BIST DU NICHT WILLIG …

… steig ich für dich auf die Bremse. So ungefähr lassen sich die Ereignisse der vergangenen Woche in einem Satz darstellen.

Ein durchgetakteter Kalender, Pflicht ebenso wie Kür (sprich: Spaß). Dennoch kaum Zeit zum Nichtstun. Also warf das Leben meine Agenda kurzerhand um und verpasste mir eine Gipshand, die aktuell einiges verhindert. Spazierengehen statt Fitnessstudio. Nachdenken. Was will mir das Leben (oder mein Unterbewusstsein) sagen? Einige Warnzeichen hatte ich bereits ignoriert und meinen Kurs durchgezogen. Aber nun ging es nicht mehr. Zeit für einen neuerlichen Blick hinter den Spiegel.

Es gibt da etwas in meinem Leben, das nicht so läuft, wie ich es gerne hätte. Das frustriert mich und führt gleichzeitig zu außerordentlichem Engagement. Zu viel des Guten? Loslassen? Das Thema zeigte sich zu schnell, zu klar, zu simpel. Für mich ein klassisches Ablenkungsmanöver. So „einfach“ konnte es nicht sein. Dafür waren die Auswirkungen zu komplex. Da half nur eines: raus in die Natur.

Wenn der (von Menschen gemachte) Lärm um uns verstummt, hören wir wieder die Stimme des Lebens in uns.

Dieser weise Satz stimmt tatsächlich aus meiner Tastatur. Was wäre naheliegender, als danach zu handeln.

Unweit von mir liegt ein 52 Hektar großes hügeliges Waldgebiet mit unzähligen Wegen, auf denen man stundenlang wandern kann, ohne Menschen zu treffen. Optimal – abgesehen davon, dass ich meistens woanders lande als geplant. Aber nachhause fand ich bisher noch immer.

In der Stille des Waldes blickte ich in meinen Spiegel. Da gab es etwas, dass ich nicht sehen, mir nicht eingestehen wollte. Das, was nicht so lief, wie ich wollte, ist eine zwischenmenschliche Beziehung, die kraftvoll gestartet hatte und nun irgendwie stagnierte. Dieser Stillstand ist frustrierend – und gleichzeitig beruhigend, denn ein Teil von mir fürchtet sich davor, verletzt zu werden. Nach dem Crash von 2020 nicht verwunderlich. Dennoch etwas, das ich mir eingestehen muss. Nicht mein Denken fürchtet sich, das kommt auch damit klar. Ein anderer Teil von mir tut das nicht. Dieser Teil wurde so tief verletzt, dass selbst Zuneigung und Vertrauen innerhalb jener Beziehung nicht reichen, um die Furcht in mir zum Schweigen zu bringen.

Wie stark diese Furcht war, zeigte sich bei jeder Treppe, die ich hinab schritt. Der Crash 2020, also das dramatische Ende meiner 24-jährigen Beziehung, ist untrennbar mit dem Sturz auf der Treppe, dem Bänderriss und seinen Folgen verbunden. Bis heute erfasst mich Unsicherheit, wenn ich eine Treppe hinabgehe, starre ich auf jede einzelne Stufe, fühle ich mich unwohl. Früher lief ich Treppen „blind“ hinab. Heute undenkbar. Der Schock der Trennung, die extremen Emotionen, haben sich tief in das Körpergedächtnis eingeprägt und beeinflussen immer noch meine Bewegungen. Warum sollte meine emotionale Innenwelt davor verschont bleiben?

Es geht mir nicht darum, diesen Umstand in irgendeiner Form zu bewerten. Oder gar darunter zu leiden, mich als Opfer zu sehen. Das bin ich nicht. Aber ich halte es für wichtig, mir bewusst zu machen, was – noch immer – in mir wirkt, um damit gut umgehen zu können.

Möglicherweise war meine straff getaktete Agenda ein Versuch, diesem Blick in den Spiegel auszuweichen, die Frustration zu übertönen, mir anderweitig Befriedigung zu holen … zutiefst menschliche Strategien.

Ich bin nur ein Mensch. Lebenskrisen können mich wie jeden anderen auch aus der Bahn werfen. Zäsuren gehen nicht spurlos an mir vorüber. Ambivalente Gefühle gehören manchmal dazu. Das darf so sein. Deshalb bin ich weder schwach noch lebensunfähig, sondern einfach nur menschlich.

Gut möglich, dass ich deshalb vom Leben eingebremst wurde, um mir all dies bewusst zu machen, den verletzten Teil in mir zu umarmen, mir Zeit für mich selbst zu nehmen. Immerhin hat das Leben mir nicht ein Gipsbein verpasst, sondern nur eine Gipshand. Gedankenreiche Spaziergänge durch die Natur, um meine innere Stimme deutlicher zu hören, darf und kann ich führen.

Auf meinem heutigen Spaziergang entstand auch das Bild zu diesem Beitrag. Aufgenommen an jener Stelle, an der sich mir die Zusammenhänge offenbarten.

EIN GOLDENER KÄFIG

… so nenne ich manchmal die menschliche Komfortzone. Dieser Begriff beinhaltet als das, was ein Individuum kennt und kann … andere Menschen, Orte, Tätigkeiten … alles, was vertraut ist, wenngleich es nicht immer angenehm sein muss. Aber zumindest weiß man, was es ist, kann das Risiko einschätzen und sich einigermaßen „sicher“ fühlen. Deshalb golden.

Außerhalb dieser Komfortzone lauert das Unbekannte auf jeden von uns. Orte, die wir nicht kennen. Menschen, denen wir noch nie begegnet sind. Tätigkeiten und Handlungen, die wir noch nicht getan haben und daher nicht wissen, ob wir das können. Was wiederum impliziert, dass wir damit gewaltig auf die Nase oder anderes fallen können. Und dies zum Amüsement anderer. Oder zu unserem eigenen (finanziellen oder anderen) Ruin. Weshalb nahezu jeder Mensch über einen gewissen „inneren Wächter“ verfügt, der uns davon abhält, allzu voreilig und unbedacht aus unserer Komfortzone zu stürmen. In gewisser Weise wird sie durch diesen inneren Wächter zu einem Käfig, der uns schützen soll, aber eben auch einsperrt.

Unser goldener Käfig aka Komfortzone ist schon etwas Geniales, ebenso wie etwas Problematisches.

Letzteres speziell dann, wenn wir etwas in unserem Leben verändern wollen in Sinne von etwas Neuem, dem wir uns erstmals widmen. Dann nämlich mahnt unser innerer Wächter zu (häufig übertriebener) Vorsicht, erinnert an vergangene Episoden des Scheiterns und prophezeit eine Wiederholung, dämpft jene Energie, die uns voran treiben würde … Ich denke, auch ohne dies weiter auszuführen kann sich jeder vorstellen, was ich meine oder auf eigene Erinnerungen zurückgreifen.

Heute finde ich es amüsant und erschreckend zugleich, wie lange ich mich von meinem inneren Wächter kontrollieren ließ, ohne die von ihm prognostizierten Schreckensbilder auf ihre Relevanz hin zu hinterfragen. Ich könnte mir selbst also eine gewisse „konsequente Lernresistenz“ attestieren (die glücklicherweise zwischenzeitlich ausgestanden ist) oder es nobler formulieren: Ich nahm mir reichlich Zeit zur empirischen Überprüfung gewisser Theorien im Selbststudium. Wie auch immer …

Die Kernaussage bleibt dieselbe: ich stand mir selbst im Weg bzw. hockte in meinem goldenen Käfig und starrte hinaus in die weite Welt mit Wunschträumen im Kopf, die ich nicht umzusetzen wagte.

Bei diesen Wunschträumen handelte es sich nicht um Weltbewegendes. Ganz im Gegenteil. Im Grunde waren es „banale“ Dinge, wie einfach meine Gefühle und Bedürfnisse anderen Menschen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Oder einfach mal zu tanzen, wenn mir danach war und die Musik meine Beine lockte. Ein Selfie zu machen und dies zu teilen.

Wenn ich so darüber nachdenke, waren und sind genau jene „Banalitäten“ mitunter „weltbewegend“ – sie bewegten nämlich meine eigene „Welt“, denn sie waren kein Teil meiner Komfortzone. Aus der musste ich raus, um eben jenes tun zu können. Raus aus dem goldenen Käfig hinein in eine unbekannte Dimension des Lebens.

Was würde mich dort erwarten? Heute kenne ich die Antwort, aber bevor ich sie verrate, noch ein paar weitere Gedanken.

Ohne Übertreibung treffe ich gefühlt täglich Menschen, die aus ihrem goldenen Käfig in die Welt hinausstarren. Längst habe ich aufgehört, aktiv nach den Gründen für ihr Verharren in ihrer Komfortzone zu fragen. Auch wenn diese Gründe auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen mögen, im Kern geht es stets um dasselbe: sie stehen sich selbst im Weg bzw. überlassen ihrem inneren Wächter die Kontrolle über ihr Leben. Dieser Wächter sollte jedoch nur als Berater fungieren, nicht als Steuermann oder gar Kapitän. Für diese Funktion fehlt dem Wächter nämlich der komplexe Weitblick und die Vision der Veränderung.

Stichwort Veränderung. Einer der beliebtesten Gründe, in der Komfortzone zu verharren, und sich selbst den Schritt hinaus zu verwehren, ist diese.

„Veränderung ist schwer.“

Schade, dass du gerade nicht das leicht süffisante Lächeln in meinem Gesicht sehen kannst, wenn ich in meinem Kopf jenes formuliere:

„Veränderung ist stets so schwer oder leicht, wie du dir selbst erlaubst, dass sie sein darf!“

Mit dieser Aussage habe ich schon so einiges ausgelöst. Von Verärgerung und wortlosen Abgang, bis zu beschämtem Erröten oder verständnislosem Kopfschütteln. Dabei ist sie absolut logisch und nachvollziehbar. Das gesamte „Problem“ inklusive goldenem Käfig, innerem Wächter und Erinnerungen an Scheitern existiert ausschließlich in unserem Denken. Wer sonst als wir selbst kann uns in unserem Denken im Weg stehen? Natürlich wird manchmal versucht, die „Schuld“ für das eigenen Denken auf jene zu schieben, die verursacht haben, dass man so denkt wie man denkt …

Naja, Ausreden gibt’s viele auf dieser Welt. Mindestens so viele wie es Menschen gibt. D.h. die Ausreden werden täglich mehr. Aber im Fall eines erwachsenen, mündigen und sich selbst als handlungsfähig einstufenden Menschen sind dies Ausflüchte, denn sich aus der Fremdsteuerung durch Konditionierung zu befreien, ist Teil des Entwicklungsprozesses eines jeden Menschen. Somit auch Teil unserer individuellen Verantwortung der Menschheit gegenüber.

Wenn ich dich an dieser Stelle aus deiner eigenen gedanklichen Komfortzone schubse, kann ich nur sagen: „Willkommen im Club“. Mir erging es vor vielen Jahren genauso. Ich war einst eine Weltmeisterin der Ausreden, der Schuldzuweisungen an andere und des Verharrens in der Opferrolle. Dies war mein goldener Käfig, der mich davon abhielt, meine Zeit hier auf Erden nach meinen Bedürfnissen, Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Der mich davon abhielt, voller Lebensfreude das Wunderbare im Alltäglichen zu entdecken und dankbar für jede – wirklich jede – Erfahrung meines Lebens zu sein.

Meine persönliche Komfortzone ist längst kein goldener Käfig mehr, sondern ein dynamisches, vielfältiges, sich ständig erweiterndes Haus. Meine persönliche Villa Kunterbunt. Jedes Mal, wenn ich einen Fuß aus dem Haus hinaus in die Welt setze, weiß ich – fühle ich – dass mich eine Umarmung des Lebens erwartet. DAS ist einer jener Wunschträume, die für mich real wurden, als ich wagte, meinen goldenen Käfig namens Komfortzone zu verlassen.

Bild: pixabay.com

SCHULD UND SÜHNE

Wieder einmal konnte ich in der vergangenen Woche meinen Mund nicht halten. Oder besser: Meine Finger nicht von den Tasten fernhalten.

Was war geschehen?

„Zufällig“ geriet ich in eine Facebook-Diskussion zu einem heiklen Thema. Die ursprüngliche Fragestellung im Beitrag lautete in etwa so: „Sind Stalker einfach nur kranke Menschen? Oder steckt mehr dahinter? Wie denkt ihr darüber?“

Nun, wer die Facebook-Community kennt, kann sich nun lebhaft vorstellen, welche Art von Kommentaren folgten. Überwiegend war die Reaktion heftig, voller (Vor)Urteile und ebenso voller Überzeugung, damit richtig zu liegen. Schuld wurde zugewiesen und Sühne gefordert. Dazwischen fanden sich ein paar wenige, die vorsichtig darüber sinnierten, ob da nicht noch mehr sein könnte.

Ich konnte nicht anders. Es drängte mich, zu all diesen Stimmen und Meinungen meine eigene hinzuzufügen. Hier der Originaltext meines Kommentars:

„Wo verläuft die Grenze zwischen krank und normal? Das Verhalten eines Stalkers ist keineswegs in Ordnung.  Dennoch stellt sich die Frage: Warum wird jemand zum Stalker? Was ist im Vorfeld geschehen? Was braucht es, damit jemand sein eigenes Verhalten als übergriffig wahrnimmt und sich aktiv um eine Veränderung bemüht? Urteile sind schnell gefällt, aber was wird dadurch besser? Für mich ist das Thema vielschichtig. Krankheit? Persönlichkeitsstörung? Traumatisierter Mensch? Opfer? Niemand wird als Stalker geboren. Es gibt immer eine Geschichte unter der sichtbaren Oberfläche. Und es gibt immer Lösungen und Auswege, die damit beginnen, nicht zu urteilen, sondern zu verstehen.  Aber ich bin auch nicht „normal“. Ich bin Borderlinerin, also „krank“. Deshalb steht für mich die Frage im Vordergrund, was dieser Mensch braucht, um mit sich selbst und anderen respektvoll umgehen zu können. Wie gesagt, ich bin „krank“…“

Zugegeben, die Sätze gegen Ende sind provokativ ausgefallen – bewusst provokativ. Gerichtet an all jene „Gesunde“, die nur allzu rasch (ver)urteilen, ohne die ganze Geschichte zu kennen. Davon gibt es für meinen Geschmack immer noch zu viele. Anders formuliert: Die Anzahl der bewusst reflektierenden und nach Lösungen suchenden Menschen in unserer Gesellschaft bewegt sich nach wie vor in der Größenordnung von Minderheiten. Wieder so eine kleine Provokation. Mea culpa 😉

Dies hier soll kein Plädoyer „pro Stalking“ werden. Ganz und gar nicht.

Dies hier ist ein Plädoyer „zuerst verstehen, dann verändern“. Urteile bringen keine Lösungen. Urteile bringen Bestrafung, Ausgrenzung, Verstärkung des Problems etc. etc. etc. Wäre es anders, hätten Bestrafung schon längst zum Erfolg geführt. Immer wieder interessant, wie wenig lernbereit die Menschheit diesbezüglich ist (sowohl als Gesellschaft als auch als Individuen).

Dies ist ein Plädoyer, zusätzlich zu kurzfristigen Aktionen (im Sinne der Rechtslage) stets auch die langfristige, nachhaltige Perspektive einzubeziehen.

Dies ist ein Plädoyer dafür, Verantwortung für das eigene Handel zu übernehmen (auch wenn diese Handlungen nicht immer in Ordnung sind oder mitunter mit den Gesetzen in Konflikt stehen), die daraus entstehenden Konsequenzen zu akzeptieren, sich selbst die Frage zu stellen, ob man sich künftig an die geltenden Regeln der Gesellschaft, in der man lebt, halten möchte, und anschließend aktiv zu werden um das zu tun, was notwendig ist, um innerhalb der gesellschaftlich anerkannten Spielregeln gemäß den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zufrieden, respektvoll und achtsam leben zu können.

Ich empfehle, den obigen Satz mehrfach zu lesen. Was sich da lockig flockig in ein paar Zeilen unterbringen lässt, könnte ebenso gut einen ganzen Seminartag füllen, wenn es bis ins Detail durchdacht wird.

Ein Plädoyer, dessen Umsetzung eine Herausforderung ist. Auch an mich selbst. Ich nehme mich da keineswegs aus. In mir sind nach wie „Bewertungs- und Verurteilungsprogramme“ aus meiner Erziehung innerhalb einer Gesellschaft, die es nicht besser wusste – und offenbar bis heute nicht besser weiß.

Deshalb bin ich dankbar für Gelegenheiten wie die erwähnte Facebook-Diskussion, da sie mir die Möglichkeiten bieten, meine eigenen Denkprozesse zu reflektieren und neu zu kalibrieren. Kommentare wie den oberhalb stehenden schreibe ich als Denkanstoß für andere – und als Erinnerung an mich selbst. In alte Denkmuster zu verfallen, geschieht unglaublich schnell und vor allem lautlos. Da hilft nur Achtsamkeit.

Wie meine weise Lucy gerne zu sagen pflegte: „Stell dir einen dicken Baumstamm vor, der vor dir liegt und den du zersägen sollst. Einen tiefen Einschnitt gibt es bereits. Doch nun sollst du nur wenige Millimeter daneben das Sägeblatt neu ansetzen, weil der alte Schnitt nicht zum Ziel führt. Was wird geschehen? Zu Beginn wird das Sägeblatt immer wieder in die bereits vorhandene, tiefe Spur abrutschen. Es braucht Zeit, Geduld und Konzentration, um in der neuen Spur zu bleiben.“

(M)eine alte Spur heißt „Schuld und Sühne“.

(M)eine neue Spur trägt den Titel „Verständnis und Veränderung“.

Bin ich „krank“?

Nun, ich bin in meinem Denken und Fühlen [nicht] ganz alltäglich, folge meinem eigenen Weg und gehöre damit einer Minderheit in der Gesellschaft an. Es steht jedem frei, dies (oder mich) anders zu beurteilen.

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AUFBRUCH IN EINE NEUE WELT

Nach meiner dreiwöchigen Auszeit vom Alltag in Form eines Kuraufenthaltes und einer weiteren Woche des „wieder Ankommens“ in meinem alten (oder neuen) Leben, stelle ich fest, dass einiges dabei ist, sich zu verändern – oder dies bereits getan hat. Interessanterweise trifft dies ziemlich genau vier Jahre nach meinem Aufbruch der Reise zu mir selbst ein.

Am 13.10.2017 initiierte ich einen Richtungswechsel: Schluss mit dem Blick nach außen, dem Vergleich mit anderen und der Suche nach externen Lösungen. Das „Problem“ existierte in mir – also musste auch die „Lösung“ dort zu finden sein. Lerne zu lieben, was niemand sonst zu lieben vermag – außer der Einen (also mich), die dafür geboren wurde (sich selbst zu lieben). Nun, was daraus entstand, ist mittlerweile Geschichte … im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich „eine [nicht] ganz alltägliche Liebesgeschichte“.

Wie ich in den vergangenen Tagen realisiert habe, endet es allerdings (noch) nicht. Neue Wege zeichnen sich ab. Oder besser gesagt: mein Lebensstil passt sich stärker meinem wahren Wesenskern an. Sport und Bewegung rücken wieder mehr in den Fokus. Dominieren beruflich Strukturen und „Unverrückbares“, zieht es mich in der Freizeit Richtung Freiheit. Spontaneität nimmt deutlich mehr Raum ein. Tradierte Überzeugungen (zu täglichen Aufgaben im Haushalt wie Kochen) verblassen (oder doch nur 2x pro Woche auf Vorrat?). Gebügelt habe ich zuletzt … ich weiß es nicht mehr. In Kürze steige ich für viele Fahrten wieder auf Öffis um. Ich hab ganz einfach keinen Bock mehr, meine Lebenszeit 2x täglich im Stau zu verschwenden. In der Bahn kann ich wenigstens dösen, oder lesen, stricken … alles, nur nicht konzentriert und angespannt darauf achten, welche schwachsinnigen Aktionen andere rund um mich setzen und damit sich selbst und MICH gefährden. Außerdem bietet es sich an, über das Klimaticket meine Heimat Österreich übers Wochenende stressfrei zu erkunden – was allein im Auto sitzend eine anstrengende Aktion wäre. Die Bahn rollt und ich entspannt mit ihr.

Die Qualität dessen, was ich in meiner Lebenszeit unternehmen, hat einen neuen Stellenwert bekommen. Ich wurde nämlich – wie mir mittlerweile klar ist – während meiner Kur „infiziert“. Mit einem Gedanken. Oder besser gesagt: mit einer Frage, die sich unterschiedlich betonen lässt:

WILL ich das?

Will ICH das?

Will ich DAS?

Über diese drei Worte in unterschiedlicher Betonung lohnt es nachzudenken.

WILL ich das? à Was auch immer es ist, WILL ich es wirklich? Oder habe ich das Gefühl, es zu müssen, keine Alternative zu haben (was meiner Erfahrung nach so gut wie nie zutrifft). Ist es mein eigener Wille? WILL ich täglich im Stau stehen? Definitiv NEIN!

Will ICH das? à Ist es mein Interesse bzw. meine Entscheidung? Oder will ICH etwas anderes? Mache ich es trotzdem (aus eigener Entscheidung), weil ich jemand damit helfen/unterstützen/eine Freude machen … will? Ist es also meine eigene Entscheidung? Ja, es ist meine eigene Entscheidung. Ich könnte mit dem Auto fahren, aber ICH will nicht, sondern ICH entscheide mich für etwas anderes.

Will ich DAS? à Auch hier die Frage, ob DAS jenes ist, das ich will. Der Fokus liegt auf dem DAS? Im Stau stehen, DAS will ich definitiv, daher wähle ich eine andere Option für mich.

Eine Frage bestehend aus 3 Worten, betrachtet aus 3 unterschiedlichen Blickwinkeln.

Eine Frage, die enormes Potenzial in sich trägt.

Eine Frage, die mir in den vergangenen Tagen und Wochen bewusst machte, dass ich mich in mehr Bereichen von alten Gewohnheiten bzw. übernommenen Einstellungen (z.B. aus meinem Elternhaus) leiten ließ, obwohl sie nicht zu mir passten, als mir bis dato klar war. Ängste, die meine Eltern aufgrund der Zeit, in der sie heranwuchsen, durchaus berechtigt hatten, sind heute häufig obsolet geworden. Ängste sind grundsätzlich ein spannendes Thema, wenngleich ambivalent. Manche Ängste habe ihre Berechtigung und schützen uns, doch hinter vielen Ängsten verbirgt sich keine reale Bedrohung, sondern etwas, das sich in unser Unterbewusstsein eingebrannt hat. Zumeist intensive negative Erfahrungen bis hin zu Traumatisierungen, aber auch Konditionierungen durch ständiges Vorbeten von „was nicht alles schiefgehen könnte und was nicht alles schlecht/bedrohlich ist“. Ängste zu hinterfragen ist wichtig, um eigene (und nicht vorprogrammierte) Entscheidungen für das eigene Leben treffen zu können.

„WILL ICH DAS?“ hilft zu hinterfragen.

Hinterfragen ist eine wichtige Basis für bewusstes Leben.

Bewusstes Leben schützt dafür, eines Tages wie eine Art „Zombie“ durchs Leben zu laufen, ferngesteuert von Konditionierungen, die uns irgendwann irgendwer in den Kopf gepflanzt hat und die seitdem wie ein veraltetes Betriebssystem das Vehikel Mensch durch den Alltag manövrieren.

Ein „Zombie“ lebt, aber ist nicht lebendig.

Lebendigkeit beginnt damit, bewusst zu leben.

Um bewusst zu leben, sollte man anfangen … richtig, zu hinterfragen 😉

„WILL ICH DAS?“

Diese kleine Frage bestehend aus 3 Worten traf zur richtigen Zeit auf meinen offenen Geist, um ihre wunderbare Wirkung entfalten zu können. So breche ich mit ihr auf zu neuen Horizonten, in (m)eine neue Welt, das Jahr 5 meiner Reise zu mir selbst.

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GESPRENGTE KETTEN

Zugegeben, ein etwas theatralischer Titel. Aber als ich heute mit meinem Fahrrad aus der Tiefgarage hinausstrampeln wollte, gab es einen lauten Knall und im nächsten Moment drehten sich die Pedale durch. Kette gerissen. Oder eben gesprengt durch meinen kraftvollen Tritt die Steigung hinauf. Ärgerlich.

Eigentlich wollte ich an diesem vielleicht letzten sonnigen Wochenende mit lauen Temperaturen ins Stadtzentrum radeln und dort in einem der Gastgärten etwas essen. Daraus wurde nun ein halbstündiger Fußmarsch. Auch in Ordnung. Mit etwas Verspätung erreichte ich also mein Ziel.

Nach dem Essen schlug ich einen anderen Weg ein als zuvor. Ohne Fahrrad bot sich die Gelegenheit, den Hügel im Kurpark hochzusteigen und am Hang entlang nachhause zu spazieren. Zwar bin ich diesen Weg seit einigen Jahren nicht mehr gegangen, aber immerhin lebe ich seit mehr als 20 Jahren in dieser Stadt, bin hier zur Schule gegangen … ich dachte tatsächlich, ich kenne mich aus. Welch ein Irrtum! Den Weg, den ich eigentlich gehen wollte, verpasste ich offensichtlich. Stattdessen landete ich auf einem mir völlig unbekannten Weg. Beim Schild „4,8 km bis zur Ruine Rauhenstein“ dachte ich mir noch: „So ein Blödsinn. Das sind doch nie 4,8 km.“ Noch so ein Irrtum. Die Streckenangabe war schon korrekt. Nur war ich auf einem mir fremden Pfad gelandet. Einem sehr schönen Pfad, der alles bot, was meine inneren Batterien aufzuladen vermag.

Ursprünglich wollte ich mit dem Fahrrad über den Radweg und später ein Stück Straße nach Hause fahren. Nun wanderte ich über einen sonnendurchfluteten Waldweg, hoch über den Dächern der Stadt und entdeckte dabei eine äußerst anregende Alternative, um von A nach B zu gelangen und dabei in meinen eigenen Rhythmus zurückzufinden. Überaus erfreulich.

Die gesprengte Fahrradkette sprengte auch meine „Kette an tradierten Abläufen“. Meine Alltagsroutine. Ohne diesen „Unfall“ wäre ich mit ziemlicher Sicherheit am heutigen Tag nicht von meinem gewohnten Weg abgewichen und mir wäre etwas verborgen geblieben, das mich zum Lächeln gebracht, mein Herz erfreut und meine Seele mit Licht geflutet hat … oder anders gesagt: mir wäre möglicherweise ein langer Spaziergang in der Umarmung des Lebens entgangen. Damit ich diese Gelegenheit nicht versäume, hat das Schicksal mir wohl einen kleinen Schubs – oder eine gesprengte Kette – verpasst. Und das gleich in mehreren Bereichen, denn einmal mehr wurde mir bewusst, wie viel sich noch im scheinbar Bekannten versteckt. Wie viel entgeht uns tagtäglich, wenn wir uns nur innerhalb der Routine und auf gewohnten Pfaden bewegen? Wie gut kennen wir den Platz, an dem wir leben? Wie gut die Menschen, die um uns sind? Wie gut uns selbst? Wie viel könnten wir noch entdecken, wenn wir ab und zu unsere Ketten der Gewohnheit sprengen und in Neuland aufbrechen?

Viele Fragen, einladende Gedanken, wertvolle Momente im Einklang mit mir selbst … und all das Dank einer gesprengten Kette. Ich verneige mich vor der Weisheit des Lebens, die mich neuerlich daran erinnert: „Bewerte Ereignisse nicht, bevor sie nicht ihr verborgenes Potenzial offenbart haben.“

Lesley B. Strong © 2021