APROPOS … RADIKALE AKZEPTANZ

Dieser Begriff begegnete mir in den letzten Monaten einige Male. Neugierig wie ich nun einmal bin, habe ich selbstverständlich dazu recherchiert. Die Kurzfassung: Neuer Name für etwas, das bereits in den alten Weisheitslehren zu finden ist, aber …

… ein neuer Name macht daraus keine Innovation. In diesem Falle finde es den Namen sogar ausgesprochen unglücklich gewählt. Warum?

Von vorne. Grundsätzlich halte ich das unter dem Begriff „Radikale Akzeptanz“ zusammengefasste Gedankengut für sehr wertvoll und wichtig. Allerdings ist der Begriff selbst kontraproduktiv, weil bei den meisten von uns im Unterbewusstsein das Wort „radikal“ alles andere als positiv belegt ist. Es wird mit Gewalt, Kampf, Druck usw. assoziiert. Akzeptanz wiederum bedeuten, zu etwas Ja zu sagen, es anzunehmen und ihm zuzustimmen.

Der Begriff „Radikale Akzeptanz“ verbindet also die Gewalt mit Zustimmung. Nicht auf der reflektierenden Verstandesebene, aber in der subtilen Welt unseres Unterbewusstseins, in dem Worte mit den dahinterliegenden Gefühlen und Bildern verarbeitet werden. Das will mir als eine in die Techniken des Mentaltrainings und der Autosuggestion Eingeweihten gar nicht gefallen.  Für mich klingt es nach einem Kampfauftrag, endlich anzunehmen, was da ist. Widerstand ist vorprogrammiert. Widerstand, durch den man sich dann hindurch kämpfen darf.

Auch das Wort „Akzeptanz“ bedeutet eher, dass es einem zwar nicht unbedingt gefällt, man es aber trotzdem annimmt. Auch so eine halbe Sache.

Die bereits vor Jahrtausenden entwickelte Grundidee des Annehmens, was ist, lautet ganz einfach: annehmen, was ist. Nicht mehr und nicht weniger. Je nach spiritueller oder religiöser Strömung wurden später Adjektive hinzugefügt, um es moderner erscheinen zu lassen:

Liebevolles Annehmen

Wertschätzendes Annehmen

Bedingungsloses Annehmen

Konsequentes Annehmen

Allumfassendes Annehmen

Kein einziges davon ändert die Kernbotschaft. Ich persönliche vermeide die Adjektive, da jedes von ihnen eine Wertung bringt, wo es keine braucht. Die von mir verwendete Formel lautet daher:

Es ist, was es ist … und ich stimme dem zu. Punkt.

Um diese Haltung einnehmen und leben zu können, hat es einige Zeit (bzw. Jahrzehnte) gedauert. Das gebe ich offen zu. Daher hier auch ein paar Tipps für hilfreiche Lektüre, um eventuell die Hürde schneller und leichter zu nehmen:

„Anerkennen, was ist“ von Bert Hellinger

„Trotzdem JA zum Leben sagen“ von Viktor Frankl

„Drehbuch für Meisterschaft im Leben“ von Ron Smothermon M.D. … dieses Buch hat mich besonders gefordert, weil es mir wie kein anderes meinen trägen, Ego lastigen und rechthaberischen Intellekt vor Augen führte, und damit verbunden, wie sehr ich mir selbst im Weg stand.

Annehmen, was ist … ist die Voraussetzung, um aus dem inneren und äußeren Kampf gegen das, was ist (das Leben!) in eine Haltung der Kooperation und Kommunikation zu kommen, mit sich selbst und anderen.

Aus meiner eigenen Erfahrung: Die Voraussetzung, um aus der Borderline-Dynamik aussteigen zu können.

Die Geschichte der Menschheit zeigt über Jahrtausende hinweg, dass der Konflikt erst endet, wenn alle Beteiligten aufhören zu kämpfen. Erst dann gibt es Gewinner auf allen Seiten. Solange gekämpft wird, verlieren alle.

Was entsteht aus radikaler Akzeptanz? Radikale Liebe?

Man möge mir Spitzfindigkeit und Wortklauberei vorwerfen, doch Worte sind so mächtig. Mächtiger als den meisten bewusst ist. Sie verändern, was in uns ist und aus dem wiederum alles entsteht, was wir nach außen tragen.

Es ist so leicht, verzweifelte Menschen, die nach Lösungen suchen, mit schlagkräftigen Worten auf einen Kurs zu schicken, doch wohin führt dieser Kurs? Je länger ich auf diesem Planeten wandle, desto mehr erlebe ich eine virale Kurzsichtigkeit der Menschen, eine Ausrichtung auf kurzzeitige Effekte und Erfolge, ein Ignorieren langfristiger Auswirkungen. Oberflächliche Symptomkosmetik anstelle von Ursachenbereinigung.

Gewalt zeugt Gewalt.

Liebe zeugt Liebe.

Jeder von uns ist frei, sich seine eigene Meinung zu bilden und eigene Entscheidungen zu treffen. Ich erinnere heute nur daran, das Liebe keine Radikalität braucht, um ans Ziel zu führen.

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TAGEBUCH MEINES NEUEN LEBENS: Tag 165 … (k)ein Weihnachtsdrama

165 Tage, beinahe ein halbes Jahr, so viel Zeit ist bereits vergangenen, seit ein Tsunami mein über Jahrzehnte sorgsam aufgebautes Leben innerhalb weniger Tage hinwegfegte, um ein Vakuum zu erschaffen, das sich auf wundersame Weise ebenso schnell mit Neuem füllte. Dieser Prozess hielt mich derart auf Trab, dass ich keine Zeit darüber hatte, mir im Vorfeld Gedanken (oder gar Sorgen) darüber zu machen, wie es wohl sein würde, seit Weihnachten allein zu verbringen – jene Zeit des Jahres, die mehr als jede andere mit „heiler Familie“ assoziiert wird – jene Zeit des Jahres, die mehr als jede andere mit „Familiendramen“ assoziiert wird – jene Zeit des Jahres, die ambivalent ist wie kaum eine andere.

Nun ist es so weit. Die perfekte Gelegenheit für eine Reflexion.

Weihnachten 2020. Mein letztes Weihnachten als Single war 1995. Mein Lebenspartner war zwei Wochen vor Weihnachten ausgezogen, ich war schwanger und in einem emotional undefinierbaren Zustand. In all den Jahren, die darauf folgten, wurde Weihnachten – obwohl nicht mehr allein – mehr und mehr zu einem Drama. War es vor 1995 oftmals eine Zeit, in der für wenige Tage alles unter dem Teppich gekehrt wurde, um eine „heile Welt“ um des lieben Friedens willen zu leben, so veränderte es sich ab 1996 dahingehend, dass immer öfter diese „heile Welt“ explodierte und all das Unterdrückte sich auf dramatische Art und Weise Beachtung verschaffte. Weihnachten etablierte sich als Synonym für Krise. Also stornierten wir Weihnachten. Auch ein Weg, dem auszuweichen, was man nicht anschauen will.

Weihnachten 2020. Bis auf den 24.12. mit familiären Verpflichtungen, der nicht ganz einfach war, sehr ruhig. Offenbar kommt es zwangsläufig zu Verletzungen, sobald mindestens drei Personen meiner Kernfamilie aufeinander treffen. Ein trauriger Umstand, aber ich bin nur für meinen Teil verantwortlich, ebenso wie jeder von uns.

Wie auch immer. Seit gestern Abend genieße ich es, für mich allein zu sein und Weihnachten auf meine Weise zu verbringen. Wenn mir danach ist, sende ich Gedanken in diese Welt hinaus, die zum Nachdenken und Fühlen anregen – und freue mich, wenn ich anderen damit für kurze Zeit ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann. Ich freue mich auch, dass es den Menschen, die einen Platz in meinem Herzen haben, gut geht, ganz gleich wo sie sich in diesem Augenblick auf diesem Planeten befinden. Diese tiefe innere Verbindung ist unabhängig von räumlichen Distanzen.

Ich bin allein, weil ich es in diesen Tagen auch sein will, aber ich bin alles andere als einsam.

Weihnachten wird oft als besinnliche Zeit des Jahres tituliert. Besinnung – genau darum geht es für mich. Auf das besinnen, was 2020 alles geschehen ist, innehalten, ordnen, neu ausrichten.

2020 war ein Jahr wie keines zu vor.

Das Corona-Virus hat in der ersten Jahreshälfte umfassende Änderung in meinem Job verursacht – wie wohl bei uns allen. Aber es war nicht der Tsunami. Der kam später.

Am 10. Juli 2020 wachte ich in einer Wohnung auf an der Seite des Mannes, mit dem ich mein halbes Leben verbracht hatte, den ich noch in diesem Jahr heiraten und für immer bei ihm bleiben wollte. Am 15. Juli 2020 legte ich einen Schlüssel in seine Hand und verließ die Wohnung für immer, mit 75 Kartons, die hauptsächlich meine Kleidung, Bücher und Töpfe enthielten. Alles andere ließ ich zurück. Möbel, Auto, … ich gab alles auf, nur nicht mich selbst.

Warum?

Weil diese wenigen Tage mich etwas erkennen ließen, dass ich bereits seit langem gespürt, aber konsequent verdrängt hatte: Dieser Mann liebte nur einen Teil von mir, einen anderen lehnte er konsequent ab und würde es immer tun, weil er diesen Teil (meine Emotionalität) nicht verstehen konnte und es nie würde, denn er fürchtete diese Emotionalität dermaßen, dass er sie unterdrückte, in sich – und in gewisser Weise auch in mir.

Als ich mich mit meinem inneren Dämon Borderline ausgesöhnt und zurück in die Umarmung des Lebens gefunden hatte, schwor ich mir selbst, gut auf mich selbst zu achten und nichts zu tun, dass einer Selbstverletzung gleichkäme. In einer Beziehung zu bleiben, die nur dann Bestand haben konnte, wenn ich kontinuierlich einen Teil von mir selbst unterdrückte, kam für mich einer Selbstverletzung gleich – und so verließ ich mein bequemes Leben innerhalb von wenigen Tagen, ohne zu wissen, wohin oder was mich erwarten würde.   

Die erste große Lektion, die 2020 für mich bereithielt:

Es ist, was es ist

Es gab vieles Schönes, für das ich immer dankbar sein werde, aber letztendlich war es kein Heim, sondern ein goldener Käfig, aus dem der Tsunami mich herausriss und an ein neues Ufer spülte, in ein echtes Heim, in dem ich in diesem Augenblick befinde. Die Wurzeln dieses „Zufalls“ reichen ins Jahr 2019 zurück, als ich begann, für eine liebe Nachbarin, die viel Zeit im Ausland verbringt, die Wohnung zu hüten. Hier fand ich Unterschlupf. Mehr noch, diese Nachbarin bot mir an, mit mir gemeinsam eine „Mädels-WG“ zu gründen. Platz sei ausreichend vorhanden und die Wohnung würde dadurch nicht mehr über Monate leer stehen. So kam es, dass sich zwei unterschiedliche, bewegte Lebenswelten an einem Ort zu überschneiden begannen.

Heute sitze ich in einem alten Rattenlehnstuhl, den ich bereits vor der Geburt meines Sohnes hatte, auf meiner Plüschdecke namens „Eisbärenfell“, auf der sitzend ich bereits JAN/A Band 1 getippt hatte. Meine Beine liegen auf einer Klavierbank, auf der die Tochter meiner Mitbewohnerin Klavier spielen gelernt hatte. Vor mir steht das Sofa, das mein Sohn sich gekauft hatte, als er ausgezogen ist. Neben mir ein Tisch, den wir aus dem Keller reaktiviert hatten. Hinter mir ein altes Kallax-Regal der ersten Generation neben den neuen, die heuer dazukamen. Meine bunte Häkeldecke unter ebenso bunten Ölbildern, die seit langem an den Wänden hängen. Kakteen, die bereits einige Winter auf der Fensterbank verbracht haben, und Orchideen, die eben erst eingezogen sind. All das macht zusammen mein „Heim“, eine bunte Melange vieler Leben und Erinnerungen, zusammengefügt an einem Ort, an dem ich willkommen bin, genauso, wie ich bin. Einem Ort, an dem ich keinen Teil von mir unterdrücken muss, sondern sein darf, wer ich bin.

Und dies ist die zweite große Lektion 2020:

Meine 3 Säulen für ein Verweilen in der Umarmung des Lebens

  1. ICH sein, so wie ich bin. Mich selbst voll und ganz annehmen und zustimmen, das ich bin, wer ich bin.
  2. Ein Plätzchen im Leben, an dem ICH sein darf, so wie ich bin. Dafür braucht es weder Luxus noch Perfektionismus. Willkommen zu sein zählt, nicht auf welchen Möbeln ich sitze.
  3. Menschen (und es genügt ein einziger!), die mich so annehmen, wie ich bin. Die nicht kritisieren oder urteilen, sondern mich auch dann noch lieben, wenn ich mal nicht perfekt funktioniere, mich gerade selbst im Weg stehe oder in meiner Fokussierung auf ein zu lösendes Problem nicht mehr sehe, was links oder rechts ist.

Auf diesen drei Säulen ruht mein Leben, das von den Stürmen 2020 zwar ordentlich durchgeschüttelt wurde, dennoch sitze ich heute hier in Gelassenheit und einer tiefen inneren Ruhe, in der Gewissheit, dass all die Ereignis dieses verrückten Jahres zwar eines „verrückt“ haben in meinem Leben, aber keinesfalls zum Schlechteren. Ganz im Gegenteil. Ich bin noch näher an mich selbst „herangerückt“, an die, die ich bin und auch sein will.

So verbringe ich mein Weihnachten 2020 allein, mit Schmetterlingen im Bauch, die jemand zum Flattern bringt, der gerade ganz wo anders sitze – und auch das passt genau so, wie es ist. Bevor ich mich in ein neues Abenteuer stürze, gilt es zuerst einmal, das alte abzuschließen.

Eine kritische Stimme in mir hinterfragt, ob ich – wie in der Vergangenheit – wieder an einem Fall von „Zweckoptimismus“ laboriere. Zeichne alles schön und lenke damit davon ab, dass du es eigentlich gerne anders hättest, aber das nicht sagen willst … falls dir diese Gedanken bekannt vorkommen, sie sind weitverbreitet. Krampfhaftes positives Denken. Tricky. Eine der vielen Formen von Selbsttäuschung. In meinem Fall schließe ich es diesmal nach eingehender Prüfung aus.

Ich meine es ernst. Mir geht’s gut. Es passt, wie es ist. Kein Weihnachtsdrama. Es ist anders als all die Jahre zuvor. Ein [nicht] ganz alltägliches Weihnachten. Passt perfekt zu mir 😊

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Eine zauberhafte Masche

oder

Eine [nicht] ganz alltägliche Weihnachtsgeschichte „In the Middle of Nowhere“

Der gefrorene Schnee knirschte unter jedem seiner Schritte, die ihn eilig vom Parkplatz wegführten, vorbei an einige in der Dämmerung nur noch schemenhaft erkennbaren Bäumen Richtung des Gasthauses „In the Middle of Nowhere“. Allein der Name sagte alles über den Ort, an dem er gelandet war. Unzählige Orte hatte er während seiner vielen Reisen gesehen, dies war einer mehr auf einer langen Liste.

Es war kalt. Ungewöhnlich kalt für Anfang Dezember. Die kalte Luft fühlte sich in seinem Gesicht an wie unzählige Nadelstiche. Fröstelnd zog der Händler die Schulter hoch und beschleunigte seinen Gang. Eiskalt. Eisiger Hauch in Form kleiner nebliger Wölkchen begleitete jeden Atemzug auf seinem Weg, doch es war nicht nur die eisige Kälte rundum, die sich wie ein unerwünschter Mantel aus Blei auf seine Schultern legte. Da war noch mehr, worüber er schwieg, und was der Händler niemals einem anderen erzählen würde.

Endlich war er an dem Gasthaus angelegt und trat ein. Ein dampfender Schwall überhitzter Luft traf ihn unmittelbar beim Durchschreiten der Schwelle. Die rustikale Stube war voller Menschen, lärmender Stimmen und unzähliger Worte, die sich in einer Melange aus Gesprächen mit scheppernden Tellern, zu lauter Musik und nicht zuordenbarem Gelächter vermischte. Irgendwo am Rande konnte er noch das Knistern brennender Holzscheite in einem Bollerofen wahrnehmen, den warmen Schein der Flammen hinter der Glasscheibe. Wärme. Ersehnte Wärme, doch sie war nicht das Einzige, was er suchte. Da war noch mehr, worüber er schwieg, und was er auch an diesem hereinbrechenden Abend an diesem Ort der Durchreise für sich behalten würde.

Der Händler hatte einen langen Weg hinter sich, war müde und hungrig. Die Schlüssel für sein reserviertes Zimmer in Händen haltend stand er nach einigen Minuten erneut in der Gaststube. Alle Tische waren besetzt, so setzte er sich auf einen der Hocker an dem Tresen und bestellte etwas zu essen. Während er wartete, blickte er sich um. In dieser Gegend gab es nicht viele Möglichkeiten zu nächtigen, daher war der Andrang kaum verwunderlich. Die meisten schienen in kleineren oder auch größeren Gruppen unterwegs zu sein. Kaum jemand saß allein – so wie er. Niemand schenkte ihm großartig Beachtung. Der Händler war nur einer unter vielen Reisenden, und so wandte er sich schließlich dem dampfenden Teller zu, den die Wirtin soeben vor ihm auf den Tresen abgestellt hatte.

Während er die heiße, intensiv nach Wald duftende Pilzsuppe löffelte, konnte er kaum vermeiden, das Gespräch mitanzuhören, dass drei Männer direkt neben ihm am Tresen führten. Diese schienen geistreichen Getränken offenbar bereits lebhaft zugetan an diesem Abend. Ihre Gestik wirkte überbordend und ihre Stimmen beschwipst. Sie lachten laut und viel, obwohl ihre Gesprächsthemen vom Händler als nicht sonderlich erheiternd empfunden wurden, weshalb er bestmöglich versuchte, all dies nicht wahrzunehmen und sich in das Display seines Smartphones vertiefte, auch wenn es dort nichts Interessantes zu finden gab, es lenkte ihn vom Rundum ab – bis plötzlich eine Socke auf eben jenem Display zu liegen kam. Der Händler blickte auf und in das Gesicht eines unrasierten Mannes, mit roter Nase und noch röteren, glasigen Augen, der herzhaft lachte und sich dabei ungelenk für das Missgeschick entschuldigte, das beim Hantieren mit einer Papiertüte und einem Paar Socken entstanden war.

„Stell dir vor, das hat sie mir geschenkt: Socken! Als ob ich keine Socken hätte“, mokierte der offensichtlich Angetrunkene sinngemäß in weniger wohlgesonnenen Worten, die zweite Socke voller Geringschätzung über dem Tresen schwenkend.

Der Händler betrachtete das, was vor ihm gelandet war: eine selbstgestrickte Socke in quietschbuntem Design. Vielleicht ein wenig zu bunt für einen erwachsenen Mann, aber so lebendig, so einzigartig und unverwechselbar, dass er sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.

Auf das fragende und etwas rüpelhafte „Was?“ des offenbar unzufriedenen Besitzers der Socke entgegnete der Händler: „Ich denke, da hat jemand viel Zeit und Arbeit investiert, um dir dieses Geschenk machen zu können.“

Daraufhin herrschte kurzzeitig Schweigen zwischen den Männern am Tresen inmitten der Geräuschkulisse der Gaststube. Danach brach der Angetrunkene in schallendes Gelächter aus, klopfte sich mit den Händen auf seine Schenkel und schüttelte den Kopf.

„Wenn du auf so was stehst, du kannst sie haben. Ich schenk‘ sie dir.“

„Nein danke“, erwiderte der Händler ruhig und legte den Löffel beiseite, den sein Teller war mittlerweile leer. „Diese Socken wurden für dich gemacht. Sie würden mir nicht passen.“

Dann wandte er sich von den drei Männern ab, schob den Teller an den hinteren Rand des Tresens und deutete der Wirtin seinen Wunsch zu zahlen. Die hämischen Worte der anderen ignorierend, agierte er mit Bedacht, doch auch mit verdeckter Hast, denn da war noch mehr, worüber er schwieg, und was er nicht zeigen wollte. Er beneidete insgeheim diesen Trunkenbold um das, was sich hinter diesem nur scheinbar banalen Geschenk verbarg: die Aufmerksamkeit eines anderen Herzens.

Nachdem der Händler seine Rechnung beglichen hatte, stand er vom Tresen auf und machte ein paar Schritte in die noch immer übervolle Gaststube. Einerseits wollte er sich noch nicht auf sein Zimmer zurückziehen, andererseits schien hier auch kein passender Platz für ihn. Während er sinnierend im Raum stand, holte ihn eine freundliche Stimme aus seinen Gedanken:

„Vergiss den Kerl. Manchmal bekommen die Falschen ein Geschenk vom Leben, das sie nicht zu schätzen wissen. Das ist zwar schade, aber nicht zu ändern. Hier ist noch Platz. Magst du dich setzen?“

Hinter einem großformatigen Block tauchte das Gesicht einer Frau auf, deren Augen mehr lächelten als ihr Mund. Sie lehnte mit ihrem Rücken am dunkelblauen Kachelofen, der seine wohlige Wärme unerkennbar bis weit in die Stube ausstrahlte. Dennoch schien es dem Händler, als würde auch von dieser Frau eine Form von Wärme ausgehen, und so folgte er gerne ihrer Einladung. Sie schob ein gestreiftes Sitzkissen in seine Richtung und er setzte sich neben sie auf die knarrende Holzbank.

„Was machst du hier?“ erkundigte sie sich.

„Ich bin auf der Durchreise.“

„Sind wir das nicht alle … irgendwie“, erwiderte die Frau kryptisch, die sich als Portraitzeichnerin zu erkennen gab. Rund um sie hingen an der Wand einige ihrer Werke. Fein ausgeführte, detailreiche Studien von Gesichtern, die das Leben gezeichnet hatte – im doppelten Wortsinn. Auch jetzt glitt ihre Hand flink über den Skizzenblock, führte sicher hier einen Strich und dort eine Schraffierung aus. Der Händler folgte interessiert ihrem Tun.

„Und was hat dich hierhergeführt?“

„Ich verdiene mir mit den Zeichnungen ein kleines Zubrot. Wenn die Gaststube voll ist, findet sich meistens Kundschaft. Und wenn nicht, übe ich einfach ein wenig.“

Sie lächelte, und ihr Lächeln war eines, das ein Herz erwärmen konnte.

An diesem Abend saßen der Händler und die Portraitzeichnerin noch lange an den Kachelofen gelehnt in der Gaststube, die sich von Stunde zu Stunde leerte, bis nur noch die Beiden und die Wirtin übrig waren. Sie unterhielten sich über ferne Länder, über Wunder, die sich erblickt hatten, über Rätsel, die noch der Lösung harrten, über das Leben, das sie hierhergeführt hatte. Wohl niemand hätte vermutet, dass sie einander eben erst kennengelernt hatten, so vertraut wirkten sie nebeneinander, stimmig im Tun und Denken. Leider endete dieser Abend mit der Sperrstunde.

Als der Händler schließlich sein Zimmer betrat, hielt er in seinen Händen einen Bogen Papier, auf dem sein Gesicht zu erkennen war. Die Portraitzeichnerin hatte das Blatt signiert und auch ihre Telefonnummer dazugeschrieben, für den Fall, das er noch Änderungen wünschte. Er betrachtete das Werk noch einige Zeit, bevor er es sorgsam zusammenrollte, mit einem Gummiband fixierte und ordentlich in seinem Koffer verstaute. Seine Gedanken und Gefühle in dieser Nacht waren nicht so einfach zu ordnen. Er lag noch lange wach, denn da war noch mehr, worüber er schwieg, weil er es sich selbst nicht erklären konnte.

Am nächsten Morgen setzte der Händler seinen Weg fort, ohne die Portraitzeichnerin noch einmal getroffen zu haben. Mit jedem Tag führte ihn seine Reise weiter fort von dem Gasthaus „In the Middle of nowhere“, doch seine Gedanken kehrten täglich dorthin zurück, wenn er den Bogen Papier zur Hand nahm und die Zeichnung darauf betrachtete. Es waren nur Striche, Linien und Schraffierungen, unverkennbar sein Gesicht, dennoch – da war noch mehr, was die Portraitzeichnerin erfasst und festgehalten hatte. Facetten seiner selbst, die niemand außer ihm kennen konnte. In ihrer Zeichnung fand er, was er der Welt zeigte – und was er vor ihr verbarg. Dass sie ihn auf diese Weise wahrzunehmen vermochte, irritierte den Händler zutiefst. Auch wenn er den Wunsch verspürte, sie wiederzusehen, so zögerte er doch, sie anzurufen, denn er fürchtete, dass da etwas war, das sie nicht auf selbe Weise erwidern würde. Zu viele Wunden aus der Vergangenheit, die noch immer schmerzten, hielten ihn davon ab, jenen Schritt zu wagen, den er ersehnte und gleichzeitig mehr als alles andere fürchtete.

Wenige Tage vor Weihnachten schlug der Händler einen Umweg ein, um noch einmal zum Gasthaus „In the Middle of nowhere“ zu fahren. Er wusste selbst nicht so genau, was er dort zu finden erhoffte, doch etwas ließ ihn nicht zu Ruhe kommen. Als er die Stube betrat, fiel sein Blick sofort auf den Platz am dunkelblauen Kachelofen, an dem die Portraitzeichnerin zuletzt gesessen hatte. Der Platz war leer. Seine Hoffnung wich einem Gefühl der Schwere, des Bedauerns, das er mit einer großen Portion Pragmatismus im Sinne „ist wohl besser so“ zur Seite schob. Dennoch nahm der Händler wieder an der Stelle Platz, an der er auch an diesem Abend vor einigen Wochen gesessen war, auf dem gestreiften Kissen, mit dem Rücken an der warmen Seitenfront des Kachelofens lehnend. Die Wirtin kam mit der Speisekarte, die aus einem einzelnen laminierten Blatt bestand. Der Händler winkte ab und bestellte nur die Pilzsuppe, die er zuletzt gegessen hatte.

Wenige Minuten später kehrte die Wirtin mit einem Teller dampfender, nach Wald duftender Suppe zurück – und einer kleinen Schachtel. Beides stellte sie vor dem Reisenden auf den Tisch und meinte, das Paket sei für ihn deponiert worden. Der Händler runzelte die Stirn. Wer sollte für ihn hier ein Paket deponieren? In the Middle of nowhere? Verwundert griff er danach. Es war schlichter, grauer Karton, verschlossen mit ein paar transparenten Klebestreifen, nicht sonderlich schwer, und wenn er die Schachtel schüttelte, war kein Geräusch darin zu hören. Der Händler schob den Teller Suppe etwas beiseite und begann, vorsichtig die Klebestreifen zu lösen. Dann nahm er den oberen Teil der Schachtel ab. Weißliches Seidenpapier kam zum Vorschein, dass er raschelnd entfaltete und darunter ein paar handgestrickte Socken entdeckte, die er staunend aus der Verpackung holte. Kunterbunt waren sie mit einem eigenwilligen Muster, angenehm weich, alles andere als perfekt, denn einige Maschen schienen nicht ganz ins Muster zu passen, doch genau das machte sie einzigartig, und mit Gewissheit hatte jemand viele Stunden damit verbracht, Masche für Masche aneinander zu reihen, um dieses Geschenk zu erschaffen … für ihn. Fassungslos schüttelte der Händler seinen Kopf.

Doch da war noch mehr. Am Boden der Schachtel lag ein gefaltetes Blatt Papier, auf dem stand in wunderschöner verspielter Handschrift: „Manchmal bekommen die Richtigen ein Geschenk vom Leben, das sie auch zu schätzen wissen. Denk an mich, wenn du sie trägst, so wie ich an dich gedacht habe, als ich daran gearbeitet habe. Frohe Weihnachten.“

Der Händler schloss die Augen, denn da war etwas, das er allmählich zu begreifen begann. Eine vage Hoffnung war dagewesen, eine diffuse Ahnung, doch es hatte dieser zauberhaften Masche eines einzigartigen Geschenks bedurft, um dieses ungewisse Etwas – die Aufmerksamkeit eines anderen Herzens – für ihn fassbar zu machen, derer er sich nun bewusst wurde, als er sein Smartphone ergriff und jene Nummer wählte, die er vor Wochen bereits gespeichert hatte.

© Lesley B. Strong 2020

WIE ICH LERNTE ALLEIN ZU SEIN, OHNE MICH EINSAM ZU FÜHLEN …

… das sind nämlich zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe: Allein oder einsam. Letzteres strebt wohl kaum jemand an. Gleichzeitig ist Ersteres eine wichtige Voraussetzung für vieles andere. Aber der Reihe nach …

Früher – und das ist noch nicht so lang her, wie es jetzt vielleicht klingen mag – gehörte ich zu den Menschen, die nicht gerne allein mit sich selbst Zeit verbringen. Obwohl es oft genug vorkam, dass mir Menschen einfach nur noch den Nerv zogen und ich mich am liebsten weit weg von allen in einer Hütte im Nirgendwo verkrochen hätte, wollte ich das nie ganz allein tun. Jemand sollte schon noch da sein, weil so ganz allein wollte ich dann doch nicht sein. Rückblickend und nüchtern betrachtet, wich ich damit sehr lange einem entscheidenden Punkt aus, nämlich mich mit mir selbst zu befassen.

So ganz alleine im Nirgendwo – das konfrontiert einem schon mit sich selbst auf die ganz harte Tour. Wem hätte ich die Schuld dafür umhängen können, mies gelaunt zu sein? Nur mir selbst. Außerdem machte es mir schmerzlich bewusst, wie leer und hohl ich mich fühlte, wie wenig ich mich selbst wahrnehmen konnte, wie anders ich war und bin. Anders bedeutete nicht dazugehörend. Einsam unter vielen. Wer will das schon sein? Wer kann sich das eingestehen, ohne daran zu zerbrechen? Dem wich ich lange konsequent aus. Andere Menschen rundum bedeuten immer auch Ablenkung, bieten reichlich Gelegenheit, sich mit deren Problemen zu befassen, anstatt auf die eigenen zu blicken. Es gab viele Gründe für mich, das Alleinsein zu meiden.

Darunter auch meine Aversion gegen Stille. Ruhe rundum machte den Lärm (Tinnitus) in mir erst so richtig hörbar und störend, weshalb ich stets auf eine gewisse Geräuschkulisse in meinem Umfeld achtete – nur um nicht den Lärm in mir zu hören. Oder meine eigene Stimme, meinen Dämon (à Begriffsklärung: „Dämon“ in der antiken Bedeutung = hilfreiches Geistwesen). Wie ich nämlich im Laufe der Zeit feststellen durfte, hängt mein Tinnitus unmittelbar vom Stresspegel in mir ab. Sinkt dieser, wird es auch leiser. Aber um das erst einmal zu bemerken, musste ich ruhig werden. Und dazu wiederum musste ich allein sein, denn solange Menschen rundum mich sind, nehme ich diese auch auf eine Weise wahr, die schwer zu erklären ist. Ich versuche es hier mit einem Bild:

Stell dir ein Glas Wasser vor, das auf einem Tisch steht. Stößt jemand gegen den Tisch, beginnt sich das Wasser zu kräuseln. Je heftiger der Stoß, desto heftiger die Schwingungen des Wassers. Ähnlich dem Wasser in dem Glas versetzt mich die Emotionalität (gelebt oder unterdrückt) anderer Menschen in Schwingung. Solange es „Good Vibrations“ sind, habe ich dagegen auch keinerlei Einwände, aber es gibt nicht nur „Good Vibrations“ da draußen, weshalb das Wasser (oder ich) nie völlig ruhig werden kann in der Umgebung von Menschen. Wobei – Ausnahmen bestätigen die Regel: es gibt ganz wenige Menschen, da gelingt es trotzdem. Vielleicht weil wir auf einer Wellenlänge schwingen. Das werde ich künftig noch ergründen.

Jedenfalls führt der Weg in die Ruhe und Entspannung für mich durch das Alleinsein. Also durch etwas, was ich früher nicht ausgehalten habe. Ich sehnte mich nach Ruhe, nach Geborgenheit, wollte den ganzen Lärm und Stress rundum hinter mir lassen, und gleichzeitig entstand genau durch diese Ruhe eine andere Form von Lärm und Stress in mir. Tricky, nicht wahr?

Aus diesem fiesen Kreislauf fand ich – mehr oder weniger – nur durch Zufall (oder Schicksal? Bestimmung?) heraus. Als ich meine inneren Konflikte beendete und begann, mich so anzunehmen, wie ich bin (inklusive meines mittlerweile geliebten Dämons – ohne ihn könnte ich vermutlich niemals solche Geschichten schreiben, wie ich es heute tue), wurde es ruhig in mir. Eine kraftvolle Stille, in die ich mich gerne fallen lasse und es genieße, allein zu sein, mit mir selbst, nur meine eigene Schwingung zu fühlen, meine eigene Melodie in mir zu hören, einfach nur ich zu sein.

Ich mag Menschen nach wie vor und verbringe auch gerne Zeit mit und unter Menschen, ebenso wie ich gerne Zeit mit mir selbst verbringe.

So wie ich das sehe, ist die Fähigkeit, mit sich selbst allein sein zu können, die Basis, um mit anderen Menschen zusammen sein zu können, ohne diese mit Erwartungshaltungen einzudecken – sowie Vorwürfen, Anklagen und Schuldzuweisungen, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden.

Erwartungshaltungen können echte Beziehungskiller sein.

Ich bin eine Vollblut-Romantikerin mit einem Faible für ein romantisches Happy End zu zweit vor einem flammenden Sonnenuntergang, ABER ich erwarte nicht (mehr), dass ein einzelner Mensch alle meine Defizite und unbearbeiteten Themen ausgleicht, mir damit quasi meine Lebensaufgabe abnimmt (… denn damit würde ich „mein eigenes Leben aufgeben“ … man beachte die Mehrdeutigkeit!) und die Verantwortung für mein Wohlbefinden und Glück übernimmt.

Wenn ich etwas in den letzten Jahren gelernt habe, dann das:

Ich lehne mich gerne mal an den Menschen an meiner Seite an, und frage auch ab und an nach Hilfe, aber für meine Herausforderungen (oder umgangssprachlich: Probleme) übernehme ich die volle Verantwortung und kümmere mich selbst darum, weil nur ich ALLEIN in mir etwas verändern kann. Und alle unsere Probleme beginnen in uns mit der Entscheidung, ob wir etwas als Problem betrachten … aber das ist eine andere Geschichte, die ich demnächst wieder einmal in ihrer Vielfalt beleuchten werde 😉

Im Gegensatz zur Einsamkeit, kann Alleinsein eine Quelle der Kraft und Inspiration sein.

Als mir bewusst wurde, das ich in mir bereits alles habe, um mein Leben zu meistern, allem voran die Stärke, mit mir selbst allein zu sein, schrieb ich mir diese Stärke auf meine Fahnen und wurde Lesley B. Strong, die Geschichtenerzählerin, die in der Stille des Alleinseins eine schier unergründliche Tiefe des Fühlens erlebt und diese über aneinander gereihte Worte mit anderen teilt. Was genau genommen dazu führt, dass ich eigentlich nie allein bin. Räumlich vielleicht, aber über meine Geschichten bin ich stets auch mit jeder Leserin und jedem Leser verbunden, weit über alle räumlichen und zeitlichen Grenzen hinweg.

Systemisch betrachtet ist niemand von uns je allein, denn wir sind alle eingebunden in etwas Größeres. Wir können unsere Körper für begrenzte Zeit an einen Ort fernab anderer begeben, doch das ändert nichts daran, dass wir über Beziehungen, Gefühle und Gemeinsamkeiten verbunden sind. Was im Außen relativ einfach zu erkennen ist, gilt es in uns als Wahrheit zu fühlen: auch im Alleinsein mit „allem eins zu sein“.

Insofern ist Einsamkeit nur die Illusion eines Geistes, der sich noch nicht selbst gefunden hat.

Bild: pixabay.com

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WIE ICH LERNTE, HILFE ANZUNEHMEN …

Bevor ich mich diesem unglaublich wichtigen Thema widme, ein paar Sätze zur Entstehung: Ich würde ja gerne behaupten, dass meine Themenwahl durchdacht und geplant ist, doch das wäre gelogen. Im Gegensatz zur weitaus vorausschauenden Planung im Job, überlasse ich es als Autorin, Bloggerin und Lebensphilosophin dem Leben selbst, mir die Inspiration für meine Beiträge zu liefern. Manchmal sind allerdings auch unerfreuliche Ereignisse und der dazu von mir verfasste Beitrag ein Weg, meine eigene Rolle im Leben besser zu verstehen.

Aktuell geht es um das Thema Hilfe und Hilfestellung. Es gibt mehrere Menschen in meinem Leben, die eine schwierige Zeit durchleben, persönliche Krisen, gesundheitliche Probleme, manche wie aus dem Nichts auftretend, andere die sich über längere Zeit abgezeichnet haben, was sie jedoch nicht weniger herausfordernd macht. All dies mitzuerleben, quasi daneben zu stehen und nichts tun zu können, außer Hilfe anzubieten in der Hoffnung, dass sie angenommen wird, doch wenn nicht, einfach nur zum Zuschauen verdammt zu sein, ist eine der härtesten Prüfungen, die das Leben mir auferlegen kann. Deshalb schreibe ich mir hier heute einiges von der Seele.

Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche.

Ganz im Gegenteil. In meinem Verständnis ist das Annehmen von Hilfe ein Anerkennen der Tatsache, das wir alle nur Menschen sind, die irgendwann an ihre Grenzen stoßen, die nicht alles beherrschen und – zum Glück – weit weg von „perfekt“ funktionieren.

Diese Einsicht gewann ich vor gar nicht allzu langer Zeit. Davor residierte ich auch im Lager jener, die es unbedingt allein hinbekommen wollten, obwohl ich oft genug lautstark konstatierte, dass „mir alles zu viel wäre“, doch Hilfe nahm ich nicht wirklich an. Mir ging es mehr darum, Anerkennung für meinen Einsatz, meine Leistungsbereitschaft, mein Ertragen des scheinbar Unerträglichen zu bekommen. Hilfe annehmen? Mir Last abnehmen lassen? Schwach und unfähig erscheinen? Das verinnerlichte Selbstbild der Wertlosigkeit erfüllen? Nie und nimmer … so ungefähr lässt sich meine frühere Einstellung zusammenfassen.

Gleichzeitig war ich stets sehr hilfsbereit und bemüht, wenn es darum ging, anderen etwas abzunehmen. Manchmal auch ungefragt. Hilfe anbieten … das fühlte sich gut an. Es machte mich groß und stark, vermittelte mir also genau jenes Gefühl, das ich NICHT in mir trug. Selbstverständlich erlag ich dabei der mehrfachen Selbsttäuschung.

Wenn ich heute all die Facetten dieser Illusion betrachte … mich selbst klein machen, um mir etwas aufbürden zu können, das mir ein Gefühl von Größe und Stärke verleiht … dabei ignorieren, das ich längst groß und stark war, weil ich sonst nie all das hätte schaffen können, was ich geschafft habe … und all dies, um von anderen etwas zu bekommen (Anerkennung), was ich längst schon bekam, ohne es jedoch erkennen zu können, weil ich die Sprache (der Anerkennung) noch nicht zu sprechen gelernt hatte (im inneren Dialog mit mir selbst) … gruselt mir manchmal vor unserer zutiefst menschlichen Fähigkeit, unsere Hölle auf Erden selbst zu erschaffen – in unseren Köpfen und unseren Leben.

Wie lernte ich also, Hilfe anzunehmen?

Es brauchte dafür zwei Faktoren, die zeitgleich eintraten (im Juli 2020):

Einerseits zog mir das Leben sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weg, warf mich mitten in der dramatischsten Veränderung meines Lebens über eine Treppe und verpasste mir einen Liegegips mitten in der Übersiedelung, die aus einer Notsituation heraus geschah und keinen Aufschob duldete. Nur ein Schritt – und plötzlich war ich auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen, konnte mich nicht einmal allein von A nach B bewegen. Ich musste in einem emotionalen Ausnahmezustand um Hilfe bieten und erwartete damals vieles, aber keinesfalls die rasche und vielfältige Unterstützung, die ich von rundum erhielt.

Andererseits landete ich in einem neuen Umfeld, in dem ich zum ersten Mal in meinem Leben so angenommen wurde, wie ich bin, ohne Vorwürfe, Ablehnung, Beschränkung oder sonstiges in der Art zu erfahren.

Es fällt wesentlich leichter, um Hilfe zu bitten und diese auch anzunehmen, wenn dies keinen „Imageverlust“ nach sich zieht, sondern man weiterhin wertgeschätzt und respektiert wird; wenn das Annehmen von Hilfe als kluge Entscheidung und nicht als Eingeständnis von Unfähigkeit verstanden wird. Und wenn die Helfenden sich nicht als „die Besseren und Stärkeren“ darstellen, sondern als Helfende auf Augenhöhe, denen bewusst ist, das sie es vielleicht sind, die morgen schon Hilfe von anderen brauchen könnten.

Unzählige Male habe ich es schon (insbesondere in meinem beruflichen Umfeld) erlebt, das Menschen zu verbergen versuchen, wenn sie nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll oder alles zu viel wird – häufig genau aus dieser Angst vor einer Gefällebildung (die es zwischen Eltern und Kindern tatsächlich gibt, aber zwischen Erwachsenen eine „ungesunde“ Verschiebung bilden) oder dem Abgleiten in ein Abhängigkeitsverhältnis. Viel zu oft musste ich auch den folgenden Zusammenbruch miterleben. Ich frage mich oft, ob es verhindert hätte werden können. Besonderes wenn es Menschen trifft, zu denen ich eine persönliche Beziehung habe. Für mich bedeutet Beziehung immer auch eine Art von Verantwortung im Sinne von „hab ein Auge auf den anderen und sag, wenn dir auffällt, dass etwas in die falsche Richtung läuft“. Daneben zu stehen und zusehen zu müssen, wie der eingeschlagene Kurs in den Crash führt, ist schrecklich für mich. Heute verstehe ich, wie schlimm es damals für mein Umfeld gewesen sein muss, mir dabei zuzusehen. Hilfe wurde mir seinerzeit vielfach angeboten, doch ich konnte sie nicht annehmen.

Hilfe anzunehmen ist ein Teil der Selbstsorge …

… für mich geworden, denn ich kann nicht alles selbst können. Ich kann vieles, aber nicht alles. Und auch nicht endlos. So, wie ich gelernt habe, Hilfe anzunehmen, habe ich auch gelernt, vor allem im Job manches zurückzuweisen, was meine Ressourcen überschreitet.

Im Juli, als ich den stürmischen Wellen des Schicksals zu versinken drohte, sagte mein Sohn zu mir: „Das schaffst du allein nicht. Bitte um Hilfe. Die Menschen sind hilfsbereiter, als du denkst. Du musst nur danach fragen.“

Er hatte Recht.

Mehr noch. Weder verlor ich an Achtung oder Respekt, noch schätze mich danach jemand als schwach oder bedürftig ein. Ganz im Gegenteil. Einige Freundschaften vertieften sich sogar, weil meine Maske fiel. Die Maske der „unerreichbaren Perfektionistin“, die alles ohne Hilfe anderer hinbekommt und die stets auch einen unangenehmen Beigeschmack vermittelte: besser zu sein. Ohne es zu wollen, wurde ich schon mal als arrogant wahrgenommen, weil ich mir nicht zugestand, Schwächen zu zeigen oder eben um Hilfe zu bitten.

Um Hilfe zu bitten macht uns menschlich, denn genau das tun Menschen, wenn sie nicht weiterwissen: Sie bitten andere um Hilfe.

Es ist durchaus ein Zeichen von Reife, die Annäherung an die eigenen Grenzen zu erkennen und daher fast schon „weise“, zeitgerecht um Hilfe zu bitten.

Oder wie es ich es gerne auch ein wenig philosophisch formuliere: „Du kannst nicht größer sein als du dir eingestehst, klein zu sein.“

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