Selbstbildoptimierung & Umwegrentabilität

Am Sessellift über der Skipiste schwebend, gingen mir so einige Gedanken durch den Kopf, während ich die vergangenen Tage reflektierte. Einer davon war dieser: Umwegrentabilität – ein Begriff aus der Wirtschaft für etwas, das sich – vereinfacht gesagt – irgendwann indirekt rechnet. Der andere sperrige Begriff – Selbstbildoptimierung – dreht sich um (wie der Name schon sagt) Selbstbild und somit auch Selbstwert. Eine typisches (aber nicht nur) Borderline-Herausforderung.

So, wie schlägt Lesley eine Brücke zwischen Borderline und Umwegrentabilität? Ganz einfach 😉

Nehmen wir an, ich bringe gegenüber Person X meine Anerkennung zum Ausdruck. Durch Lob, Komplimente, was auch immer. Das wird Person X (hoffentlich) erfreuen und streichelt natürlich deren Selbstwert. X wird sich als geschätzte Person wahrnehmen. Abhängig vom Näheverhältnis auch als liebenswert, begehrenswert …

So weit, so gut.

Eines sollte ich hier noch ausdrücklich klarstellen: Ich beziehe mich auf ehrliche und von Herzen kommende Anerkennung. Nicht auf schleimige Schmeicheleien, intrigante Manipulation oder dergleichen.

X freut sich also über meine aufrichtige Anerkennung und ich freue mich, das X sich freut.

Gleichzeitig nehme ich (bewusst oder unbewusst) wahr, dass ich eine so geschätzte Person wie X zu meinem Freundeskreis zählen darf. Das fühlt sich gut an und tut auch gut.

Außerdem wir mir klar, dass eine so geschätzte Person wie X offenbar auch mich schätzt und deshalb in meinem Umfeld verweilt. Was wiederum bedeutet, dass es an mir geschätzte, je nach Näheverhältnis liebenswerte, begehrenswerte … Seiten geben muss. Das fühlt sich noch besser an und tut so richtig gut.

Und schon sind wir bei der Umwegrentabilität.

Ich tue etwas für Person X – aufrichtig und aus ganzem Herzen – und tue mir damit selbst auch etwas Gutes.

So einfach kann es sein, das eigene Selbstbild und damit verbunden den Selbstwert aufzupolieren. Und ganz nebenbei auch die zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbessern.

Ich konnte mich bis heute nicht mit den „klassischen“ Selbstwertübungen in der Art von „Blick in den Spiegel und sag zu dir selbst: ich liebe dich, du bist toll, …“ anfreunden. Versucht habe ich es unzählige Male, aber irgendwie hat es sich für mich stets gekünstelt angefühlt. Ganz anders als Anerkennung, die andere mir entgegenbrachten.

Als ich begann, mich bewusst darauf zu fokussieren, für das, was mir im Leben begegnet, was ich (vorübergehend) besitze (denn genau genommen besitzen wir nichts wirklich, nicht einmal unseren Körper, den wir auf Zeit bewohnen) DANKBAR zu sein, erwuchs daraus Zufriedenheit. In Zufriedenheit steckt der Wortstamm „Frieden“, und das war es auch, was sich in mir ausbreitete. Frieden. Meine inneren Konflikte verstummten.

Mehr noch.

Früher dachte ich häufig: „Ich brauche noch dies oder das …“ Mangeldenken bestimmte mich. Etwas fehlte. Wertschätzung. Ich schätzte das Leben, das ich hatte, ebenso wenig wie ich mich selbst schätzte.

Doch das änderte sich über die Anerkennung, die mein Leben bereicherte. Mir wurde bewusst, wie REICH ich bin …

… an wundervollen Erinnerungen, die ich erlebt hatte.

… besonderen Menschen, die mir begegnet waren und mir täglich begegnen.

… an Talenten wie der Fähigkeit, im Alltäglichen das Besondere zu erkennen oder Sprache wie einen Pinsel einsetzen zu können, um Bilder in den Köpfen meiner Leser entstehen zu lassen und sie in meine Welt des Fühlens zu holen.

… mit einem Herzen, das bedingungslos zu lieben vermag.

 … mit einem unbändigen Lebenswillen und ungezähmter Lebensfreude.

Heute brauche ich kaum noch etwas.

Heute gebe ich – und bekomme viel mehr zurück als ich gebe. Direkt oder indirekt – wie über die Umwegrentabilität. Welch ein trockener, rationaler Begriff für ein durch und durch lebendiges, emotionales Geschehen.

Doch genau in diesem scheinbaren Widerspruch liegt der Reiz, oder das Potenzial, in Zement gegossene Glaubenssätze aufzubrechen. Diese Betrachtungsweise weicht derart weit vom Gewohnten ab, das sie nicht sofort erfasst werden kann. Sie erfordert Aufmerksamkeit, um verstanden zu werden.

Deshalb schreibe ich [nicht] ganz alltäglich. Um die Automatismen, die uns beherrschen, zu unterbrechen und ein winziges Aufmerksamkeitsfenster zu öffnen, durch das eine Botschaft hindurch schlüpfen kann, vorbei am meist kritischen Verstand.

Natürlich wäre der direkte Weg der einfachste. In den Spiegel zu blicken und sich selbst als liebenswert wahrzunehmen. Aber manchmal braucht es eben auch Umwege. Geradlinig wird auf Dauer auch langweilig 😉

Bild: pixabay.com

Ein Plädoyer des Herzens

Hast du schon einmal von John Forbes Nash jr. gehört? Das war ein amerikanischer Mathematiker, der von 1928 bis 2015 lebte. Für seinen Beitrag zur Spieltheorie bekam er 1994 den Nobelpreis verliehen. Ein außergewöhnlicher Mann. Vor allem wenn man bedenkt, dass er im Alter von 30 Jahren an paranoider Schizophrenie erkrankte. Da gab’s doch einen Film … richtig. „A beautiful mind“ basiert auf seiner Lebensgeschichte und wurde mehrfach Oscar-prämiert. Laut seiner Autobiografin sind zwar einige Details im Film frei erfunden, aber unverrückbare Eckpunkte wie seine Erkrankung oder mathemische Arbeit entsprechen der Realität.

Warum erzähle ich heute davon? Ganz einfach. Nach vor treffe ich auf viele Menschen, die eine ähnliche Erfahrung teilen: die Diagnose einer psychischen Erkrankung oder Persönlichkeitsstörung führt zu Vorurteilen, Ablehnung und Ausgrenzung. Bedauerlich, denn offenbar sind der Mangel an Verständnis, Respekt und Wertschätzung noch immer weit verbreitet. Fast zwangsläufig entwickeln die Betroffenen Strategien des Verbergens. Manchmal auch eine Form von Schamgefühl, nicht richtig zu „funktionieren“, zu versagen, lebensunfähig zu sein …

„Sei froh, dass man dir nicht ansieht, dass du Borderliner bist.“

Bei so einer Aussage krampft sich alles in mir zusammen. Was soll das heißen? Wie sieht ein durchschnittlicher Borderliner denn aus?

Wer mit einem Gipsbein durch die Gegend humpelt, kann die Geschichte dahinter erzählen ohne Ressentiments befürchten zu müssen. Wessen Seele leidet, sollte sich besser in Schweigen hüllen und seinen Schmerz hinter einer lächelnden Maske verbergen, um weiterhin als wertvolles Mitglied der Gesellschaft geschätzt zu werden? Echt jetzt?

Was mich an diesem – ich schalte mal meinen Zynismus weg – Mysterium am meisten ärgert, ist die Beobachtung, dass „Helden mit leichtem bis mittelschweren Knacks“ auf der Kinoleinwand und den Bildschirmen Hochkonjunktur feiern. Vom Schicksal gebeutelte Existenzen, tief gefallen, mit Problemen und Komplexen behaftet, von denen sie bei weitem nicht alle gelöst haben, aber das Herz am rechten Fleck, erobern sie die Gunst ihrer Fans in Scharen. Ich bin überzeugt, dass mir Diagnostiker zustimmen, dass man so ziemlich jedes psychische Krankheitsbild bei den diversen Film- und Serienhelden findet. Dennoch lieben wir sie. Können sie so annehmen, wie sie sind. Warum gelingt das nicht im realen Leben? Mit echten Menschen? Warum gibt es für fiktive Charaktere Verständnis, für tatsächliche hingegen Vorurteile?

Vor einigen Tagen sagte eine Frau nach einer Buchlesung zu mir: „Drei Burnouts – und du stehst vor uns als wäre das nie passiert.“ Ich korrigierte sie und meinte, es waren nur zwei, da mir kurz vor dem dritten die Kurskorrektur mit JAN/A gelungen war. Dennoch – es war nicht zu übersehen, wie irritiert sie davon war, dass ich nicht ihrem vorgefassten Bild einer Ausgebrannten bzw. Borderlinerin entsprach. Schließlich sagte ich zu ihr etwas in der Art von: „Genau deswegen stehe ich hier und mache das: weil ich nicht den Klischees entspreche. Weil ich damit Menschen aus ihrer starren Erwartungshaltung wachrütteln und zum Nachdenken bringen will.“

Ich bin nicht John Nash. Ich bin nur eine unbedeutende Stimme unter vielen, die sich auf einer langen Liste mit jenen Diagnosen und Symptomen einreiht, über die man allzu oft den Mantel des Schweigens ausbreitet: Borderline, PTBS, Depressionen, Schizophrenie, Bipolare Störung … 

Ich bin eine, die genug hat vom jahrelangen Schweigen und sagt: ich bin, was ich bin. Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch, bestrebt ein gutes Leben zu führen. Sehne mich wie andere nach Liebe, Geborgenheit und Anerkennung. Ja, ich bin Borderlinerin. Vielleicht nicht immer ganz pflegeleicht, aber wer ist das schon? Ablehnung schmerzt mich, Ausgrenzung noch viel mehr. Ich erwarte kein Mitleid, aber Wertschätzung; brauche keinen „Schongang“, sondern ehrliche Anerkennung. 

„Behandle einen anderen stets so, wie du selbst behandelt werden willst.“

Darum geht es. Nicht mehr und nicht weniger als Respekt und Achtsamkeit. Zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen, wechselseitig und auf Augenhöhe.

Das musste wieder einmal gesagt werden. Es müsste noch viel öfter gesagt werden, damit sich endlich etwas ändert. Die Zeit ist längst überfällig. Vieles muss neu gedacht werden. Unsere beschleunigte Arbeits- und Lebenswelt produziert Jahr für Jahr Menschen, die nicht mehr mithalten können; die an der Ignoranz und Intoleranz verzweifeln. Wenn ich mir die Weltwirtschaft anschaue, frage ich mich, wohin dieser Kurs führen wird und ob jeder Schritt vorwärts uns auch wirklich weiterbringt? Oder zurück, in eine Welt der rücksichtslosen Selbst- und Fremdausbeutung? Eine Gesellschaft, die viele ins stille Leiden drängt, anstatt eine helfende Hand zu reichen.

Wir könnten gemeinsam so vieles erreichen, wenn wir aufeinander zugehen, mit Offenheit und Verständnis, neugierig auf die Vielfalt, die das Leben erschaffen hat und täglich neu erschafft.

Ich bin nur eine unter vielen, doch heute erhebe ich meine Stimme zu einem Plädoyer für Achtsamkeit, Respekt und Wertschätzung, zu einem Plädoyer des Herzens.

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Lebst du bereits danach, hinterlass bitte ein Herz als sichtbares Zeichen für jene, die noch zögern, den Mantel des Schweigens abzuwerfen.

Warum?

In den letzten Monaten wurde ich – vor allem bei Lesungen und anderen Gelegenheiten – öfters gefragt, warum ich das Thema Borderline öffentlich anspreche? Es ist ja nicht so, als würde ich erzählen, ich habe eine Grippe erwischt. Ich spreche offen über Gefühle, Ängste, Schwächen – und ja, in gewisser Weise werde ich dadurch berührbar und verletzbar. Noch dazu in den sozialen Medien, in denen man schnell Ziel eines Shitstorms werden kann; in denen zumeist Oberflächlichkeit den Ton angibt und Tiefgründigkeit eher eine Randerscheinung ist; in denen Likes wichtiger sind als aufrichtiges Interesse; in denen laut Statistiken einem Beitrag nur wenige Sekunden Beachtung gewidmet werden schreibe ich viele Zeilen, deren Botschaft sich erst beim aufmerksamen Lesen entfaltet.

Warum also mache ich es? Warum gehe ich dieses Risiko ein? Warum wende ich die Energie hierfür auf?

In dem ich das Thema für andere aufbereite und das Unbegreifliche in Worte zu fassen versuche, fokussiere ich mich sehr stark auf mich selbst, um meine Wahrnehmungen und Gefühle in allen Nuancen zu reflektieren. Dadurch zentriere ich mich stärker als je zuvor in meinem Leben. Ich verbinde (deshalb: RE/CONNECTED) mich quasi mit mir selbst, bin also das Gegenteil von dem, was ich früher war: (teil)entkoppelt von mir selbst und meinem Gefühlsleben (DIS/CONNECTED). Für mich als Mensch ist das heilsam und fast schon therapeutisch.

Verliere ich diesen Fokus, dann ist es, als würde alles in mir durcheinandergeraten. Ich verliere mich innerhalb und auch meine Abgrenzung nach außen. Dann werde ich zu einer Art Stimmgabel, die mit jeglicher Schwingung aus dem Umfeld in Resonanz geht. Mit positiven Stimmungen ist das durchaus erwünscht, aber mal ehrlich: in wessen Leben überwiegt die schon? Ohne Fokus genügt eine morgendliche Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln, um den Rest des Tages (und weit darüber hinaus) von bedrückenden Gefühlen und düstere Gedanken begleitet zu werden. Ohne Fokus wird aus einer Absage schnell eine Ablehnung, Ausgrenzung, Zurückweisung, Bestätigung dessen, was ich bin … oder früher dachte, dass ich bin. Ich denke, ich muss es an dieser Stelle die destruktiven Gedankengänge nicht weiter ausführen. Die Welt durch die Brille der Dunkelheit wahrzunehmen trübt den Blick auf die tatsächlichen Fakten und erschafft eine negative Bewertung. Was folgt, ist eine Art von Blindheit gegenüber den positiven Dingen und Menschen, die für mich da sind.

Ich bin nicht einzigartig. Ganz im Gegenteil! Ich glaube, nein, ich bin überzeugt, dass es viele Menschen gibt, die ähnliches erleben. Mein Leben lang habe ich mich unverstanden gefühlt, nie irgendwo angekommen, nirgends zugehörig. Sicher, wie alle anderen auch, war ich in der Schule, in Sportmannschaften, in Arbeitsgruppen und Teams. Ich war zwar dabei, aber irgendwie auch nicht. Bis heute habe ich zuweilen das Gefühl, ein „Alien“ unter Menschen zu sein – auch wenn ich mich heute darüber amüsiere und meinen Frieden damit geschlossen habe, zu sein was ich bin.  Meine Gedanken und Wahrnehmungen unterscheiden sich von denen der meisten Menschen, die ich kenne. Das habe ich schon als Kind festgestellt. Weil die seltsamen Reaktionen aus dem Umfeld darauf unangenehm bis schmerzhaft waren, habe ich aufgehört, anderen meine „Welt“ zu zeigen und stattdessen begonnen, Theater zu spielen … über Jahrzehnte hinweg.

Wenn ich also heute über meine Gedanken und Gefühle schreibe und jemand – vielleicht sogar Du? – liest diese Zeilen und denkt sich: „Hey, die tickt ja genauso wie ich. Ich bin also nicht allein damit.“ … dann sind wir schon zwei. Meine gesamte Kindheit und Jugend hindurch habe ich mich nach jemanden gesehnt, der mich versteht, mit dem ich meine Gedanken teilen kann, ohne ausgelacht oder abgelehnt zu werden. Vielleicht kann ich dieser „Jemand“ heute für Dich sein?

Vor einigen Wochen hat mein Sohn diese Zeilen an mich gerichtet: „Warum? Warum hast du so gehandelt, wie du gehandelt hast? Warum hast du es nicht geschafft, den Borderline-Instinkt des Verheimlichens auch nur für einen Augenblick zu überwinden und mir zu sagen, dass du es verstehst?“ Obwohl ich die Antwort darauf kannte, war es doch schwer, sie zu akzeptieren und zu formulieren. Offenheit bedeutet Verletzlichkeit. Verstandesmäßig hatte ich vieles verdrängt, doch gefühlsmäßig spürte ich immer, dass da etwas in mir war, etwas Unverstandenes, etwas Unerwünschtes. Aus Angst vor neuerlicher Ablehnung verbarg ich mein wahres Wesen und begann zu leiden und zog die Menschen rund um mich in meinen Schmerz hinein.

Ablehnung schmerzt – auch heute noch – doch dieser Schmerz ist nichts im Vergleich zu dem, sich selbst über Jahrzehnte zu verleugnen und zu verraten.

Warum ich über mein Leben als Borderlinerin schreibe?

Weil ich heute die Kraft habe, Ablehnung auszuhalten, denn ich liebe mich, so wie ich bin, mit wirklich allen Facetten! Weil ich hoffe, dass meine Erfahrungen für andere hilfreich sein werden. Weil ich meinen Teil dazu beitragen will, das gängigen Vorurteile und Zuschreibungen zum Thema Borderline zu verändern. Weil ich mir von ganzem Herzen wünsche, dass es irgendwann möglich sein wird, Gedanken und Gefühle in dieser Welt offen auszusprechen und dafür echte Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu bekommen… eben ein Happy End. Ich steh drauf, echt 😉