergessen“, doch das Gefühl bleibt bestehen: ich bin nicht gut genug. Der Nährboden für Versagensängste.

Es gibt viele Arten von Ängsten. Manche sind überlebenswichtig für uns, denn sie beschützen uns davor, einfach mal aus dem Fenster zu springen, um Fliegen zu üben. Andere blockieren uns, halten uns davon ab, das zu tun, was wir gerne tun möchten, aus Angst heraus, zu versagen. Und sei es nur bei einem Gespräch mit einem anderen.

Meine Bergtour war eine wunderbare Gelegenheit, mich bewusst mit meinen Ängsten zu befassen, zu hinterfragen, ob die Angst in diesem Augenblick eine lebensschützende Mahnerin oder ein Echo aus meiner Vergangenheit ist, dass ich liebevoll, aber bestimmt, zur Seite schiebe, um mich mit Achtsamkeit der Gegenwart zuzuwenden.

Jenseits der Angst, am Höhepunkt meiner Tour, saß ich gelassen an einem wunderschönen Bergsee, ließ die Sonne meinen Rücken wärmen, und wurde mit einer weiteren Erkenntnis (oder Auflösung einer übernommenen Angst vor großen Tieren, weil nie wirklich damit in Kontakt gekommen) belohnt, als die Kuh (rechts im Bild) meine Nähe suchte und ihre Reibeisenzunge über meinen Rücken schleckte… aber das ist eine andere Geschichte.

KAUM ZU GLAUBEN …

… aber wahr ist folgende Geschichte, die sich vor wenigen Tagen in meinem Leben zugetragen hat: Ich flog absolut entspannt Richtung Süden. Das wäre an sich noch nichts Besonderes, wenn ich mich nicht seit gut zwei Jahrzehnten mit Flugangst rumgeschlagen hatte. Panik bereits beim Betreten eines Flugzeugs war meine Realität. Was hatte ich nichts alles ausprobiert … von Entspannungsübungen über eine Art von „Hypnose light“ bis hin zu Valium. Letzteres half tatsächlich, um halbwegs ruhig (weil zugedröhnt) einen Flug zu überstehen.

Kurz gesagt: ich mied Flugreisen wo möglich.

Das war nicht immer so gewesen. Vor oben erwähnten zwei Jahrzehnte flog ich gerne. Selbst Turbulenzen machten mir nichts aus. Bis zur Geburt meines Sohnes. Danach wurden Flugreisen zum Horror für mich. Lange Zeit ging ich davon aus, die Komplikationen bei der Geburt hätten sich in mein Körpergedächtnis negativ eingeprägt und würden durch die Beschleunigung beim Start getriggert, was zu Panikattacken und Fluchtreaktionen führte. Entsprechend versuchte ich, diesen Trigger zu deaktivieren, alternative Programme zu setzen etc. Ohne Erfolg. Valium half.

Als ich 2018 mit einer Arbeitskollegin auf Dienstreise geschickt wurde, war ich anfangs wenig begeistert, weil Flugreise. Erstaunlicherweise blieben die üblichen negativen Gefühle, Ängste etc. aus. Ich ging davon aus, die intensiven Gespräche mit meiner Kollegin hätten mich wohl derart abgelenkt, dass ich keine Zeit für den Horrortrip hatte. Glück gehabt. Entsprechend nervös war ich nun bei der Vorstellung, allein – also ohne Kollegin oder sonstiger Begleitung – nach Griechenland zu düsen.

Dann geschah das zuvor Unvorstellbare: Ich döste friedlich den ganzen Flug über, inklusive Start und Landung! Ohne Valium oder sonstige Beruhigungsmittel, Drogen oder was man sonst noch verwenden könnte.

Am Strand liegend sinnierte ich, was diese für mich positive Veränderung verursacht haben könnte – und gelangte zu einem plausiblen, aber dennoch schier unglaublichen Schluss: Der Hauptstressor jener zwei Jahrzehnte war nicht mehr vorhanden. Sprich: mein Ex-Partner. Offenbar hatte mein teilweise bewusstes, teilweise unbewusstes Streben danach, dem zu entsprechen, was er von mir erwartete bzw. was ich annahm, dass ich sein sollte, damit unsere Beziehung harmonisch verlaufen konnte, derart viel Anspannung und Druck in mir aufgebaut, das an sich Harmloses wie ein Flug in mir emotionales Chaos bis hin zur Panik auslöste. Eine weitere (oder ergänzende) Möglichkeit ist jene, dass ich SEINE verdrängte Flugangst wahrnahm und für ihn auslebte. Als Projektionsfläche für seine negativen Stimmungen bis hin zu Depressionen hatte ich mich ja zur Verfügung gestellt, um mein ungelöstes Helfersyndrom zu befriedigen. Frei nach dem Motto: Rette alle anderen und gleich die ganze Welt, nur um dich nicht mit deinen eigenen Problemen zu befassen.

Als nächstes wurde mir bewusst, was ich (zusätzlich zu meiner Flugangst) noch so nebenbei verloren hatte: Lebensmittelunverträglichkeiten, brüchige Fingernägel … all das verschwand in den Monaten nach der Trennung, OHNE meine Ernährungsgewohnheiten umzustellen, irgendwelche Nahrungsergänzungsmittel zu verwenden oder ähnliches. Selbst mein Hautteint hat sich verändert (was auch meine Friseurin festgestellt hat, da dieser nun besser mit der von mir gewählten Haarfarbe harmoniert). All dies, weil der Hauptstressor wegfiel?

Stress kann vielfältige psychische und physische Probleme auslösen. Dauerstress wirkt toxisch. Aber dass die Auswirkungen derart heftig sein können, hat mich überrascht. Doch mangels einer besseren Erklärung, staune ich also über die gefunden und nehme die positiven Veränderungen dankbar an.

Ich hatte während meines einwöchigen Ausstiegs aus meiner gewohnten Lebensroutine, fernab von Touristenhochburgen, inmitten paradiesisch anmutender Natur, reichlich Zeit, mich selbst zu reflektieren und meine Gefühlswelt zu erspüren. Dabei entdeckte ich für mich einige äußerst interessante Punkte, die sich zurück in meiner Lebensroutine zu etablieren beginnen und sicherlich in meine nächsten Beiträge einfließen werden. Eines kann ich jedoch schon jetzt aus voller Überzeugung sagen:

Jede Minute, die man dafür verwendet, sich voll und ganz mit den eigenen großen Lebensthemen zu befassen, ist bestens investiert. Kaum zu glauben, aber wahr 😉

Bild: pixabay.com