Tagebuch meines neuen Lebens / Tag 19

Angekommen im neuen Zuhause. Da bin ich nun. Vor mir liegt die erste Nacht in meinem neuen Heim. Es stehen zwar noch etliche Kartons im Zimmer. Es fehlt noch da und dort dies und das, unter anderem ein Kleiderschrank, aber auch wenn nicht alles perfekt ist (was es nie sein wird), es spiegelt bereits meine persönliche Note wider und fühlt sich passend an. So weit, so gut.

Ein Teil von mir ist angekommen und freut sich auf das, was vor mir liegt.

Ein anderer Teil von mir ist traurig über das, was geschehen ist.

Und ich bin unbeschreiblich müde. Fast drei Wochen habe ich als Nomadin gelebt. Entwurzelt nach einem Vierteljahrhundert. Ich mag vielleicht geistig sprunghaft und flexibel sein, aber mein Lebensmittelpunkt ist es nicht. Der gleicht mehr einem Redwood Baum. Verpflanzen bekommt uns beiden nicht.

Ohne die Hilfe vieler Freunde und vor allem meines Sohnes, hätte ich sicherlich nicht so schnell wieder Wurzeln schlagen können. Das Gefühl, irgendwo hin zu gehören, ist für mich essenziell. In diesem Augenblick gehöre ich hierher, an diesen Ort, mein neues Zuhause. Ob es so bleiben wird, ist offen. Zu vieles ist noch in Bewegung, in Unruhe. Die Wellen, losgetreten von den Ereignissen um den 11.07., sind zwar abgeflacht, doch keineswegs völlig geglättet.

Für heute bin ich zu müde zum Nachdenken, zu müde zum Planen oder Organisieren. Für heute ist alles getan, was getan werden konnte. Alles andere wird sich morgen zeigen. Für heute will ich einfach nur zur Ruhe kommen und die erste Nacht in meinem neuen Heim in der Umarmung des Lebens verbringen – denn ich fühle mich nach wie vor vom Leben gehalten. Gleich, welches Chaos auch über mich hereingebrochen ist, so vieles hat sich in kurzer Zeit zu guten Lösungen gefügt, dass selbst mein kritischer Verstand resigniert und anerkannt, dass hinter all dem wohl so etwas wie ein Sinn stecken muss. Aber darüber denke ich morgen nach. Heute wird geschlafen. Gute Nacht. 😊

Tagebuch meines neuen Lebens / Tag 17

Heute morgen erhielt dieser Beitrag aus dem letzten Jahr ein Like – und das holte die Geschichte in meine gefühlte Gegenwart. Sie ist 100% autobiographisch.

Wie damit umgehen, diesen Lebensmensch verloren zu haben?

Ich weiß es nicht.

Vielleicht gibt es keine Antwort auf diese Frage. Kein Wissen um das „wie“?

Nach dem Schmerz kommt die Trauer. Irgendwann folgt auch wieder das Lachen. Auch wenn ich es gerne möchte, dieser Prozess lässt sich nicht beschleunigen. Mein Verstand arbeitet schnell, doch meine Gefühle fordern Zeit ein … notwendige, wichtige Zeit.

„Funktionieren“ wird nebensächlich.

Ich bin keine Maschine – werde es nie sein.

Ich bin ein Mensch. Ich fühle, mache Fehler, scheitere … stehe auf und gehe weiter. Vielleicht ein wenig angeschlagen, langsamer, nachdenklicher, verletzlicher … doch ich gehe weiter meinen Weg, lebe mein Leben, verharre im Gefühl der Liebe – zu mir selbst, zum Leben, zu den Menschen… auch zu dem einen, der nun nicht mehr an meiner Seite ist.

Es ist, wie es ist.

Und ich bin, wer ich bin.

Ein feuriger Funken Lebensfreude, der zur Zeit auf Sparflamme brennt, aber keinesfalls erloschen ist 🔥

Tagebuch meines neuen Lebens / Tag 11

Während ich meine Augen schließe, spüre ich dem Gefühl in mir nach. Es wäre so einfach, ließe es sich eindeutig zuordnen. Doch einfach ist in meinem Leben selten etwas – wie in diesem Augenblick. Da ist Traurigkeit, die sich wie ein allumfassender Schleier über die Geschehnisse legt. Ein Hauch von Schmerz, weil es nie soweit hätten kommen dürfen. Zuversicht, jenen Schritt zu gehen, den ich solange verweigert hatte. Erleichterung, weil ich diesen Schritt gegangen war, und tiefes Bedauern, weil ich diesen Schritt gegangen war.

So vieles habe ich zurückgelassen: Dinge, Orte, Menschen, einen ganz besonderen Menschen, jenen, den ich niemals zurücklassen wollte. Unzählige Erinnerungen drängen in mein Bewusstsein, bahnen sich ihren Weg aus jenem Ozean, der unaufhörlich vom Fluss des Lebens gespeist wird. Ein Ozean aus Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen, tief in uns verborgen, unsichtbar für alle jene rundum, intensiv spürbar wie kaum etwas anderes. Ein Ozean der uns – der mich durchdringt, in jedem Augenblick, mit jedem Atemzug, der mich fühlen lässt, wer ich bin, und was ich verloren habe, was ich freigab in der Hoffnung, es möge irgendwann durch schicksalhafte Strömungen zurück an meine Ufer gespült werden.

Einst hatte ich geschworen zu lieben – und ich liebe noch immer, richte meinen Blick in die Vergangenheit, versuche zu verstehen, Tag für Tag. Loslassen – ohne zu wissen, was zurückkehren wird. Oder ob überhaupt etwas zurückkehren wird. Liebe verschwindet nicht einfach, doch Zweifel kann sie vergiften, die Saat des Misstrauens nähren, deren Triebe sich um Angst und Verletzung ranken.

Weder Geld noch Gold können auch nur ein einziges Wort unausgesprochen machen. Niemand hat die Macht, Geschehenes ungeschehen zu machen. Worauf kann ich hoffen? Auf Verständnis? Vergebung? Versöhnung? Oder ist jede Hoffnung blanke Illusion? Zerbrochenes Glas bleibt zerbrochen. Scherben bleiben Scherben. Und doch ist da ein Licht in meinem Herzen, ein Funke nur, der hoffen will, glauben an das Unwahrscheinliche, vertrauen auf schier Unmögliches. Vermag Liebe jene Wunde zu heilen, die das Leben gerissen hat?

Gedankenverloren spüre ich meinem Atem nach, der durch meinen Körper strömt. Fühle die Schwere in meinem Herzen zurückweichen und das Lächeln, das zaghaft an die Oberfläche dringt, als sich eine vertraute Hand auf meine Schulter legt, als Geborgenheit mich umfängt und ich weiß, dass alles genauso ist, wie es sein soll.

… diese Zeilen schrieb ich am Vorabend. Die diffuse Idee zu einer Kurzgeschichte, die ich irgendwie festhalten wollte. Doch heute denke ich, es war viel mehr als das. Rational habe ich die Ereignisse seit dem 11.07.2020 analysiert, bewertet, verarbeitet, Entscheidungen getroffen und Prozesse in Gang gesetzt, um mein Leben neu auszurichten.

Emotional habe ich mich – um weitermachen zu können – für eine Weile auf Mute geschalten. Als die Nähe zu gegenseitigen Verletzungen und weiter zu Worten und Handlungen führte, die noch mehr Schmerz hervorriefen, sehnte ich mich nach Distanz, um wieder zur Ruhe zu kommen. Nachdem ich nun bereits einige Zeit getrennt und ohne Kontakt bin, fühle ich wieder das, was unterhalb der Verwundungen da war und immer noch da ist: Liebe, der Wunsch nach Nähe, der Wunsch für den anderen da zu sein.

Der Verstand weiß, dass eine Rückkehr zu den etablierten Beziehungsmustern nach einiger Zeit wieder zu Schmerz führen würde. Das Herz sehnt sich nach dem, was zwischen den Verletzungen da war. Meine „Kurzgeschichte“ spiegelt das eindeutig wider. Mein Unterbewusstsein kommuniziert mit meinem Bewusstsein, bringt den Wunsch zum Ausdruck, den mein Verstand als illusorisch abgehakt hat. Ein Viertel Jahrhundert emotionale Verbundenheit löst sich nicht in wenigen Stunden oder Tagen in Nichts auf. Der Schmerz emotionaler Verletzungen kann sich wie ein trübender Schleier darüberlegen, aber darunter bleibt es, was es zuvor war: Liebe.

Tagebuch meines neuen Lebens / Tag 7+8

Tag 7

Endlich geschafft! Sämtliche Kartons sind durchwühlt und sortiert. Phasenweise war es keine leichte Aufgabe, doch es hat sich gelohnt. Es fühlt sich richtig gut an. Mein Leben wurde um vieles erleichtert. Diese wiedergewonnene Leichtigkeit spüre ich auch deutlich in mir und bemerke sie auch in meiner Kommunikation mit anderen.

Nebenbei beginnen die diversen Amtswege, vor allem jene, die sich digital erledigen lassen.

Ich freue mich schon darauf, meine neue Bleibe zu gestalten. Eine WG wird für mich eine völlig neue Erfahrung. Und in zwei Tagen wird hoffentlich auch Gipsy den Weg alles irdischen gehen. Wieder auf meinen beiden Beinen stehen zu können, darauf freue ich mich auch schon sehr. Auf Tom und Jerry kann ich liebend gern dauerhaft verzichten. Um mir die Wartezeit etwas zu versüßen, surfe ich jetzt mal über im Onlineshop eines Möbelhauses. Schließlich brauche ich demnächst ein Bett. Auf dem Sofa meines Sohnes gedenke ich nicht ewig zu residieren.

Tag 8

Ständig werde ich gefragt, wie’s mir geht. Mir geht’s gut! Immer noch oder schon wieder? Ich weiß es nicht. Das Gestalten meines neuen Lebens nimmt meine Aufmerksamkeit in Anspruch, so dass ich wenig bis kaum Zeit dafür habe, in trüben Gedanken zu versinken. Dafür gibt es keinen Grund.

Meine Ex-Partner seit einigen Tagen nicht gesehen oder gesprochen zu haben, hat meine Emotionalität deutlich beruhigt und mich zurückkehren lassen in die Umarmung des Lebens. Ich freue mich darauf, eine Zeitlang nur für mich zu sein. Okay, innerhalb einer WG nur für mich, aber nicht auf eine Beziehung ausgerichtet. Eine Zeitlang nur meine eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und erfüllen zu können. Genau genommen habe ich das zuvor noch nie getan. Zumindest nicht, seit ich mit selbst wiedergefunden haben, als seit Oktober 2017. Alles, was ich tat, passierte immer auch im Abgleich mit den (angenommenen) Erwartungen anderer an mich.

Aus den sozialen Medien habe ich mich vorerst fast vollständig zurückgezogen und gönne mir hier eine kleine Auszeit. Mein Blog läuft zwar weiter, aber darüber hinaus mache ich weder Marketing noch irgendetwas anderes. Die Welt dreht sich auch ohne meinen Input weiter. Ein sehr beruhigender Gedanke.

Tagebuch meines neuen Lebens / Tag 5+6

Endlich wieder einmal richtig gut und erholsam geschlafen. Gestern Abend die letzten Kartons geholt und die offizielle Verabschiedung vom Ex-Partner. Ein paar Tränen waren dabei, aber nicht, weil ich ging, sondern weil die Kluft zwischen uns schmerzlich war. Schließlich begann es einst als Freundschaft, doch davon war scheinbar nichts übriggeblieben.

Ich staune über mich selbst, wie schnell ich diese langjährige Beziehung ablege. All die Jahre davor, wenn das Thema „Trennung“ in der Luft schwebte, drohte ich daran fast zu ersticken, versank in Schmerz und Leid, suchte die Schuld bei mir, verfiel in Selbstanklage und Ablehnung, kroch auf dem Boden (bildlich und wörtlich), um wieder seine Gunst zu gewinnen, ertrug seine offen zur Schau gestellte moralische Überlegenheit … all das nur, um einige Monate später wieder an diesem Punkt zu landen. Ab 2017 begann sich mein Verhalten zu verändern. Ich hörte auf, zu leiden, wenn zwischen uns wieder einmal Funkstille herrschte, blieb stattdessen ruhig und gelassen, während ich auf seine „Rückkehr“ wartete. Keine Selbstentwertung mehr, kein einseitiges Schuldeingeständnis, sondern ein offener Blick für die Zusammenhänge und das Zusammenwirken beider Seiten. Das sehe ich auch heute, und ich sehe die Unvereinbarkeit unserer Positionen, Werte und Interessen. Vielleicht kann ich heute deshalb so leicht und schnell gehen, weil ich schon viele Male an diesem Punkt gestanden habe, ohne den Mut aufzubringen, es zu tun. Die Bequemlichkeit obsiegte. Ich nahm in Kauf, innerhalb der Beziehung nicht ich selbst sein zu dürfen, Teile von mir selbst zu verbergen oder zu unterdrücken, um die Partnerschaft nicht zu gefährden. Doch welche Art von Partnerschaft ist es, wenn man nicht so sein kann, wie man ist? Wenn einer der beiden die Meinung vertritt, am anderen ist etwas „kaputt“, das repariert werden muss, damit die Probleme aus der Beziehung verschwinden?

Probleme in einer Beziehung haben immer mit beiden Seiten zu tun.

Heute sehe ich das, akzeptiere es und handle danach. Ich kann mich nicht länger selbst verleugnen oder unterdrücken. Das ist eine Form der Selbstverletzung, die weithin unbekannt ist, aber um nichts weniger schmerzt als Schnittwunden am Körper. Seelischer Schmerz ist unsichtbar. Genau deshalb ist er so gefährlich, weil die anderen ihn nicht erkennen und nicht eingreifen können. Genau deshalb geschieht manchmal etwas, das scheinbar völlig überraschend kommt, dass niemand erwartet hätte, weil eben niemand in die Seele eines anderen blicken kann.

Monatelang habe ich mich mit subtilen körperlichen Befindlichkeitsstörungen herumgeschlagen. Verspannungen, blockierte Lymphe, Nervenflirren, Muskelzucken … trotz dem Chaos an Umzugskartons, dem emotionalen Stress und Gipsy fühle ich mich körperlicher fitter als vor dem Crash. Ich fühle eine enorme Menge Energie in mir, die gerade freigesetzt wird, und die mich nach vorne blicken und gehen lässt. Durchatmen. Freiheit. Lebensfreude. Vor mir liegt eine Zukunft, die ich selbst nach meinen eigenen Vorstellungen gestalten werde.

Gemeinsam mit meinem Sohn habe ich rund die Hälfte der Umzugskartons (= mein ganzes Leben) sortiert und bewertet, was bleibt und was gehen darf. Letzteres verschwindet nicht einfach im Müll, sondern wird über Netzwerkkontakte verteilt und kommt diversen sozialen Projekten oder Menschen zu Gute, die dafür Verwendung haben und sich darüber freuen.

Zwischendurch tauchen alte Erinnerungen auf, wenn ich das eine oder andere in die Hand nehme. Tränen. Ein Kloss im Hals. Darf sein. Ist heilsam. Es war nicht alles schlecht. Viele schöne und gute Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre … ein Vierteljahrhundert gemeinsam. Wenn ich mein eigenes Alter bedenke – wer weiß, ob ich je wieder mit einem Menschen so lange in einer Beziehung sein werde. Bedauern im Vorfeld über eine Zukunft, die noch im Unklaren liegt? Weg mit diesen Gedanken. In der Gegenwart gibt es genug zu tun.

Ich lasse los – meine Vergangenheit und alles, was hinderlicher Ballast auf dem Weg in meine Zukunft wäre. Diese Auswirkungen sind auch körperlich erkennbar. Seit letzten Sonntag habe ich mindestens 2 kg verloren. Zumindest bis Mittwoch war es so. Danach machte Gipsy ein Abwiegen obsolet, aber wenn ich mich im Spiegel betrachte, sehe ich das verschwinden, was in den letzten Monaten beständig mehr geworden war und mich gestört hatte.

Es war definitiv an der Zeit für mich, loszulassen.

Sonntag

Wieder eine neue Erfahrung in meinem neuen Leben: auf einem Schreibtischdrehsessel sitzend die Küche putzen bzw. mit dem Staubsauger durch die Wohnung meines Sohnes zu düsen. Hat schon einen leichten Touch von durchgeknallt. Ich habe meinen Spaß dabei – und den kann ich gut gebrauchen, denn am Nachmittag ging’s an die zweite Hälfte der Kartons. Gegen Abend waren wir damit fertig und mein Leben fein säuberlich auseinanderdividiert – bis auf die Bücher, die folgen am Montag.

Erstaunlich, wieviel sich in den Jahren angesammelt hat, wie wenig mir bewusst war, was ich eigentlich alles besitze, und wie wenig es mit meinem Leben noch zu tun hat. Zeit, um radikal auszumustern. Vieles darf gehen. Loslassen, loslassen, loslassen …

Tagebuch meines neuen Lebens / Tag 4

Dank Gipsy (der Spitzname für meinen Spaltgips) zur (beinahe) Untätigkeit auf dem Sofa verdammt. Organisatorisches kann ich noch per Telefon/Internet erledigen, aber darüber hinaus … nada. Einbeinig duschen mit Müllsack am Fuß als Spritzschutz … oh Mann, nicht das erste Mal, aber das letzte Mal liegt doch schon ein paar Jahre zurück.

Zeit habe ich momentan mehr, als mir lieb ist. Ich würde – wie in der Vergangenheit – gerne einfach proaktiv die Sache angehen, etwas tun, mich ablenken … aber diesmal bin ich dazu verurteilt, zuzuschauen, was geschieht.

Für mich noch immer unglaublich POSITIV ist die vielfältige Unterstützung und Hilfestellung, die wie aus dem Nichts aufgetaucht ist. Viele Herausforderungen, die sich aus der Situation ergeben, lösen sich fast von allein auf, als würde jemand oder etwas die Steine aus meinem Weg räumen und mich einladen, in mein neues Leben voran zu schreiten … zumindest gedanklich/emotional.

Mir war bis vor wenigen Tagen nicht bewusst, wie viele Menschen für mich da sind, wenn ich Hilfe brauche. Das berührt mich tief und erfüllt mich mit Dankbarkeit. Ich kann nur hoffen, dass ich beides auch angemessen zum Ausdruck bringe.

Deshalb liege ich gerade auf dem Sofa, trockne Gipsy, der beim Duschen heute etwas gelitten hat, reflektiere über die vergangenen Tage und warum ich in dieser völlig verrückten Situation in mir eine unerklärliche Ruhe und Gelassenheit verspüre.

Bin ich total neben der Realität? Ich hätte nicht den Eindruck, kümmere mich um alles, was zu tun ist und blicke auf das, was da ist. Realitätsverweigerung kann es nicht sein.

Emotionaler Schockzustand, der mich entkoppelt? Passt auch nicht. Sicher, es hat extrem weh getan, 24 gemeinsame Jahre innerhalb von wenigen Tagen aufzulösen, aber irgendwie will ein Teil von mir nicht am Alten festhalten, auch wenn vieles davon schön und gut war.

Ich frage mich, wann es begann, auseinander zu driften? Vermutlich im Oktober 2017, als ich zur Reise zu mir selbst aufbrach. Zu Beginn, vor 24 Jahren, hatte ich viele Probleme, suchte und fand einen Beschützer und Versorger. Das hat viele Jahre recht gut funktioniert. Kleine Probleme gab es immer wieder mal, doch die Rollenverteilung blieb aufrecht. Seit 2017 bin ich unabhängig und eigenverantwortlich geworden. Ich brauche keinen Versorger oder Beschützer, weder in väterlicher Form noch als meinen Partner. Das brachte vermutlich die Rollen-Balance ins Kippen. Er ist nach wie vor der Typ Versorger und Beschützer. Ich möchte jedoch einen Partner auf Augenhöhe an meiner Seite, der mir die Verantwortung für mein Leben und meine Probleme überlässt und mir zutraut, dass ich damit klarkomme und wenn nicht, um Hilfe bitte. Genau dieses Thema war der Funke, der am vergangenen Wochenende unsere Beziehung explodieren ließ.

Meine Entwicklung führte mich weg von der gemeinsamen Richtung. Vielleicht fällt es mir deshalb relativ leicht, alles hinter mir zu lassen und in ein neues Leben aufzubrechen. Ich bin nicht abhängig von der Beziehung oder meinem Ex-Partner. Wir hatten unzählige schöne Momente zusammen und ich werde stets mit Wertschätzung an ihn zurückdenken, aber mein Weg geht vorwärts, nicht rückwärts. Was auch immer vor mir liegt, ich bin offen dafür und freue mich darauf.

Vielleicht zeichnete sich all das schon seit längerem ab und ich habe es nicht wahrnehmen wollen. Wenn ich meine Beiträge der letzten 12 Monate betrachte, dann gab es immer wieder das Thema „Beziehungsstress“. Das war nicht neu. Schon in den Jahren davor hatten wir regelmäßige Stressepisoden und kein brauchbares Tool, um diese Konflikte gut zu lösen. Das hätten wir eigentlich am vergangenen Wochenende im Rahmen des Seminars entwickeln wollen. Stattdessen kam es zur finalen Trennung. Vielleicht waren/sind unsere Konflikte nicht zu lösen, weil unsere Positionen zu weit auseinander liegen, um noch die Basis einer Beziehung zu bilden?

Das klingt jetzt alles wieder einmal sehr kopflastig, doch diesmal war das Gefühl da, bevor ich die Worte niederschrieb.

Es mag einige irritieren, aber mir geht es wirklich gut. Traurigkeit ist da, ja, ich lasse immerhin 24 Jahre meines Lebens mit dem Mann, den ich als meinen besten Freund bezeichnet habe, hinter mir. Doch gleichzeitig verspüre ich auch eine große Erleichterung, nicht mehr jeden Satz auf die Goldwaage legen zu müssen, ob ich nun die passenden Worte wähle, die auf Verständnis treffen. Nicht mehr verstecken zu müssen, wenn ich einfach durchs Wohnzimmer tanzen will (sobald Gipsy verabschiedet ist), weil es mir grundlos gut geht, das aber als Überemotionalität verstanden werden könnte.

War das nicht bereits ein Anzeichen? Voller Lebensfreude zu sein und diese „abzuschalten“, sobald der Partner den Raum betritt, weil es für ihn „zu viel“ ist?

Hätte ich unser Auseinanderdriften darin erkennen können, dass mein Partner keines meiner Bücher, Gedichte, Geschichten oder meinen Blog je gelesen hat? Trotz meiner Bitten und Erklärungen, dass er dadurch besser erfassen könne, wer ich bin? War er nicht bereit, sich auf meine Entwicklung einzulassen?

Viele Fragen. Letztendlich führen mich die Antworten zu dem Schluss, dass es gut so ist, wie es ist. Es tut noch weh, aber der Schmerz wird vorüber gehen. Die Freude wir wieder in den Vordergrund rücken. Ich fühle mich trotz dem ganzen Chaos um mich vom Leben umarmt, geborgen und geliebt.

Ich habe alles, was ich brauche: Liebe, Optimismus, Humor … und wirklich tolle Freunde, für die ich von ganzem Herzen dankbar bin.

Kurzgeschichte „Wünsch dir was“

Das grelle Sonnenlicht blendete mich. Ich schloss meine Augen, überließ mich meinen Gedanken, die um unzählige Themen kreisten und einfach nicht zur Ruhe kamen. Eigentlich wollte ihr hier ein wenig Ruhe finden, einfach nur in der Wiese auf meinem Rücken liegend den Zug der Wolken über mir am Himmel beobachten. Doch davon war ich nun meilenweit entfernt. Sorgen wollten mich nicht loslassen, Probleme nicht einfach so aus meinem Wahrnehmungshorizont verschwinden wie die fluffig leichten Wölkchen im tiefblauen Azur. Ich seufzte, als ich plötzlich etwas auf meinem Unterarm spürte und meine Augen wieder öffnete. Ein bunter Schmetterling hatte sich auf meinem Arm niedergelassen. Ein eigenartiger Schmetterling. Irgendwie wirkte er mehr wie eine …

„Heute ist dein Glückstag. Ich bin eine Schmetterlingsfee und du hast drei Wünsche frei.“

Überrascht hielt ich inne. Ein sprechender Schmetterling? Wo gab’s denn sowas?

„Ich bin eine Schmetterlingsfee“, konstatierte das flatterhafte Wesen nachdrücklich.

Okay, es war später Vormittag und ich war nicht betrunken. Offenbar träumte ich.

„Nein, du träumst nicht. Immer diese Skepsis.“

Vernahm ich etwa einen genervten Unterton in der Stimme dieses seltsamen Wesens?

„Schmetterlingsfee“, rief es – oder sie? – mir in Erinnerung, „und du hast noch immer drei Wünsche frei. Also, was darf’s sein?“

Sollte ich mich ernsthaft darauf einlassen? Vielleicht hatte ich einen Sonnenstich und halluzinierte? Oder waren in der Schwammerlsauce doch ein paar lustige Pilze gewesen? Wer weiß? Auf der anderen Seite: Was hatte ich schon zu verlieren? Rundum war niemand. Weit und breit keine Menschenseele. Also war auch nicht zu befürchten, schiefe Blicke zu ernten, sollte jemand mitbekommen, wenn ich mich mit einem „Schmetterling“ unterhielt.

„Schmetterlingsfee! Das ist ein Riesenunterschied.“

Echt jetzt? Der Flattermann war wohl etwas pedantisch.

„Erstens bin ich eine Fee, und kein Flattermann. Und zweitens bist du ein engstirniger Kleingeist. Glaubst du tatsächlich, dir haben sich bereits alle Geheimnisse des Universums offenbart, du Möchtegern-Allwissende?“

Das saß! Ich konnte spüren, wie sich meine Mundwinkel verzogen und ich meine Augen zusammenkniff. Dieser kleine Frechdachs …

„Schmetterlingsfee!“

„Schon gut“, knurrte ich am Ende meiner Gelassenheit angekommen, „du hast gewonnen. Ich will mal so tun, als ob es dich wirklich gäbe. Was willst du von mir?“

Das filigrane Wesen klappte seine bunten Flügel weit auf und tänzelte mit seinen winzigen Füßchen über meinen Unterarm. Wie das kitzelte – ich konnte nur mit Mühe den Reflex unterdrücken, mit meiner anderen Hand …

„Wage es nicht! Ich bin schließlich hier, um dir drei Wünsche zu erfüllen.“

Also ließ ich meinen rechten Arm wieder sinken.

„Schon besser. Also, deinen ersten Wunsch, bitte, ich habe ja nicht ewig Zeit.“

Ein wenig verdutzt über die Dreistigkeit dieses Winzlings rümpfte ich die Nase, um gleich darauf dennoch meine Überlegungen in Richtung „Was wünsche ich mir?“ zu lenken. Es gab so vieles, was ich noch nicht hatte und gerne gehabt hätte, doch meine Gedanken drifteten Richtung größerer Dimensionen, als ich meinen Wunsch zu formulieren begann, der eindeutig die Lösung ALLER Probleme auf diesem Planeten zum Ziel hatte.

„Stopp!“ quietschte das sonderbare Wesen auf. „Bevor du noch etwas aussprichst, solltest du die Regeln kennen.“

Regeln?

„Regeln! Deine Wünsche dürfen nicht die Entscheidungsfreiheit des Individuums einschränken.“

Wie bitte?

„Du darfst dir nichts wünschen, was gegen den Willen eines anderen ist.“

Äh, ja? Wünschen wir uns denn nicht alle, dass unser Planet frei von Problemen wie Umweltzerstörung, Kriegen und anderen Katastrophen ist?

„Grundsätzlich ja, ABER …“ hakte mein Elfchen …

„Schmetterlingsfee!“

… ein. Du meine Güte, war die Kleine empfindlich. Hätte ich einen Ausdruck in dem winzigen Gesicht erkennen können, es wäre wohl Missbilligung gewesen. Immerhin fuhr sie in ihrer Erklärung fort.

„Grundsätzlich wollen das zwar viele, aber nicht alle. Manchen geht es am Popo vorbei. Aber mehr als das, unterscheiden sich die Vorstellungen, wie es zu erreichen ist. Wie willst du z.B. einen Krieg um eine Region lösen, wenn beide sie für sich beanspruchen? Wer hat Recht? Wer soll verzichten? Beide Seiten werden gute Argumente für ihren Anspruch haben. Sich also das Ende aller Konflikte und Kriege zu wünschen, würde heißen zu entscheiden, wer Recht hat und wer nicht. Aber Recht nach welchen Maßstäben?

Mein Kopf begann noch mehr zu schwirren.

„Es ist also nicht so einfach, wie du dir das in deiner Weltretter-Naivität vorstellst.“

Okay, da musste ich wohl zustimmen. Es war nicht SO einfach. Ein anderes Thema: Gesundheit! Da wären sich doch sicherlich alle einige, oder etwa nicht? Nachdem mein Schmetterlingself – Verzeihung: Schmetterlingsfee – in einen heftigen Lachanfall ausbrach, gab es wohl auch hier ein großes ABER.

„Genau. Schau dich doch mal in der Welt um. Nicht alle Krankheiten müssten sein. Vieles könnte anders laufen, ABER auch hier wirken im Hintergründe Interessen und Entscheidungen, die du mit deinem Wunsch nicht verändern kannst. Und ganz ehrlich: manche Menschen klammern sich regelrecht an ihre Krankheit, als wäre sie selbst ohne diese bedeutungslos. Es ist also sehr kompliziert und definitiv nichts, wofür du einen Wunsch verschwenden solltest, den ich noch dazu nicht erfüllen darf und kann.“

Nun gut. Die Welt konnte ich nicht retten, weder Umweltzerstörung noch Kriege verhindern, nicht mal die Krankheiten heilen. Was blieb dann noch, was es sich zu wünschen lohnte? Die Habgier der Menschen beenden? Wäre gegen den Willen des Individuums. Neid, Eifersucht, Intoleranz, Böswilligkeit … alles individuelle Freiheiten. Schrecklich, aber so war es. Jeder entscheidet selbst über seine Handlungen. Mehr und mehr graute mir vor dem, was ich nicht beeinflussen konnte und akzeptieren musste, obgleich es viel Schaden rund um mich anrichtete.

„Denk nach. Ich habe nicht alle Zeit der Welt. Was möchtest du in diesem Augenblick? Was würde dir gut tun?“

Keine Ahnung!

„Sieh dich um.“

Mein Blick löste sich von dem bunten Winzling auf meinem Arm, streifte über die Wiese neben mir. Unzählige bunte Sommerblumen inmitten von kniehohem Gras, das sich an Spitzen bereits strohgelb verfärbte. Leuchtend rote wilde Mohnblumen neben tiefblauen Kornblumen. Strahlend weiße Margariten und dazwischen viele kleine rosa, gelb und orangefarbene Blüten. Eine sommerliche Brise ließ all das sanft vor sich hin wogen, untermalt von einem geheimnisvollen Rauschen, auf dessen Hintergrund sich das vielstimmige Konzert der Grillen und Zikaden entfaltete. Der Wind trug den Hauch des Sommers mit sich, der mich an ein Bukett von würzigem Thymian, sonnengeküsster Erde und Pinienharz erinnert, und den ich tief in mich aufnahm, während ich erneut die Augen schloss.

Die Welt die draußen, jenseits dieser Wiese, sie hatte ihre Probleme, doch ich konnte nicht eines davon lösen, wie sehr ich es mir auch wünschen würde. Irgendwie fühlte ich mich hilflos und unnütz, gleichzeitig war es aber auch irgendwie in Ordnung, weil ich eben nur ein Mensch war, ein kleines Rädchen in einem astronomisch großen Getriebe. Alles, was ich in diesem Augenblick wollte, war noch ein wenig hier zu verweilen, auf dieser Wiese, in der Ruhe und dem Frieden dieses Sommertages, einfach nur hier sein …

„Das ist ein guter Wunsch. So sei es.“

Überrascht öffnete ich meine Augen wieder. Wenige Sekunden blendete mich die Sonne, als ich blinzelnd die Schmetterlingsfee hochflattern sah – oder es zumindest so zu sehen glaubte. Denn im nächsten Moment senkte ich meinen Blick auf meinen Arm, auf das bunte Tattoo, das manche wohl als Schmetterling erkannt hätte, aber ich wusste um sein Geheimnis, um seine Magie, und schloss lächelnd meine Augen, während ich einfach nur da war, frei von dem Wunsch, das zu verändern, was nicht in meiner Macht stand und woran mein kleiner Schmetterlingself …

„Schmetterlingsfee!“

… mich wieder einmal erinnert hatte, bevor ich allzu tief in trüben Gedanken versinken konnte. Wie war das doch gleich? Wünsch dir was? Ich wünschte mir, noch ein wenig hier zu verweilen – bei mir selbst.

© Lesley B. Strong 2020

Dieser Geschichte begann ich VOR dem Wochenende, das mein Leben auf den Kopf stellte, zu schreiben. Heute habe ich sie vollendet. Es fühlt sich gut an, nach wie vor die zu sein, die ich bin.

Tagebuch meines neuen Lebens / Tag 1-3

Als ich am 23.Juli 2019 mit diesem Blog startete, hätte ich nie gedacht, das er knapp ein Jahr später dazu dienen würde, eine Veränderung zu verarbeiten, die mein ganzes Leben auf den Kopf stellt. Dennoch ist es heute so.

Wenn sich 24 Jahre Partnerschaft innerhalb von 48 Stunden in etwas verwandeln, vor dem man nur noch davonlaufen will, fängt man an zu zweifeln… an sich selbst… am Leben… an allem.

Heute ist der 14. Juli 2020 und mein Leben hat sich grundlegend verändert. Das überraschende Ende einer Beziehung nach beinahe 24 Jahren, keine Wohnung mehr, kein Auto… seit gestern bin ich Sofa-Touristin.

Wie es so weit kommen konnte? Eine lange Geschichte, die zu sehr schmerzt, um sie zu erzählen. Es würde sich nichts ändern. Ich blicke nach vorn.

Tag 1 von meinem neuen Leben.

Es tut weh, der Realität ins Auge zu blicken – und ist gleichzeitig befreiend. In meinem Blog habe ich viel über das Leben und Krisen theoretisiert. Jetzt bin ich mittendrin in der Praxis, in der Neuauflage von meinem Leben. Eine Geschichte, die ich in Echtzeit erzählen werde. Ziel: ein Happy end

Tag 2 in meinem neuen Leben

Von 24 Jahren blieben rund 70 Kartons. Die Startrampe in meine Zukunft … ein etwas holpriger Start, den ich einem unaufmerksamen Schritt auf einer Treppe verdanke. Nun ja, es ist schon wieder eine Weile her seit meinem letzten Krankenhaus Abend. Mal schauen, was das Röntgen ergibt. Meine Knochen haben schon so einiges ausgehalten.

Die gute Erinnerung an diesen Tag: echte Freundschaft und Unterstützung von echten Menschen. DANKE

Der Morgen von Tag 3 in meinem neuen Leben

Kurz nach Mitternacht mit einem Spaltgips und Krücken wieder auf dem Übergangssofa einzuziehen … eine sehr ambivalente Erfahrung, die mir hoffentlich ein weiteres Mal erspart bleibt.

Immerhin, erstmals seit letzter Woche mehr als 2 h Schlaf. Ganze 6 h. Luxus pur

Mein Sohn hat auch Recht behalten: ich lerne gerade Alexa zu schätzen, da meine Bewegungsfreiheit doch drastisch eingeschränkt ist. Alexa bringt mir zwar kein Frühstück, aber Licht und Musik.

Meine Gedanken werden auch allmählich ruhiger. 24 gemeinsame Jahre einfach so vorbei. Macht unglaublich traurig, dennoch – es gibt mir auch die Freiheit, über mich selbst nachzudenken und was ich mir von einer Partnerschaft erwarte. Wie ich feststellen musste, ließ meine (positive) Veränderung und Stabilisierung meines Borderline seit 2017 uns auseinanderdriften. Ich bin nun einmal nicht mehr die, die ich vor 24 Jahren war. Das ist eine Tatsache. Wie es aussieht, bin ich auch nicht die Richtige für meinen (Ex?)-Partner (irgendwie komisch, das zum ersten Mal zu schreiben). Das muss ich akzeptieren.

Wie geht’s weiter? Im Moment langsam und auf Krücken, aber es geht weiter. Aufgeben und im Jammertal der Tränen versinken? Nein, danke. Was würde es ändern? Ich habe ausgiebig reflektiert und meine Erkenntnisse daraus gewonnen. Die Traurigkeit wird noch eine Zeit bleiben, aber das ist in Ordnung. Schließlich hat sich die Liebe auf meiner Seite nicht einfach so in Luft aufgelöst. Sie ist noch immer da, aber auch das Bewusstsein, einen Partner an meiner Seite haben zu wollen, der mich als die schätzt, die ich bin, und nicht etwas in mir sieht, was ich einst war oder was in mich reininterpretiert wird.

In diesem Sinne geht’s weiter, Schritt für Schritt auf 2 Krücken …

Auflösung eines Flashback (Depression)

In diesem Beitrag werde ich beschreiben, wie ich mich selbst aus einer Depression herausbewegt habe – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich verwende nicht gerne den Begriff „Trigger-Alarm“, denn meine Schilderungen werden letztendlich zu einem positiven Abschluss führen. Dennoch, die Beschreibungen zu Beginn könnten etwas auslösen.

Entscheide selbst, ob du weiterliest.

Gestern wachte ich sehr früh auf, kurz nach Sonnenaufgang. Mein ganzer Körper schmerzte. Diese Schmerzen ließen sich jedoch nicht einer Ursache zuordnen. Vielmehr war es ein undefinierbares Empfinden von „alles tut weh“. Meine Gedanken begannen fast automatisch sich auf diesen Schmerz zu fokussieren, ihn in all seinen Facetten wahrzunehmen und damit auch zu verstärken. Meine Gefühle lösten sich auf in der Leere, die sich in mir breit machte. Alles in und an mir verkrampfte sich unter der Anspannung. Gleichzeitig war ich extrem unruhig, konnte wieder Füße noch Hände stillhalten.

Ein für mich vertrautes Szenario. Jahrelang verlief jeder Morgen wie dieser. Heute kann ich damit besser umgehen als früher. Heute weiß ich: Das, was ich fühle, ist nicht real, den es passt nicht zu meinem Leben. Aber langsam, Schritt für Schritt.

Nachdem an Schlaf nicht mehr zu denken war, bin ich raus aus dem Bett, kurz nach 5 Uhr früh. Ein Mini-Ritual im Badezimmer, dann ab in die Laufschuhe. Handy und Headset. Vor dem Spiegel im Vorzimmer stehend startete ich meine Running-Playlist mit der Zufallswiedergabe. Der erste Song: Highway to Hell von AC/DC. Unwillkürlich drängte ein amüsiertes Grinsen an die Oberfläche, dass so gar nicht zu meiner Stimmung und meinem Körpergefühl passte, aber ein Teil von mir wusste eben ganz genau, dass ich gerade in einem Flashback steckte. Dieser Teil hat seinen Spaß an Highway to Hell.

Wie auch immer. Raus aus dem Haus, über die Straße und ab auf den Waldweg. Die ersten Schritte waren noch ungelenk, doch die angenehm frische Morgenluft war herrlich. Freiheit, die mir um die Nase wehte. Schritt für Schritt ließ ich mich mehr und mehr in dieses Gefühl fallen.

Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich nicht vor der Depression davonlaufen (dieser Eindruck könnte entstehen), sondern auf mein positives Lebensgefühl zulaufe. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass ich im Alter von 3 Jahren zum ersten Mal auf Schi stand, mit 9 begann Basketball zu spielen und mit 27 Langstreckenläuferin wurde. Alle drei Sportarten übe ich auch heute mit 51 noch aus. Mein Leben lang mache ich Sport, bewege mich gerne. Daher ist Bewegung für mich mit vielen positiven Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken verbunden.

Im Wald war ich allein unterwegs. Kein Wunder. Vor 6 Uhr früh trifft man nicht viele Menschen im Wald, eher schon Rehe, Füchse, Hasen … oder einen Reiher im kleinen Flüsschen, der sich gerade sein Frühstück angelt. Oder einen Feuersalamander im Slow Motion Modus. Der Gedanke erheiterte mich. Ein Salamander wäre in der kühlen Morgenluft sicher deutlich ungelenker als ich. Ich könnte aber auch eine Wildsau samt ihrem Nachwuchs treffen. Nein, das wäre nicht so toll. Eine Begegnung dieser Art hatte ich bereits einmal. Unwillkürlich blickte ich mich um, auf welchen Baum ich wohl rasch Zuflucht suchen konnte, aber ich blieb allein auf dem Waldweg. Allein mit mir selbst und meinen Gedanken, die sich mittlerweile auf ganz anderes fokussierten als undefinierbaren körperlichen Schmerz. Apropos körperlicher Schmerz: den hatte ich irgendwo auf der Strecke verloren. Naja, kein wirklicher Verlust.

Während ich meine vertraute Strecke entlanglief – ich hätte das mit geschlossenen Augen tun können – beobachtete ich die morgendlichen Sonnenstrahlen, die sich zwischen den Bäumen hindurchzwängten. Ein mystischer Anblick, der meine Aufmerksamkeit vollends fesselt. Was wollte ich nochmal? Ach ja, richtig, ein paar Erläuterungen zu dem, was sich gerade in meinem Gehirn abspielte.

Also, mein Flashback löste ein (unerwünschtes) Synapsen-Feuerwerk in meinem Gehirn aus. Was auch immer der Auslöser während der nächtlichen Schlafphase war (ein Traum?), dadurch wurde ein Programm in meinem Gehirn gestartet, das mich altbekannten Schmerz (Phantomschmerz?) wahrnehmen ließ, alte Gedankenmuster aktivierte und so weiter …

Viele Jahre lang hielt ich diesen Zustand für „real“, also im Zusammenhang mit meiner Lebensrealität stehend. Doch das war er nicht und ist es auch heute nicht. Mein Leben ist in Ordnung. Kein aktuelles Problem in meiner Lebensrealität. Okay, ich arbeite etwas zu viel. Corona nervt mich (wie viele andere auch). Manche Autofahrer bezeichne ich als – wie sage ich das nett? – Ärgernis? Wenn ich lange genug nachdenke, gibt es einiges, was ich gerne verändern würde, bis hin zur Umweltpolitik usw. … ABER es gibt kein wirkliches Problem im Sinne von „etwas, das mich direkt bedroht in diesem Augenblick“. Allein im Wald kurz nach Sonnenaufgang, an der frischen Luft bei angenehmen Temperaturen und keine Wildsau zu sehen. Mein Leben war und ist völlig in Ordnung. Nur die Synapsen-Aktivität in meinem Gehirn will mir etwas anderes suggerieren. Also fahre ich mein Gegenprogramm.

Wie bereits erwähnt, ist Sport für mich sehr positiv belegt. Ein morgendlicher Waldlauf bei Schönwetter ist sowieso das Non-Plus-Ultra für mich. Damit startete ich gezielt ein anderes Programm, aktivierte andere Synapsen und Botenstoffe in meinem Gehirn. Alles, was Wohlbefinden auslöst. Ich lief weiter, und während ich lief, konnte ich – aus der Meta-Position heraus (mit ein wenig Übung kann man lernen, sich selbst von außen zu betrachten) – beobachten, wie sich der körperliche Schmerz vollständig auflöste, meine Stimmung aus der „düsteren Leere“ zurück in verspielte Leichtigkeit wechselte und ich gegen Ende meiner Runde wieder ein sprühender Funken Lebensfreude war.

Den perfekten Abschluss lieferte Tom Jones mit Delilah (hoch emotional, ich steh‘ auf den Song, auch wenn die Story eigentlich wenig erfreulich ist) und Sex Bomb. Oh Mann, als der Song rauskam, war ich Anfang 30 und verbrachte einen unvergesslichen Urlaub am Meer (mehr verrate ich jetzt nicht). Aber ehrlich, als ich wieder vor meiner Haustür stand, fühlte ich mich keinen Tag älter als 35 – und das um 06:30 h morgens nach ungefähr 8 km Waldlauf. Zurück in der Umarmung des Lebens.

Anfänglich nahm ich mir vor, dieses Erlebnis sofort aufzuschreiben, weil es gerade „frisch“ im Bewusstsein war. Doch dann kam mir mein Job dazwischen, und so schreibe ich 36 Stunden später diese Zeilen. Ich bin noch immer in der Umarmung des Lebens. Damit steht fest: es war keine kurzzeitige Ablenkung. Die Umpolung in meinem Gehirn hat funktioniert. Vielleicht nicht dauerhaft, denn Flashbacks können immer wieder auftreten. Doch ich weiß sowohl theoretisch als auch aus praktischer Erfahrung, dass ich mich innerhalb kurzer Zeit wieder auf Kurs bringen kann. Und das mit wenig Nebenwirkungen. Gut, ich habe vielleicht ein paar Kalorien zusätzlich verbrannt. Das werde ich sicher nicht bereuen 😉

Manchmal frage ich mich, ob Psychopharmaka Flashbacks verhindern können. Vielleicht dämpfen sie das Bewusstsein dermaßen, dass einfach keine Flashbacks mehr durchkommen. Aber will ich das, als gedämpfte Version meiner Selbst durchs Leben tapsen? Sicher nicht. Da bleibe ich lieber bei meiner pro-aktiven Variante und verbrenne Kalorien. Ein morgendlicher Lauf durch den Wald tut meinem Körper, meiner Psyche und meiner Seele gut. Intensive Emotionen, die ich nicht missen möchte. Manchmal driften die Emotionen in unerwünschte Regionen, dann hole ich sie einfach wieder zurück, indem ich mein Synapsen-Feuerwerk im Gehirn gezielt stimuliere.

Meinen Namen habe ich bewusst gewählt: Lesley B. Strong – sei stark. Ich bin stark. Nicht, weil ich alles aushalte, sondern weil ich nach jedem Absturz wieder aufstehe, mich aus jedem Flashback heraushole. Das kann ich tun, weil ich weiß, dass ich in Ordnung bin, so wie ich bin, und mein Leben grundsätzlich auch in Ordnung ist, so wie es ist. Ja, manche Autofahrer könnte ich … aber was soll’s? Mein Leben muss nicht perfekt sein, um in Ordnung zu sein. Ich muss nicht perfekt sein. Ich bin einfach, wer ich bin – nur ein Mensch, und deshalb perfekt darin, unvollkommen zu sein.

180° am Morgen

Wieder einmal wollte ich einen Beitrag basierend auf den Ereignissen der vergangenen Tage. Während ich also darüberschrieb, was geschehen war, warum welche Handlungen von Menschen nicht zielführend sind und wie sie sich selbst im Wege stehen, bemerkte ich, wie meine eigene Stimmung in den Keller sank.

Ich schaltete mein Laptop aus und ging schlafen.

Heute lief ich frühmorgens durch den Wald und reflektierte all das noch einmal. Meine ausgeprägte Fähigkeit, komplexe Systeme zu erfassen und vorhandene Fehler zu entdecken, wurde über Jahrzehnte trainiert und optimiert. Sie trägt heute einen wesentlichen Teil dazu bei, in meinem Job erfolgreich zu sein. Gleichzeitig belastet sie mich, weil meine Emotionen meinen Gedanken folgen. Immerhin habe ich einen Weg gefunden, die Balance zu halten und nicht wie in der Vergangenheit in einer Abwärtsspirale gefangen zu sein.

Will ich das auch in meiner Freizeit? In Lesleys Bubble? Mich ständig mit Problemen befassen? Problemen, die nicht meine eigenen sind? In meinen Leben gibt es aktuell keine ungelösten Probleme. Anders gesagt: Mein Leben ist in Ordnung. Warum mich also mit Problemen beschäftigen, an einem herrlichen Sommermorgen, während eines Waldlaufs? Welche Wahrnehmungsfilter waren gerade aktiv?

Probleme besitzen eine Art von Magnetismus, der magisch auf menschliches Denken wirkt. Sie ziehen förmlich unsere Aufmerksamkeit auf sich. Vielleicht weil das Lösen von komplexen Problemstellungen uns als Spezies überleben ließ? Wäre eine plausible Erklärung. Leider versteckt sich darin auch eine gefährliche Dynamik, die verhindert, einfach da Hier und Jetzt zu genießen. Hinter dem nächsten Baum könnte etwas lauern. Vielleicht sogar ein Problem?

Ich traf also eine bewusste Entscheidung und lenkte meine Gedanken zurück auf den schlammigen Boden unter mir. Hier und jetzt. Ein schattiger Waldweg. Vögel zwitscherten und ein Hauch von Sommer lag in der Luft. Schmutzige Laufschuhe. Alles bestens. „Don’t stop me now“ von Queen als musikalische Untermalung. Was will ich mehr? Nichts! Ich habe alles. Ich habe mich und die Fähigkeit, mich selbst auf Kurs zu halten.

Wenige Schritte später bog ich auf einen Weg ab, der zwischen zwei blühenden Sommerwiesen in der Morgensonne liegt. Am Wegrand leuchteten die ersten blauen Blüten der Wegwarten. Solange ich zurückdenken kann, mochte ich die Wegwarte. Keine Blätter, krautige Stängel und strahlendblaue Blüten. Viele Jahre später erfuhr ich von den Mythen, die sich um diese Pflanzen ranken. Die Heilpflanze des Jahres 2020 ist für mich stets ein Symbol für Ausdauer und Kraft. Ein Wink des Schicksals, ihr just in diesem Augenblick zu begegnen, als ich meine eigene Gedankenenergie in andere Bahnen lenkte? Zufall? Bestimmung? Oder eine Neuausrichtung der Wahrnehmungsfilter, dass ich sie an diesem Morgen zwischen all den anderen Pflanze am Wegrand erblickte? Ist die Antwort auf diese Fragen wichtig? Oder das, was geschehen ist? Ich lief weiter auf meinem Weg, lächelnd, strahlte wieder jene Lebensfreude aus, die ich in mir fühlte, nachdem ich alle problembehafteten Gedanken beiseitegeschoben hatte, und machte mir bewusst, was Freddie Mercury mir über die Ohrstöpsel erzählte:

… an amazing feeling is coming through … oh ja …  I was born to love you every single day of my life.

Ich weiß nicht, an wen Freddy diese Worte richtete, aber ich richte sie an mich selbst, an den Teil von mir, von dem ich nie wirklich getrennt war, trotzdem es eine Weile lang dachte/fühlte und wenn ich mich zu lange und zu intensiv mit Problemen beschäftigte, es auch wieder denke/fühle.

Manchmal, wenn ich zu tief in der Welt der Probleme versinke, braucht es diese 180° Grad-Wende, um wieder zu fühlen, wer ich bin, immer war und immer sein werden: Ein feuriger Funken Lebensfreude, tanzend auf den Schwingen des Windes über eine sonnendurchflutete Wiese, über schneebedeckte Gipfel und durch das flüsternde Blätterdach des Waldes.

Ich umarme meinen Drachen, dessen feuriger Atem all die Probleme in Flammen aufgehen lässt, aus denen sich schildernd mein Phönix der Lebensfreude erhebt.

Diese Metapher mag kindlich wirken, doch sie ist derart abstrakt, dass mein kritischer Verstand sie nicht zerpflücken kann, ihre Botschaft in meinem Unterbewusstsein ankommt und dort ungebremst ihre Wirkung entfaltet.

Und so bin ich in den heutigen Tag gestartet, der in Folge noch ein paar sehr erfreuliche Momente für mich bereit hatte. Wie hätte es auch anders sein können. Meine Wahrnehmungsfilter waren auf positives ausgerichtet. Probleme konnte ich an diesem Tag soweit das Auge reichte keine erkennen. Vielleicht waren sie da, für andere, aber nicht in meiner Wahrnehmung, denn mein Leben ist in Ordnung. Ich bin in Ordnung, voll und ganz.