In den vergangenen zwei Wochen habe ich viel Zeit damit verbracht, in mich zu gehen, zu fühlen, zu verstehen. Nach den „Prüfungen des Lebens“ im Mai, fand ich mich in einem Zustand wieder, für den ich noch die passenden Worte suche. „Angekommen“ war ich bereits öfters, aber nie zuvor fühlte ich mich so ICH. Kraftvoll, innerlich gelassen, voller Lebensfreude, frei von jeglichem inneren Konflikt.
Ich bin einfach ICH.
Plötzlich läuft auch wieder die Arbeit an Band 3 meiner JAN/A-Trilogie. Über drei Jahre zieht sich der Schreibprozess nun bereits hin. Es war keine Schreibblockade, die mich aufhielt, es waren meine eigenen inneren Entwicklungsprozesse, die nun offenbar abgeschlossen sind.
Ein wunderbarer Zustand, ganz ICH zu sein, mit all den intensiven Empfindungen und Wahrnehmungen, gleichzeitig in Balance mit mir selbst und meinem Umfeld. Ob mein Umfeld das auch so sieht, ist eine andere Frage. Manche Menschen werden unrund, wenn sie auf „runde“ Menschen treffen und versuchen, diese in ihr eigenes Drama zu verwickeln, damit sie nicht so allein in der Sch*** stecken. Derzeit funktioniert das bei mir nicht. Meine Oberfläche hat eine Art Lotus-Effekt“ entwickelt, wie eine Anti-Drama-Haftbeschichtung. Hoffentlich hält dieser Zustand sehr lange an.
So weit mein Schritt nach vorne.
Um diesen in seiner gesamten Tragweite erfassen zu können, stelle ich hier etwas dazu, dass ich im Zuge der Aufräumarbeiten nach meinem PC-Crash wiedergefunden habe. Die Daten der Festplatte sind zwar hinüber, aber auf diversen USB-Sticks fand ich rund 1.500 Dateien wieder – ein erfreulicher Nebeneffekt meiner „ich lege es mal in einen Löschordner und lösche es später“-Strategie. Stundenlang sortierte ich also Dateien. Dabei tauchte etwas auf, das ich Ende Mai 2020 schrieb, wenige Wochen bevor meine langjährige Beziehung explodierte. Zerbrochen war sie aus heutiger Sicht bereits davor, nur hielt ich die Scherben lange Zeit zusammen.
An jenem Tag verlangte mein Ex-Partner von mir mich auf das bevorstehende Paarseminar vorzubereiten und den Fragebogen auszufüllen. Seiner Meinung nach machte ich das nicht sorgfältig genug, was er mir auch zu verstehen gab. Ich verspürte eine Unmenge an Druck, der sich damals erstmals in Worte fassen ließ. Durch die Arbeit an JAN/A hatte ich bereits meine „Sprache des Unbewussten“ trainiert. Als ich nun – nach ziemlich genau drei Jahren – diese Zeilen las, blickte ich in den Spiegel meiner Vergangenheit und mir wurde klar, dass es mir damals wesentlich schlechter ging als ich mir selbst zu dieser Zeit eingestand.
Ein Blick zurück.
Das nennst du Liebe? Wenn ich nicht sein darf, wer ich bin? Was ist falsch an mir? Nichts. Ich bin einfach anders. Aber das durfte ich ja noch nie sein. Alle haben an mir herumgebastelt, meinen Kopf mit ihrem Schrott gefüllt. Das ist es, was ich nicht mehr aushalte: zu sein, was ich nicht bin. Rollen zu spielen, die längst nicht mehr passen. Treib mich weiter. Schlag mich. Worte können mich längst nicht mehr berühren. Mein Körper fühlt keinen Schmerz mehr. Ich bin zum Schmerz geworden. Meine Seele blutet. Das wolltest du erreichen? Sei stolz darauf, denn es ist dir gelungen. Ich liege am Boden, doch ich werde wieder aufsteigen. Ich werde mich über all das erheben, über all den Schmerz und durch den Schmerz hindurch. Du glaubst, du hast gewonnen? Etwas erreicht? Ich bin nicht du. Ich lebe nicht dein Leben und du fühlst nicht, was ich fühle. Eingesperrt in ein Korsett aus Konventionen. Unfrei in jeder Minute, gefesselt bei jedem Atemzug. Ich fühle unendlich, mehr als Worte sagen können, mehr als Menschen verstehen können.
Ich bin ein Herzschlag in der Ewigkeit. Ein Tropfen, der wieder und wieder in die Stille eines ruhenden Sees fällt und dessen Wellen an weit entfernte Ufer branden. Ich bin wie der Wind, der sich am Flügel des Adlers bricht und ihn höher und höher empor trägt. Ich bin das Chaos und die Ordnung, dunkler als die schwärzeste Nacht und gleißend wie das Licht der Sonne zur Mittagszeit. Ich bin reines Fühlen im Augenblick. Ich bin Veränderung. Ich bin ein feuriger Funken Lebensfreude.
Zwing mich gegen meine Natur zu leben, und ich werde das Gegenteil all dessen, was ich bin. Wer erschafft, kann auch zerstören. Zwing mich in deine Schranken, und ich werde zu einem Schatten, kalt, dunkel, leer. Düsternis hüllt mich ein, in deren Mitte Schmerz an Süße gewinnt. Du hast mir fast alles genommen, was mir Freude bereitet hat, nur eines kannst du mir niemals nehmen: den Schmerz. Wenn nichts mehr bleibt, wenn alles verloren ist, liegt unendlich viel Trost im Schmerz. Ein vertrauter Freund, verlässlich und treu. Solange ich Schmerz empfinden kann, wirst du niemals über mich siegen, mich nie vollständig bestimmen. Dies ist mein Widerstand gegen dich und du wirst ihn niemals brechen. Schlag mich. Füge mir Schmerz zu. Ich werde es ertragen und der Schmerz wird mich stärker machen, mit jedem Schlag, mit jedem Wort, mit jeder Demütigung, mit jeder Ausgrenzung. Schmerz macht mich stark, denn er ist das, was du fürchtest. Deshalb sehne ich mich nach dem Schmerz, denn er hält dich fern. Wenn ich leidend am Boden liege, hältst du inne. Dann habe ich gewonnen. Schmerz ist mein Schutzschild. Er hält dich davon ab, mehr von mir zu fordern. Wenn ich am Boden liege, wenn ich nichts mehr zu geben habe, wenn mir nur der Schmerz bleibt, darf es genug sein. Dann ist dein Hunger gestillt, verlangst du nichts mehr von mir, denn du hast alles genommen – oder glaubst es zumindest, denn ich habe dich ausgetrickst. Etwas hast du nicht bekommen, etwas ist mir geblieben, und das ist der Schmerz. Lebensfreude, Liebe, Leichtigkeit … all das hast du aus meinen Adern gesaugt, doch den Schmerz konnte ich vor dir verbergen, wie einen Schatten inmitten von Dunkelheit. Er wird nun mein Trost und der Beweis, nicht vollends in dir aufgegangen zu sein. Noch existiert etwas von mir: mein Schmerz. Der Beweis, dass ich lebe.
So weit mein Blick zurück.
Ich frage mich, wie oft ich wohl so ehrlich zu mir selbst war wie an diesem Tag vor drei Jahren. Jahrelange redete ich mir die Beziehung schön, passte mich an, verdrehte mich so lange bis ich einem Schraubengewinde glich. Psychoanalytiker werden vermutlich begeistert sein von dem Text, der das Problem schildert UND gleichzeitig die Überzeugung, all dies zu überwinden und sich der Fremdbestimmung zu widersetzen. Anders formuliert: Das Opfer schüttelt die Opferrolle ab. Vielleicht war dieses Bekenntnis vor drei Jahren einer meiner wichtigsten Schritte, um aus dem Drama auszusteigen. Danach hatte ich jedenfalls die Kraft, einen Schritt ins Unbekannte zu wagen, die schmerzhafte Beziehung hinter mir zu lassen und in ein völlig ungewisses Leben aufzubrechen – MEIN Leben, frei und selbstbestimmt.
Bis heute habe ich diesen Schritt kein einziges Mal bereut. Der Blick zurück bestätigt mir einmal mehr: es war der richtige Schritt für mich.
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