NEUE (GEDANKEN)WEGE

Es verblüfft mich nach wie vor, welch immensen Einfluss die Körperchemie auf mein Denken hat(te). Der Mangel an Vitaminen und Hormonen warf mich in eine düstere Gedanken- und Gefühlswelt wie selten zuvor. Kaum fülle ich meine Speicher im Körper mit den fehlenden Mikronährstoffen wieder auf, erhebt sich mein eigentliches Ich aus der Versenkungen … im wahrsten Sinne des Wortes 😉

Mein Blick dringt wieder tief unter die Oberfläche des Offensichtlichen. Möglichst viel Zeit in der freien Natur zu verbringen, tut das ihre dazu. Noch dazu wandle ich vermehrt auf mir bis dato unbekannten Wegen, was den Effekt der „neuen Wege“ verstärkt und mich zudem jedes Mal ein kleines Abenteuer im Alltag erleben lässt. Vor einigen Tage schnappte ich während einer Doku über die Entwicklung der Menschheit sinngemäß folgendes Satz auf:

„Uns Menschen eigen ist der Entdeckergeist, über den Horizont hinaus zu blicken und erkunden zu wollen, was sich dort verbirgt.“

Dem kann ich voll und ganz zustimmen und ergänzen:

„Auch über den (eigenen) geistigen Horizont hinauszublicken und in sich hinein um zu erkunden, was in uns schlummert und darauf wartet, entdeckt und gelebt zu werden.“

Ein Plädoyer für die Reise zu sich selbst. Das größte Abenteuer, dem sich ein Mensch stellen kann, den kein Abgrund ist so tief wie jener der eigenen Seele, kein Schrecken größer als die Furcht im eigenen Herzen. Nichts erfordert mehr Mut, als sich seinen eigenen Ängsten zu stellen. Nichts bringt einen weiter, als die eigenen inneren Konflikte zu lösen und die Wunden in der Seele zu heilen.

Das klingt doch schon wieder ganz nach der gewohnt lebensphilosophischen Lesley 😉 … und doch auch anders. Jede Krise trägt in sich das Potenzial von Veränderung und damit Entwicklung. Meine „Körperchemie-Krise“ ließ mich einiges überdenken, titelgebenden neue (Gedanken-)Wege einschlagen.

Es scheint sogar, als hätten sich meine empathischen Fähigkeiten verstärkt – zumindest habe ich das Gefühl, als würde ich Menschen noch intensiver wahrnehmen als zuvor (oder zuletzt). Vor ein paar Tagen hat das einiges an „innerer Gleichgewichtsstörung“ bei mir ausgelöst, aber mittlerweile – in der Ruhe der Bergwelt angekommen – pendelt sich das wieder ein und ich kann gelassen mit dem umgehen, was meine empathischen Antennen auffangen, wenn ich sie auf eine Person richte. Mir ist natürlich klar, dass ich – was auch immer ich auffangen – nur das verstehen und interpretieren kann, was auch in mir selbst vorhanden ist, sprich: wo ich in Resonanz gehen. Insofern wird das Außen zum bewusst erlebten Spiegel meines Innenlebens. Bewusst erlebt deshalb, weil es eigentlich bei jedem Menschen so ist, aber viele realisieren nicht, das sie im Leben stets auf sich selbst treffen 😉

However, kurz nach Sonnenaufgang waren meine Antennen ausgerichtet und fingen etwas auf, das mich auch etwas über mich selbst erkennen ließ:

„Um Liebe geben zu können, muss zuerst der eigene Schmerz geheilt sein. Jemand zu lieben bedeutet nicht gleichzeitig auch Liebe zu geben. Diesen Unterschied zu verstehen hat bei mir lange gedauert, aber es gibt ihn. Es ist der Schritt aus dem „Ich“ heraus ins „Du“. Jener Schritt, nicht nur zu fühlen, sondern dieses Gefühl (der Liebe) auch zu schenken. Dein Denken mag sich jetzt vielleicht die Stirn runzeln über diese scheinbare Wortklauberei, aber wenn du deine Augen schließt und in dein Herz hineinhorchst, wird sich dir der Unterschied allmählich offenbaren.

Das Leben legt dir all das auf deinen Weg, was deine Seele braucht um heil zu werden. Woher das Leben weiß, was du brauchst? Es fragt deine Seele.

Du musst nicht perfekt sein, um Liebe zu bekommen. Du musst auch nichts im Gegenzug erbringen. Du darfst sie einfach annehmen und damit den ersten Schritt der Heilung tun. Das macht dich weder größer noch kleiner, weder stärker noch schwächer, sondern schlichtweg lebendiger, denn du umarmst das Leben.“

Was bleibt noch hinzuzufügen?

Von meiner Seite aus ein Hauch dessen, was sich vor meinem Fenster zeigt, während ich diese Zeilen tippe: ein weit entfernter Horizont, hinter dem zu Entdeckendes auf mich wartet – ein Spiegel dessen, was in mir ist.

ABGRUND ODER WENDEPUNKT?

„Ganz gleich, wie tief und düster jener Abgrund erscheint, in den wir stürzen, er ist stets auch ein Teil von uns und somit innerhalb unserer eigenen Grenzen, niemals grenzenlos. In diesem Abgrund können wir finden, was mit uns dorthin stürzte, oder was wir in die Dunkelheit verbannten – was auch immer es ist, es ist ein Teil von uns und wird dies stets bleiben, ob wir dem zustimmen oder nicht, ob wir uns daran erinnern (wollen) oder nicht. Wir können etwas aus der Dunkelheit zurückholen, es im Licht der Gegenwart neu betrachten, vielleicht etwas erkennen, verstehen, lernen, uns weiterentwickeln … alles, absolut alles auf unserem Lebensweg trägt in sich das Potenzial uns im Leben weiterzubringen … in welche Richtung, das entscheiden wir selbst.“

Der Tiefpunkt meiner Depression liegt hinter mir. Leichtigkeit und Lebensfreude beginnen mich wieder zu bestimmen. Meinen Gedanken stranden nicht länger in der problemfokussierten Sackgasse, sondern entdecken Chancen, Möglichkeiten, Lösungen … ich fühle mich überwiegend wieder wie ich selbst. Noch ein wenig müde, Energielevel deutlich unter 100%, aber der Kurs stimmt und mich ein wenig in Geduld zu üben kann auch nicht verkehrt sein. Wer jetzt achtsam liest, erkennt selbstredend meinen Programmfehler (… kann nicht …), der ich gleich mal umschreibe: mich ein wenig in Geduld zu üben bringt zusätzlichen Benefit.

Spielerische Selbstironie 😉

Faszinierend, wie rasch dieser Wandel sich entstellt. Beruhigend, dass all die hochdosierten Vitamine & Co auch Wirkung zeigen. Meine Bereitschaft, diesen Prozess anzunehmen und bewusst zu durchleben, hat vermutlich auch einen Beitrag dazu geleistet. Ebenso wie mein Streben nach Struktur und Klarheit, wenn das Chaos mich zu verschlingen droht – und die Kommunikation aufrecht zu erhalten, auch wenn’s nicht leichtfällt. Reden hilft. In den vergangenen Tagen habe ich einige Feedbacks bekommen, die mich zwar im ersten Ansatz zum Schlucken gebracht haben, aber bei näherer Betrachtung durchaus nachvollziehbar waren.

Selbstfürsorge – ein Konzept, das mir von mehreren Menschen unabhängig voneinander nahegelegt wurde. Wohl nicht ganz zu Unrecht. Es besteht Optimierungspotenzial. Ab und zu bin – zugegeben – ziemlich selbstausbeuterisch unterwegs. Mitunter bin ich auch viel zu gutmütig, lasse zu, von anderen auf eine Weise behandelt zu werden, die nichts mit Wertschätzung zu tun hat. Ich halte es aus und die anderen – naja, sie wissen und können es halt nicht anders… spätestens hier leuchtet ab sofort ein Stoppschild auf. Schluss mit Gutmütigkeit. Wer sich daneben benimmt, bekommt das zu hören. Heiligenschein und endloser Geduldsfaden passen nicht zu mir.

Wie achtsam gehe ich mit mir selbst um, wenn ich zulasse, von anderen schlecht behandelt zu werden? Abgesehen davon, tut es auch den anderen nicht gut. Werden keine Grenzen aufgezeigt, setzen sie ihr Verhalten munter weiter fort. Warum sollte es auch verändert werden?  

Nur um eines klarzustellen: es geht dabei nicht um zufällige Begegnungen in den Öffis, um Zusammenarbeit im beruflichen Kontext oder dergleichen. Dort ist das alles kein Problem. Meine Mehr an Selbstfürsorge bezieht sich auf den engsten familiären Kreis, auf jenes Umfeld, in dem es meiner Erfahrung nach am schwierigsten fällt, sich selbst treu zu bleiben, gut auf sich selbst zu achten und sich abzugrenzen.

Nun ja, ich nahm einiges mit aus der Dunkelheit, das nun im Licht des Alltags auf meiner Agenda ganz oben steht. Vor mir liegt eine interessante Zeit, auf die ich mit einer gewissen Unruhe blicke. Diese Unruhe lässt sich weder in positiv noch negativ unterscheiden. Sie ist durchwachsen. Über ihr prangt in großen Lettern: Wenn du es nicht tust, weißt du nur eines mit Gewissheit – nichts wird sich ändern.

Will ich das? Soll alles bleiben, wie es war? Auch wenn es Hormone waren, die mich in den Abgrund in mir stürzen ließen, was ich dort vorfand, waren Gedanken, Verhaltensmuster, Erinnerungen, Unzufriedenheiten, Frustration, Enttäuschungen … einiges, das künftig anders werden darf und soll. Also gilt es, etwas zu verändern. Etwas anders zu tun. Von nichts kommt nichts. Oder anders gesagt: soll es anders werden, tu etwas anderes.

Apropos anderes tun: ich wandle auch seit kurzem auch auf anderen Wegen, entdecke mein Umland neu – und so manch wunderschöne Aussicht. Wie jene im Beitragsbild, nur rund 5.000 Schritte von meiner Wohnung entfernt: Wald, so weit das Blick reicht. Balsam für die Seele 😊

IM WÜRGEGRIFF DER DEPRESSION

Der Titel mag dramatisch klingen und auf düstere Schilderungen vorbereiten, doch tatsächlich geht es um Verständnis und Auswege.

Vor wenigen Tagen kam ich an einen Punkt, der dem Titel in jeder Weise gerecht wird: erschöpft, ständig müde, gleichzeitig keine Ruhe findend. Schlaf brachte keine Erholung mehr, ausgeruht fühlte ich mich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr. Antriebslos, lustlos, nichts hat noch Freude bereitet, weder im Job, noch Hobbies, auch nicht mehr kreativen Projekten, die seit Wochen mehr oder weniger im Dornröschenschlaf vor sich dahindämmern. Selbst meine Playlists funktionierten nicht mehr. Alles war nur noch dumpf – gleichzeitig fühlte ich mich häufig gereizt, angespannt, erdrückt, im Stich gelassen, allein. Im Job funktionierte ich wie gewohnt, allerdings auch bereits deutlich leistungseingeschränkt. Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnislücken. Zunehmend begann ich mich zurückzuziehen aus dem Alltag und vor allem von anderen Menschen. Das Verlassen der Wohnung wurde schwieriger, nicht nur morgens, auch für Spaziergänge am Wochenende. Ich begann mich in einem Schneckenhaus zu verschanzen.

Monatelang schob ich meinen Zustand auf die aktuellen familiären Herausforderungen in der Familie, auf die „Verpflichtung“ mich um meine Mutter zu kümmern, auf die schmerzhaften Erlebnisse meiner Kindheit. All dies reflektierte ich ausgiebig, holte mir therapeutische Begleitung, arbeitete intensiv daran … aber es veränderte NICHTS an meinem Zustand. Auf kurzzeitige Phasen voll positiver Aufbruchsstimmung folgte das nächste Tief.

Gefangen im Würgegriff der Depression.

Und dann geschah etwas unerwartetes. Für eine Vorsorgeuntersuchung ließ ich ein Blutbild machen. Der Befund sprach Bände, was meinen depressiven Zustand betraf: Mangel an Vitamin D3 und B12, Mangel an – oder besser gesagt: nahezu nicht mehr nachweisbar – Östrogen.

Ja, ich bin eine Frau in der Lebensmitte und durchlebe die damit verbundenen körperlichen Umstellungen.

Nein, ich verliere damit weder meine Weiblichkeit noch höre ich auf, Frau zu sein, nur weil mein Hormonhaushalt in eine andere Phase wechselt… nur falls jemand diesbezüglich noch veraltete Vorurteile im Kopf hat.

D3, B12 und Östrogen … jedes davon kann bei Mangelzuständen Auswirkungen auf die Psyche haben und u.a. Depressionen auslösen bzw. fördern. Was eine Kombination daraus bedeutet, durchlebe ich gerade. Es erklärt mir auch, warum alle meine mentalen Skills und über Jahre optimierten Tools nicht mehr nachhaltig greifen, sondern nur kurzzeitig wirken, warum meine intrinsische Lebensfreude wie erloschen scheint. Mentale Stärke produziert nun mal keine Hormone oder Vitamine (jedenfalls bin ich noch nicht auf dieser Entwicklungsstufe angelegt – sollte es sie überhaupt geben).

Oder anders gesagt: mit positivem Denken und mentaler Stärke habe ich mich (vermutlich) bereits seit Wochen „über Wasser gehalten“, während mein hormonelles Gleichgewicht sich weiter verschlechterte und der Vitaminmangel konstant wuchs. Bis zu dem Punkt, an dem gefühlt nichts mehr ging und ich unterging.

Die erste Reaktion meines Arztes nach der Diagnose Depression war – wie hätte es anders sein können – die Empfehlung von Antidepressiva, die ich dankend ablehnte. Ich setze auf die Einnahme von jenen Stoffen, die in meinem Körper fehlen, um die Depots wieder zu füllen bzw. das Gleichgewicht herzustellen. Mir ist bewusst, dass dies nicht über Nacht geschehen wird, da ich punkto Hormone auf die pflanzlichen Varianten setze. Vermutlich liegen einige Wochen vor mir, in denen ich mich nur langsam aus dem Würgegriff der Depression befreien werde, aber ich werde diesen Prozess bewusst durchlaufen und die Veränderung wahrnehmen. Meine Stimmung künstlich hochzufahren, nur um „normal“ zu wirken, gleichzeitig nicht wirklich zu spüren, ob mein Hormonhaushalt wieder in Balance kommt, ist für mich persönlich keine Option. Es geht um meinen Körper, meine Psyche. Wenn meine Stimmung im Keller ist, dann ist sie das. Punkt. Ich bin ausreichend reflektiert, um zu wissen, dass das, was derzeit an Gedanken und Gefühlen in mir auftaucht, massiv von meinem hormonellen Ungleichgewicht eingefärbt ist. Manchmal, wenn sich so ein „schwarzes Loch“ vor mir auftut und düstere Gedanken und Gefühle versuchen mich in seinen Schlund zu treiben, dissoziiere ich, blicke auf mich selbst und das, was in mir brodelt, nehme die „hormonelle Fremdsteuerung“ wahr. Allmählich gewinne ich daraus sogar den Eindruck, dass diese „hormonelle Fremdsteuerung“ meine Gedanken und Gefühle in eine bestimmte Richtung manipuliert, nämlich die Ereignisse in der Umwelt so zu interpretieren, dass sie meiner depressiven Stimmung entsprechen. Während der Therapie fiel mir auf, dass ich begann, längst aufgelöstes neu als Problem zu konstruieren, nur um etwas zu haben, an dem ich arbeiten kann, weil mein emotionaler Zustand anders nicht mehr erklärbar war.

Vereinfacht gesagt: alles im außen erscheint belastend und gegen mich gerichtet, weil ein Teil von mir offenbar sicht- und greifbare Auslöser braucht, die als Ursache für die Depression herhalten können. Echt tricky… und umso wichtiger, all das mit (halbwegs) klarem Kopf wahrzunehmen.

Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche.

Depressionen können jede und jeden treffen – und müssen noch nicht einmal mit realen Ereignissen in Zusammenhang stehen.

Wer mich kennt, weiß: ich bin eine starke Frau, reflektiert, selbstbestimmt, unabhängig … all dem zum Trotz (noch) im Würgegriff einer Depression. Doch ich werde mich daraus befreien, das ist gewiss, umso mehr ich nun die Ursache kenne.

Meine Empfehlung an alle Menschen mit Depressionen, speziell an Frauen in der Lebensmitte: lasst ein umfangreiches Blutbild machen! Darin können sich Erklärungen finden.  

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ANFANG UND ENDE

… untrennbar miteinander verbunden, denn jedes Ende ist ein neuer Anfang. Mehr als drei Monate habe ich mich nun mit meiner Vergangenheit beschäftigt, mit meinem „Mutter-Thema“, bin zurückgekehrt in jene bedrückende, von Angst dominierte Stimmungswelt, in der ich früher lebte, bin durch dunkle Phasen gegangen, habe alte Erinnerungen neuerlich emotional durchlebt, habe ich mich hineingelauscht um herauszufinden, welche übernommenen Altlasten ich noch mit mir rumschleppe, habe Verabschiedungs- und Loslassens-Rituale durchgeführt … ich hab‘ echt intensiv an mir gearbeitet, um letztendlich festzustellen:

Wer ständig in die Vergangenheit blickt, verliert die Gegenwart aus den Augen.

Ich könnte noch weitere Monate damit zubringen, mich mit dem zu befassen, was einmal war – es würde nichts daran ändern, was damals geschehen ist. Dennoch war es keine Zeitverschwendung. Ganz im Gegenteil. Für mich war es wichtig, all das nochmals zu fühlen um eine Entscheidung basierend auf Erfahrungen treffen zu können:

Lieben oder Leiden?

Letzteres dominierte mich Jahrzehnte meines Lebens, Ersteres wählte ich vor einigen Jahren, ohne genau zu wissen, was mich erwarten wird (Referenzerfahrungen fehlten). Für mehr als drei Monate kehrte ich zurück in die Welt des Leidens, des Schmerzes … oder anders gesagt: ich ließ zu, in diese Welt (meiner Mutter) zurückgezogen zu werden. Vielleicht weil es die einzige Welt ist, in der wir uns begegnen können, denn meine Welt der Lebensfreude ist ihr fremd.

Es ist an der Zeit für einen neuen Anfang in (m)einer Welt, die um neue Perspektiven, einiges an Erfahrung und eine Entscheidung reicher wurde.  

„In dir ist ein Licht, das dich begleitet von dem Moment an, in dem du in dieses Leben gekommen bist, bis zu jenem Augenblick, da deine Seele weiterziehen wird. Dieses Licht heilt die Wunden deiner Seele, schenkt deinem Herzen Kraft, lässt dich spüren, was Liebe ist. Der kalte Wind versucht es auszulöschen, Schatten wollen es erdrücken, doch es geht nie aus, es leuchtet einfach weiter in dir drin. Nicht jeder kann dieses Licht in dir erkennen, das ist gut so. Nur wer selbst zum Licht wurde, erkennt sich selbst im andern.“

GEDANKEN ZUM NEIN-SAGEN

Rund um Ostern dreht sich alles um Wiedergeburt, Auferstehung, Neubeginn, das Leben „danach“. Ein passender Zeitpunkt für ein paar Gedanken zum Leben nach dem Nein-Tabu. Du fragst dich vielleicht, was das Nein-Tabu sein soll? So nenne ich jenes Verhaltensmuster, das mir als Kleinkind eingebläut wurde: ich darf nicht Nein sagen. Ein Muster, das ich vermutlich mit vielen Borderlinern (und auch Nicht-Betroffenen) teile, und das unmittelbar für eine Menge schmerzhafter Erfahrungen in meinem Leben verantwortlich ist.

Wenn das Nein-Tabu am Steuer sitzt, ist es nahezu unmöglich, Nein zu sagen – ganz gleich, was geschieht. Jemand kommt dir näher als du willst, aber du wehrst dich nicht, setzt keine Grenze, obwohl du dich ekelst vor dem, was dabei ist zu geschehen, obwohl es sich falsch anfühlt und alles in dir aufbegehrt, losschreien und weglaufen möchte, tust du nichts, lässt es einfach geschehen, weil Nein-sagen nicht erlaubt ist. Schlimmer noch, ein Nein würde noch schrecklichere Konsequenzen mit sich bringen. Jenes Nein, das dich schützen sollte, wird zur Bedrohung. Also erduldest du. Stumm. In dich zurückgezogen, in dem Versuch, möglichst nichts zu fühlen – oder das, was du fühlst, möglichst tief in die Dunkelheit des Verdrängens abzuschieben.

Ab und an treffe ich (vor allem) Frauen, die Übergriffe und Missbrauch erleben. Zu viele von ihnen bleiben, zu wenige befreien sich. Häufig treffen sie auf Unverständnis, auf Aussagen in der Art von „Warum wehrst du dich nicht?“ Grundsätzlich eine angebrachte Frage, aber wenn das Nein-Tabu seine Finger im Spiel hat, wirken Fragen dieser Art nicht wie zugeworfene Rettungsringe, sondern wie umgeschnallte Senkbleie. Natürlich weißt du, dass du dich wehren solltest, aber du schaffst es nicht, was das Gefühl des Versagens verstärkt.

Jahrzehntelang lebte ich unter der Fuchtel des Nein-Tabus, ließ Übergriffe zu, von Nahestehenden und völlig Fremden. Rückblickend der völlige Irrsinn. Eine starke, taffe Frau, die Leistungssport betrieb und im Job so einiges weitergebracht hat, erstarrte und verstummte, wenn jemand mehr wollte als ich zu geben bereit war.

Es ist mehr als an der Zeit, das Nein-Tabu den Flammen des Osterfeuers zu übergeben.

Möge das Tabu in den Flammen zu Asche verbrennen.

Möge sich aus der Asche etwas Neues erheben, ein Nein-Schild.

Möge dieses Nein-Schild mit Bedacht geführt seine schützende Macht entfalten.

Möge der kommende Sonnenaufgang ein neues Leben(sgefühl) mit sich bringen, die Kraft UND das Vertrauen, im Nein einen starken Beschützer und Verbündeten zu haben.  

Die Zeit ist gekommen, Nein zu sagen, wenn du Nein fühlst.

Zu viele Borderliner erleben die (Übergriffs- & Missbrauchs)Hölle auf Erden, weil sie nie gelernt haben, sich zu wehren, weil sie nie darin bestärkt wurden, sich zu wehren, weil ihnen nie jemand das Recht zugestanden hat, sich zu wehren … mögen sie „wiedergeboren“ werden in den Osterfeuern und sich vom Nein-Tabu befreien.

Gewidmet all jenen, die zu lange zu viel ertragen und erduldet haben.

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AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Seit Monaten beschäftigt mich mein „Mutter-Thema“. Es begann mit der Diagnose der Krebserkrankung, die mich aus meiner sicheren emotionalen Distanz zurück in das Umfeld meiner Mutter zog. Seither habe ich zahlreiche Stunden mit Reflexionen verbracht, um letztendlich immer und immer wieder festzustellen:

Es wühlt mich auf, bringt meine emotionale Balance ins Wanken, triggert schmerzhafte Erinnerungen, lässt Wut hochkochen, weckt Fluchttendenzen, gleichzeitig den Wunsch sie möge am eigenen Leib spüren, wie es mir ergangen ist, wie im Stich gelassen, überfordert, eingeschüchtert, gedemütigt, verängstigt, erdrückt, bedroht, missbraucht und einsam ich mich gefühlt habe. Keine netten Gedanken, das ist mir bewusst, aber ich bin nur ein Mensch, keine Heilige. Was ich durch meine Mutter erleben durfte, könnte ein paar lehrreiche Kapitel in einem Fachbuch für angehende Psychotherapeuten und Psychologinnen füllen. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenken, waren die prägenden Gefühle Angst in unterschiedlichsten Facetten sowie Scham. Ich kann mich nicht erinnern, mich je geborgen oder geliebt gefühlt zu haben, dafür stand ich ständig unter Anspannung, nur ja nichts falsches zu machen oder zu sagen.

Das ich nun, nachdem ich all das überstanden und mir mein eigenes Leben aufgebaut habe, für sie da sein und mich um sie kümmern soll, wirkt auf mich wie eine Ironie des Schicksals. Das Opfer soll sich um die Täterin kümmern. Ich habe alle nur erdenklichen Facetten rund um mein „Mutter-Thema“ wieder und wieder reflektiert, mich mit meiner dunkelsten Seite auseinandergesetzt, in den Abgrund geblickt, meine Kraft und Lebensfreude schwinden gefühlt.

Letztendlich ist all das unwichtig.

Es geht weder darum, in die Vergangenheit zu starren noch auf meine Mutter und das, was sie tut oder nicht tut.

Das, worum es wirklich geht, ist Selbstsorge.

Mich selbst zu fragen, was ich brauche, was mir gut tut und was nicht. Wo die Grenze verläuft zwischen dem, was ich tun/geben kann, und dem, was mir selbst schaden würde. Anzuerkennen, dass ich nicht übermenschliches leisten muss, sondern einfach nur Mensch sein darf. Das ich mich davor schützen darf, von anderen Menschen ausgenutzt, gedemütigt, manipuliert, missbraucht oder mit negativen Gedanken/Gefühlen erdrückt zu werden – dies inkludiert auch meine eigene Mutter.

Auf den Punkt gebracht: Selbstsorge und Selbstschutz anstelle von Selbstaufopferung und Selbstverletzung.

Gut für mich selbst zu sorgen ist das, was ich als Kind hätte lernen sollen. Damals wurde es verabsäumt, deshalb hole ich es im Heute nach. Die vergangenen Monate haben mir gezeigt, dass ich offenbar ein paar Kapitel noch nicht ausreichend verinnerlicht habe. Unter anderem das Kapitel „Nein-Sagen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben“.

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EIN WORT ZUM WELTFRAUENTAG

Vor wenigen Tagen saß ich in einem Video-Meeting mit einer Runde Frauen, keine Männer. Worüber gesprochen wurde ist nebensächlich. Was mich schwer irritiert hat und immer noch nachwirkt: Sprachen diese Frauen über sich, verwendeten sie ausschließlich (und ich habe genau aufgepasst) männliche Bezeichnungen.

Die Autorin wurde zum Autor – auch wenn die Person eindeutig weiblich war.

Wer sich dazu berufen fühlt, mag darüber diskutieren, was gegenderte Schreibweisen (AutorInnen, Autor_innen, Autor/innen, Autor*innen…) bewirken oder nicht. Ich für meinen Teil fühle mich nicht zu dieser Diskussion berufen.

Aber ich frage mich, wie können mich andere als das respektieren, was ich bin, wenn ich mich selbst nicht als das respektiere, was ich bin?

Ich bin kein Autor, ich bin eine Autorin.

Ich bin kein Trainer, ich bin eine Trainerin.

Ich bin kein Projektleiter, ich bin eine Projektleiterin.

Ich bin eine Frau – und wenn ich über mich selbst spreche, bringe ich dies in meiner Sprache zum Ausdruck, damit ich gesehen werde als die, die ich bin.

Frauenpower beginnt (für mich) damit, zum eigenen FRAU-sein zu stehen.

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UNERWÜNSCHTE NEBENWIRKUNGEN

Wer meine Beiträge in den letzten Wochen verfolgt hat weiß, dass die aktuelle Situation erforderlich macht, mehr Zeit als bisher mit meiner Mutter zu verbringen und mich um einige ihrer Belange zu kümmern. Wie ich gerade feststelle, zeigen sich erste „unerwünschte Nebenwirkungen“. Um diese besser nachvollziehen zu können, werde ich ein Bild skizzieren, was ich derzeit sehr intensiv erlebe.

Unabhängig von den tatsächlichen Ereignissen, es ist alles negativ, mühsam, schwer … in den Worten meiner Mutter. Kein einziger Satz von ihr befasst sich mit positiven Aspekten, guten Nachrichten, hoffnungsvollen Aussichten. Entweder ich bekomme ihre Leidensgeschichte zu hören, oder die Katastrophen, Krankheiten und dergleichen meiner Familie, oder – wenn ich die ersten beiden Themen abgestoppt habe – die nicht hinterfragten schrecklichen Nachrichten aus dem Nachmittagsfernsehen und wenig anspruchsvollen Printmedien.

In einen Satz gebracht: Alles ist schlecht.

Entsprechend belastet ist auch die Stimmung, die ich (leider) mehr aufnehme als ich möchte. Das bemerke ich daran, dass ich plötzlich anfange, „Anzeichen“ von Lüge, Betrug und dergleichen verstärkt zu interpretieren, anstatt auf das zu achten, was es ist. Es ist, als würde ich durch eine Brille blicken, die alles in negativem Licht erscheinen lässt. Wie könnte auch etwas gut sein in dieser Welt?

Offenbar übernehme ich die negative Grundhaltung meiner Mutter – eine absolut unerwünschte Nebenwirkung. Es hat mich Jahre und viel Arbeit an mir gekostet, diese Grundhaltung abzulegen, denn ich hatte sie früher auch drauf. Und wie! Ich wuchs in einem von negativem Weltbild geprägten Familiensystem auf. Wir waren stets die Opfer. Das Erbe einer Generation, die im Krieg aufwuchs und deren innere Bilder konditioniert wurde in einer Zeit von Gewalt, Not und Überlebensangst. Meine Mutter blieb in diesem Zustand stecken, ich wollte raus und habe es auch geschafft. Aber nun zieht es mich offenbar zumindest punktuell wieder zurück.

Warum fällt es mir so schwer, mich gegen meine Mutter abzugrenzen?

Normalerweise prallt die Negativität von Menschen an mir ab. Ich nehme sie wahr, aber übernehme sie nicht. Meine Firewall hält – nur nicht bei meiner Mutter. Es gelingt mir nicht, ihre Negativität vollständig auszusperren. Vielleicht ist das auch gar nicht möglich, da ich als Kind eine Überdosis davon abbekommen habe und nun die mit diesen Erinnerungen verbundenen Emotionen getriggert werden.

Es gab keine Freude, die nicht durch irgendetwas anderes getrübt wurde. Es gab keine Anerkennung, die nicht dadurch geschmälert wurde, das zuvor nicht geglaubt wurde, es könnte gelingen (mangelndes Vertrauen). Es war nicht möglich, die Blumen im Garten zu genießen, ohne daran erinnert zu werden, wie viel Arbeit damit verbunden war. Es wurden keine Geschichten über Erfolge erzählt, keine guten Nachrichten verbreitet, stattdessen jede Menge News über Krankheiten, Streitereien, Todesfälle, Ausbeutung der Menschen durch Arbeitgeber, Politiker, Marsianer …

Wie habe ich all das überlebt?

Manchmal frage ich mich das wirklich. Etwas in mir scheint so stark zu sein, dass es mich jeglichen Widrigkeiten zum Trotz meinen Weg zurück zur Liebe, als dem mich bestimmende Gefühl finden ließ. Ich wandelte in der Finsternis mit nichts mehr als einem winzigen Funken Lebensfreude in mir.

Fürchte ich, in die Finsternis zurückzufallen?

Das wäre eine Erklärung, warum es mich derart beschäftigt, mich hier nicht besser abgrenzen zu können. Was wir fürchten, wird uns treffen – unausweichlich – denn es ist bereits in unserem Leben angekommen in dem Augenblick, in dem wir furchterfüllt auf das blicken, was geschehen könnte. Angst wirkt wie ein Magnet. Liebe übrigens auch. Beide ziehen unterschiedliches an.

Vielleicht ist die unerwünschte Nebenwirkung auch eine durchaus sinnvolle Gelegenheit, das Thema Urvertrauen aufzugreifen. Vielleicht kann mich die Negativität meiner Mutter deshalb triggern, weil irgendwo in mir noch die Furcht wohnt, der Schrecken könnte zurückkehren. Vielleicht will ich auch diesen letzten Rest an Verbindung nicht kappen, weil sonst nichts gemeinsames mehr bleiben würde. Vielleicht ist alles aber auch ganz anders.

Auf jeden Fall ist es eine Gelegenheit, in mich zu blicken und tieferes Verständnis für mich selbst zu entwickeln.

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WORKOHOLIC?

In meinem Umfeld gibt es Person X, die seit längerem im Job auf 150 % läuft. In meinem Umfeld gibt es auch ein paar Personen, die sich nach diesem Einleitungssatz vermutlich fragen, ob sich X auf mich selbst bezieht. Meine vorausgreifende Antwort darauf: Vielleicht – aber nicht nur. X gibt es wirklich. Parallelen sind rein zufällig und unbeabsichtigt 😉

Der Fall X hat mich inspiriert der Frage nachzugehen, wo die Grenze zwischen überdurchschnittlichem Engagement und Arbeitssucht (=Workoholic) verläuft.

Hier nun meine nicht auf wissenschaftlicher Forschung, aber auf meinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen basierenden Antwort. Keinesfalls der Weisheit letzter Schluss, aber vielleicht ein Denkanstoß.

Jede Sucht ist eine Suche. Ein Versuch, ein unerfülltes Bedürfnis zu befriedigen. Welches Bedürfnis kann ich mit Arbeit befriedigen? Gegenfrage: Was bekomme ich, wenn ich überdurchschnittlich viel arbeite, mehr mache als andere, vielleicht besser mache als andere?

Anerkennung!

Ob von extern (also anderen Menschen) oder aus mir selbst heraus (unterentwickeltes Selbstwertgefühl wird vorübergehend mit Eigenlob aufgepäppelt, aber letztendlich handelt es sich hier um ein Fass ohne Boden … es kann nie genug sein). Wenn man (meine eigene Erfahrung) früh im Leben spürt, dass man nicht wahrgenommen wird, aber alle anderen so toll sind, was ist die Konsequenz? Möglicherweise versucht man, noch toller zu sein als die anderen. Selbstwert entsteht dann nicht aus dem „Selbst-sein“ heraus, sondern durch Leistung. Diese wiederum bringt Anerkennung, sprich jene Aufmerksamkeit, das „Wahrgenommen werden“, dass jeder Mensch braucht. Vor allem auch jedes Kind, um zu einem gesunden und ausgeglichenen Erwachsenen zu werden.

Leistung per se ist ja nicht verkehrt, aber wann wird sie zur Sucht und krankhaft?

Ein Zeichen sehe ich darin, wenn Menschen beginnen, sich selbst physisch und psychisch auszubeuten. Für mich handelt es sich dabei um eine Form der Selbstverletzung, allerdings wird sie in der Gesellschaft selten so wahrgenommen, denn es sind keine selbstzugefügten Schnittwunden, kein Substanzmissbrauch, es geht „nur“ um Arbeit. Gesundheitsschädliches Verhalten wird mit schlechter Ernährung, mangelnder Bewegung, Alkohol, Zigaretten etc. assoziiert. Wer bremst jene Menschen, die sich sprichwörtlich „zu Tode arbeiten“? Oder zumindest in ein Burnout?

Gleichzeitig gibt es auch jene, die mit Begeisterung ihre Projekte realisieren und nicht ansatzweise arbeitssüchtig sind, obwohl sie enorm viel arbeiten.

Wo verläuft die Grenze?

Vielleicht dort, wo die Vielfalt des Lebens verloren geht? Wenn alles andere hinter der Arbeit zurückstehen muss, ganz gleich, ob Familie, Freunde, Beziehungen jeder Art, ist die Work-Life-Balance aus den Fugen geraten. 150 % im Job – was bleibt dann noch fürs Leben? Verbaut man nicht genau so die Chance, das auf gute Weise zu erhalten, was man ursprünglich gesucht hat? Anerkennung von anderen? Wertvolle zwischenmenschliche Beziehungen?

Wenn man sich nun ertappt, bereits in der Suchtfalle zu sitzen, wie kommt man raus? Kann man es überhaupt selbst erkennen? Wie viele Menschen sind süchtig nach Nikotin, Alkohol & Co ohne sich dessen bewusst zu sein? Wird nicht auch ein Workoholic der Selbsttäuschung erliegen und jede Menge plausible Erklärungen und Begründungen dafür liefern, warum es essenziell ist, dies oder jenes zu tun, warum niemand anders es tun kann, sich möglicherweise für unersetzlich halten?

Wie kann Ausstieg aus der Arbeitssucht funktionieren?

Logisch betrachtet, macht es wenig Sinn, nicht mehr zu arbeiten (abgesehen davon, dass ja auch Rechnungen bezahlt werden wollen), weil die Arbeit ja ein Bedürfnis erfüllt, quasi einen „Hunger“ stillt. Alternativen sind gefragt. Wenn es um Anerkennung geht, diese woanders zu finden. Oder noch besser: in sich selbst in Form eines gesunden Selbstwertgefühls zu finden. Dann muss man nämlich nicht mehr bis zur Selbstausbeutung arbeiten, sondern kann gut auf sich selbst achten und Grenzen ziehen.

All das geht mir durch den Kopf, während ich wieder einmal auf über 1.000 m am Berg sitze, müde nach einem langen Tag, den ich im Zug und auf der Skipiste verbracht habe, und mein To Do, das ich mir für heute Abend vorgenommen hatte, soeben auf morgen verschoben habe. Ob ich heute oder morgen oder vielleicht auch erst nächste Woche darüber entscheide, welche Gedichte in Band 2 von Berggeflüster kommen, ändert nichts daran, dass ich mich mag, so wie ich bin – inklusive punktueller Aufschieberitis😉

KRAFTVOLLE WURZELN

Damit ein Baum fest verankert den Stürmen des Lebens widerstehen und seine prachtvolle Krone tragen kann, braucht er starke Wurzeln. Mitunter reichen diese im Untergrund weiter als sein Blätterdach oberhalb. Eine wunderbare Analogie, die sich auch auf den Menschen übertragen lässt. Damit dieser die Fülle der in ihm angelegten Potenziale – ob in Beziehungen, im Job, Kreativität etc. – entfalten kann, sind starke Wurzeln und die damit einhergehende Erdung wichtig.

Die Wurzeln eines Menschen liegen in seinen Vorfahren, im Familiensystem – und hier beginnt es interessant, um nicht zu sagen herausfordernd zu werden. Mit seinen Vorfahren in gutem Einvernehmen zu stehen, fällt nicht immer leicht, insbesondere nicht wenn man – so wie ich – aus einem belastenden familiären Umfeld stammt.

Worum geht’s bei diesen Wurzeln?

In erster Linie darum, anzuerkennen, woher man stammt. Diese Challenge habe ich gemeistert. Ich bin meinen Eltern dankbar für das Geschenk des Lebens, das sie mir gemacht haben – unabhängig von dem, was später alles folgte. Meine Dankbarkeit bezieht sich darauf, dass ich ohne sie nicht hier wäre. Meine Lebenswurzel ist verankert. Punkt.

Der nächste Schritt, mit dem ich mich derzeit befasse, geht etwas weiter. Bildlich gesprochen sind es die vielen Nebenwurzeln, die ein Baum braucht, um stabil Halt zu finden. Ein Kind ist das Ergebnis der Vermischung von Anteilen der Mutter und des Vaters. Beide Seiten bringen DNA ein, aber keine Seite zu 100% (sonst käme ein Klon dabei raus). Jedes Kind trägt also Anteile von beiden Elternteilen in sich. Lehnt das Kind einen Elternteil konsequent ab, lehnt es de facto auch einen Teil von sich ab, was wiederum die Wurzeln schwächt. Lehnt es beide Elternteile ab, lehnt es auch sich selbst ab und kappt die eigenen Wurzeln. Das alles vollzieht sich meist subtil im Unterbewusstsein, doch die Auswirkungen werden im Alltag Leben sichtbar. Diese Menschen finden einfach nicht in ihre Kraft, sind häufig instabil, ständig in Konflikten (die sie genau genommen aus sich selbst heraus ins Umfeld projizieren), Anklage, Opferrolle, unterdrückte und/oder gelebte Aggression … kurz gesagt: mit sich selbst nicht im Reinen.

Die kraftvollen Anteile meines Vaters anzunehmen, war relativ einfach. Von ihm habe ich meine Kreativität und das Geschichtenerzählen, die Liebe zur Natur … einige wunderbare Geschenke. Ich habe allerdings auch ein paar belastende Anteile abbekommen, mit denen ich allerdings zwischenzeitlich gut umgehen gelernt habe (anders als mein Vater, der dies nie geschafft hat).

Was ich von meiner Mutter habe, ist nicht ganz so einfach. Auch deshalb nicht, weil mein Verhältnis zu ihr nach wie schwierig ist. Erschreckenderweise ertappte ich mich in der Vergangenheit mitunter dabei, genauso wie so zu sprechen oder zu handeln. Nur nie sein wie sie! Der perfekte Vorsatz, um genauso zu werden, denn damit liegt der Fokus darauf etwas zu vermeiden.

Alles, was genährt wird (auch das, was wir vermeiden wollen) wächst.

Nun ja, Theorie und Praxis. Allem Wissen zum Trotz stolpere auch ich manchmal über meine eigenen Beine. Aufstehen und Weitergehen.

Also, welche kraftvollen Anteile habe ich von meiner Mutter? Ich kann – ebenso wie sie – viel aushalten, eine Menge negatives ertragen. Keine sehr positive Aussicht, zumindest auf den ersten Blick, denn ich identifizierte damit sofort ihre Leidensfähigkeit. Seit ich mich erinnern kann lebt meine Mutter in der Opferrolle und tat dies vermutlich auch die Jahrzehnte davor. Leidensfähig bin ich auch, aber es das ein kraftvoller Anteil, für den ich dankbar sein will/kann? Ein Anteil, der mich gut im Leben verwurzelt? Was ist Leidensfähigkeit eigentlich genau? Wer etwas lange Zeit ertragen kann, ist doch irgendwie auch „stark“, oder nicht? Es braucht dafür eine Menge Ausdauer. Mit Ausdauer kann ich gut. Die habe ich im Sport, im Job und auch in Beziehungen bewiesen. Wobei – gerade in Beziehungen war es auch die Version „ausdauernd aushalten“. Die Betonung liegt hier auf WAR, denn mittlerweile ist meine Ausdauer in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht mehr von Verlustangst geprägt, sondern vom Wunsch Liebe zu teilen.

Ausdauer als kraftvolle Wurzel, als Geschenk meiner Mutter? Mein Vater wird nicht ausdauernd. Wenn etwas schief ging, ließ er es bleiben. Vielleicht eine Folge seiner zwei Fluchterfahrungen, bei denen er jedes Mal fast alles zurücklassen musste?

Je mehr ich mich damit befasse, desto mehr entdecke ich, was ich von meinen Eltern auf meinen Weg mitbekommen habe. Vieles davon konnte ich mittlerweile zu kraftvollen Wurzeln weiterentwickeln. Manches haben sie aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit auf negative, teils zerstörerische Weise ausgelebt.

Ein Mensch kann ausdauern darin sein, an seinem Schmerz festzuhalten, gefesselt von seinen Ängsten und zu leiden – oder ausdauernd darin, die Wunden seiner Seele zu heilen und seinen Weg zurück in die Umarmung des Lebens zu finden. Ausdauer ist per se neutral. Selbiges gilt für Kreativität. Mein Vater setzte sie dafür ein, seine Depressionen und seine Alkoholerkrankungen vor der Welt zu verbergen. Ich nutze meine Kreativität und erzähle Geschichten, um die Herzen von Menschen zu berühren. Kreativität ist per se neutral.

Auch wenn ich das meiste anders ausleben als meine Eltern, so bin ich dankbar für das, was ich mitbekommen habe – selbst für die belastenden Anteile. Diese waren mit dafür verantwortlich, einige besonderes starke Wurzeln zu bilden. Letztendlich habe ich gelernt, selbst zu entscheiden, was ich aus meinem „Erbe“ mache.

Ein paar Gedanken möchte ich hier noch anschließen für alle jene, die ihre Eltern nie kennengelernt habe. In meinem Umfeld sind dies einige Menschen. Diese Erfahrung teile ich zwar nicht, aber ausgehend von dem, was weise Menschen mich gelehrt haben und was ich selbst beobachtet habe, gehe ich davon aus, dass auch hier die menschliche Vorstellungskraft ein mächtiges Werkzeug ist. Es kommt wohl weniger darauf an, was es wirklich war, als auf das, wie es in uns ist.

Eine meiner Mentorinnen hatte einen Spruch dazu: „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben.“ Provokante Aussage, ich weiß, aber ich arbeite daran, die guten Augenblicke in den Fokus zu holen, um meine Wurzeln zu stärken, und die schmerzhaften dort zu lassen, wo sie hingehören: in der Vergangenheit.

Die gute Nachricht zum Tage: Wurzeln stärken ist auch in der Lebensmitte noch möglich 😉

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