Meine Tricks im Alltag: Nr. 3 – Wer fährt den Bus?

Wer sich mit NLP befasst, wird früher oder später auf die Metapher vom Bus treffen. Darin geht es um unsere unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile, aus denen sich die Gesamtheit eines Menschen zusammensetzt. Wir alle haben mehr oder weniger ausgeprägt kontrollierende, kreative, hilfsbereite, aggressive, neugierige, zur Faulheit neigende oder eifrig wirkende Anteile in uns. Und noch viele andere mehr. Jeder von uns ist eine Ansammlung von vielem. In der besagten Metapher geht es darum sich vorzustellen, alle diese Anteile wären jeweils einzelne Personen, die gemeinsam in einem Bus sitzen, der auf der Landstraße des Lebens – unseres Lebens – fährt. Die Gretchen-Frage dabei ist:

Wer fährt den Bus?

Wer den Bus fährt, bestimmt Richtung und Tempo. Der Faulenzer in uns wird anders steuern als der Partytiger. Die Theorie dahinter ist einleuchtend. In Bezug auf Borderline lehrte sich mich so einiges über mich selbst.

Wechseln wir von der Theorie zu einem praktischen Beispiel.

„Ich brauche deine Hilfe und du bist die Einzige, die mir helfen kann.“

Diesen Satz habe ich oft in meinem Leben gehört. Bezieht er sich beispielsweise auf eine Formelproblem in Excel – easy to handle. Oder geht’s um ein Kochrezept – ein Klacks. Schwieriger wird es, wenn’s um zwischenmenschliches geht. Der Grad an Nähe dieser zwischenmenschlichen Beziehung fungiert wie ein Multiplikator. Das hängt damit zusammen, dass ich als kleines Kind in einer traumatisierenden Situation genau diesen Satz von einer sehr nahestehenden Person gehört habe und in jeder Weise völlig überfordert war.

Dieser Satz ist für mich ein Trigger.

Mehr als das.

In Kombination mit dem beschriebenen Näheverhältnis lässt dieser Satz sofort mein „Helferlein“ von den hinteren Reihen des Busses aufspringen und Richtung Steuer laufen. Mein „Ich bin toll-Ego“ sprintet unmittelbar hinterher, denn mal ehrlich: Niemand außer mir kann helfen? Welch eine Gelegenheit für Bestätigung des Selbstwertes! Dafür nehme ich schon mal den Druck und die Belastung, die eine derartige Alleinstellung unweigerlich bedeutet, in Kauf. Und ja, am Rockzipfel meines Egos hängt der „Zweifler“, der auch gerne am Nektar der Anerkennung mitnaschen möchte.

Während diese 2 ½ also ums Steuern streiten, tritt mein „inneres Kind“ auf den Plan. Jenes Kind, das vor sehr langer Zeit traumatisiert wurde und seither mit allerlei extremen Emotionen auf einen Trigger dieser Art reagiert – mitunter wie ein feuriger Vulkanausbruch. Um diese Gefahr einzudämmen, schaltet sich auch meine „Wächterin“ ein, die ich im Laufe vieler Jahre kultiviert habe und die mich vor genau der eben beginnenden Überlastung durch Druck bewahren soll.

Und dann gibt es noch die „Loyale“ in mir, die keinesfalls einen nahestehenden Menschen im Stich lassen möchte, und bereit ist, alles zu geben – koste es, was es wolle. Selbst wenn’s das eigene Wohl ist. Wobei da kommt dann auch die „Altruistische“ ins Spiel.

Mittlerweile rauft sich ein kleines Grüppchen um das Steuer, was dazu führt, das meine „Pragmatische“ nüchtern zur Ordnung ruft und verlangt, doch endlich wieder den Verstand einzuschalten. Aber meinen „grenzenlose Emotionale“ hält dagegen.

Und die Fahrt geht weiter!

Wo sie enden wird, kann sich jeder mit ein wenig Fantasie vorstellen. Wenn so viele versuchen, gleichzeitig das Steuer zu übernehmen, ist der Crash de facto vorprogrammiert.

Dieses Chaos hat mich jahrelang bestimmt. Damals hatte ich nicht die geringste Ahnung, was in mir passiert. Ich erlebte nur die verheerenden Auswirkungen. Hilflos ausgeliefert meiner eigenen „Widersprüchlichkeit“ – oder meiner Vielfalt. Damals identifizierte ich mich mit dem jeweils am Steuer sitzenden Anteil. Dass all diese Anteile zusammen mein ICH ergeben, lernte ich später zu verstehen, sehr viel später erst zu fühlen und zu leben.

Auch heute kann es hin und wieder vorkommen, dass meine Anteile ums Steuer rangeln und mein ICH kurzzeitig auf die hinteren Plätze verdrängen. Der wesentliche Unterschied zu früher ist: ICH weiß heute, was mit mir los ist und dass ich das Steuer wieder übernehmen kann.

Borderline fühlte sich für mich lange Zeit wie eine emotionale Achterbahnfahrt oder eben eine ungesteuerte Busfahrt an. „Etwas“ schaukelte mich unkontrolliert durch mein Leben auf eine Art und Weise, die kaum jemand nachvollziehen oder verstehen konnte – inklusive mir selbst.

Das Wissen um die Zusammenhänge verändert nicht direkt meine Persönlichkeitsanteile oder löst alte Traumata auf, doch es erleichtert den Umgang mit ihnen und hilft, mich selbst in Balance zu halten. Vor allem aber erinnert es mich daran, am Steuer des Busses zu bleiben. Denn darum geht aus meiner Sicht: Mit den vorhandenen Ressourcen und Potenzialen gut durchs Leben zu kommen.

Aufarbeiten der Vergangenheit: Wichtig, um zu verstehen, wie man wurde, wer man ist.

Auflösen von Blockaden und Traumata: Essenziell, um sich aus Verstrickungen zu befreien und manche Trigger zu entschärfen.

Selbstreflexion und Achtsamkeit: Tägliche Routine, um auf Kurs zu bleiben. Deshalb richte ich täglich die Frage an mich selbst:

Wer fährt gerade den Bus?

#FeelTheEmbraceOfLife

Das überaus passende Bild stammt von pixabay.com. Vor einigen Jahren, bevor mir das heute erzählte bewusstwurde, schrieb ich unter dem Pseudonym „philosopherl“. Mein damaliges Logo zierte ein grüner Frosch mit orangefarbenen Augen. Das Leben (oder mein Bus) schlägt manchmal wundersame Wege ein.

Meine Tricks im Alltag: Nr. 1 – Die Reboot Playlist oder The Sound of Music (Therapy)

Manchmal wache ich morgens auf und bin völlig neben der Rolle – grundlos. Manchmal zerren die Ereignisse des Tages an meiner Balance und drohen mich zu kippen. Manchmal werden Menschen und ihre Emotionalität für mich einfach unerträglich. Für solche Fälle habe ich meine Reboot Playlist. Die ist eigentlich „zufällig“ entstanden.

Als ich 2017 zu schreiben begann, war Musik fixer Bestandteil meines Kreativ-Settings. Ab aufs Eisbärenfell (kein echtes!), Laptop auf die Beine, Stöpsel in die Ohren und ein Album von Enya ausgewählt – schon ging’s los. Im Laufe der Zeit kamen andere Songs und Stilrichtungen dazu. Ich legte eigene Playlists an, je nach Stimmung, die gerade in der Geschichte vorherrschte. Einige Titel bettete ich sogar in die Handlung ein. Beim Überarbeiten und Korrekturlesen hörte ich stets die passende Musik. Und irgendwann fiel mir auf, dass es genügte, den Sound irgendwo zufällig zu hören, und die entsprechende Stimmung jener Szene in mir wachzurufen.

Okay, ja, natürlich weiß ich, was ein auditiver Anker ist. Ich habe einiges in meinem Leben gemacht, darunter auch NLP-Ausbildungen. Ironischerweise habe ich nie versucht, bewusst damit mein Borderline zu beeinflussen. Aber nachdem es sich so ergeben hatte und wunderbar funktionierte, kreierte ich einige Playlists für mich, darunter eben „Reboot“, um mein System neu hochzufahren. Oder anders gesagt: um mich wieder an mich selbst anzudocken, mich zu re-connecten, mich in dem Wirbel von Emotionen und Eindrücken selbst wiederzufinden, denn manchmal kann ich schlichtweg nicht mehr unterscheiden, was die vorherrschende Stimmung in meinem Umfeld ist und was meine Eigene. Wenn ich mich also (in der Dunkelheit) zu verlieren drohe, lenke ich den Fokus zurück auf mich selbst. Das bedeutet im Klartext: Rückzug (und wenn es nur die Ohrstöpsel sind) und los geht’s.

Reboot startet mit einer Piano-Version von Careless Whisper. Die kommt mehrmals in Band 2 von JAN/A vor und weckt Erinnerungen, die mich innerhalb von 60 Sekunden zum Schmunzeln bringen und all das Schwere einfach so hinwegfegen.

Darauf folgt der Song, der mich in wahrsten Sinn des Wortes vibrieren lässt: Unbreakable von Two Steps from Hell. Dazu habe ich sogar eine Choreografie, um die Wirkung noch zu verstärken. Es gibt ein paar Stellen, die breite ich meine Schwingen (oder Arme) aus und blicke in den Himmel – und fühle die Energie durch meinen Körper pulsieren. Egal, wie düster die Welt vorher war, der Adler in mir erhebt sich über all das hinaus und hoch hinauf in den Himmel.

Der Rest der Playlist ist dann eigentlich schon dem Genuss gewidmet.

Simpel, aber effektiv. Die Kombination von auditivem und kinästhetischen Anker, also Musik und Bewegung, beides Teile einer Fantasie, die ich bis in kleineste Details visualisieren und in mir fühlen kann. Umgangssprachlich behaupte ich mal: das fetzt!

Ich nehme weder Drogen noch Psychopharmaka. Ich habe die Kunst der Visualisierung kultiviert und verwende sie, um mich selbst in die von mir gewünschte Richtung zu schubsen.  Es funktioniert. Es macht Spaß. Es kostet am Anfang etwas Zeit und Ausdauer, um die gewünschte Routine-Reaktion zu erzeugen, doch es lohnt sich. Die Reboot Playlist ist einer meiner Tricks, um die sechsköpfige Quadriga auf Kurs zu halten.

Das wichtigste dabei: es geht nicht darum, stets auf Knopfdruck zu funktionieren. Das wäre der falsche Ansatz. Für mich geht es darum, eigenständig wieder aus dem Tief heraus zu kommen um anschließend für mich herauszufinden, ob es unter die Rubrik „kann mal vorkommen“ oder „da brodelt was gröberes im Untergrund“ einzuordnen ist. Entsprechende Schritte folgen.

Wir sind alle keine Maschinen. Wir sind Menschen. Wir sind vielfältig – wie unsere Gefühlswelt. Es gibt für alles eine Zeit: für Freude, Spaß, Zufriedenheit, … ebenso wie für Traurigkeit, Wut, Schmerz… Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten etwas davon aus unserem Leben verbannen. Sie alle gehören zu uns, aber wir sollten keiner von ihnen ausgeliefert sein – am wenigsten der Dunkelheit. Insofern ist es hilfreich einen Schalter zu haben, der auf Knopfdruck das Licht zurückkehren lässt.