GEDANKEN ZUM NEIN-SAGEN

Rund um Ostern dreht sich alles um Wiedergeburt, Auferstehung, Neubeginn, das Leben „danach“. Ein passender Zeitpunkt für ein paar Gedanken zum Leben nach dem Nein-Tabu. Du fragst dich vielleicht, was das Nein-Tabu sein soll? So nenne ich jenes Verhaltensmuster, das mir als Kleinkind eingebläut wurde: ich darf nicht Nein sagen. Ein Muster, das ich vermutlich mit vielen Borderlinern (und auch Nicht-Betroffenen) teile, und das unmittelbar für eine Menge schmerzhafter Erfahrungen in meinem Leben verantwortlich ist.

Wenn das Nein-Tabu am Steuer sitzt, ist es nahezu unmöglich, Nein zu sagen – ganz gleich, was geschieht. Jemand kommt dir näher als du willst, aber du wehrst dich nicht, setzt keine Grenze, obwohl du dich ekelst vor dem, was dabei ist zu geschehen, obwohl es sich falsch anfühlt und alles in dir aufbegehrt, losschreien und weglaufen möchte, tust du nichts, lässt es einfach geschehen, weil Nein-sagen nicht erlaubt ist. Schlimmer noch, ein Nein würde noch schrecklichere Konsequenzen mit sich bringen. Jenes Nein, das dich schützen sollte, wird zur Bedrohung. Also erduldest du. Stumm. In dich zurückgezogen, in dem Versuch, möglichst nichts zu fühlen – oder das, was du fühlst, möglichst tief in die Dunkelheit des Verdrängens abzuschieben.

Ab und an treffe ich (vor allem) Frauen, die Übergriffe und Missbrauch erleben. Zu viele von ihnen bleiben, zu wenige befreien sich. Häufig treffen sie auf Unverständnis, auf Aussagen in der Art von „Warum wehrst du dich nicht?“ Grundsätzlich eine angebrachte Frage, aber wenn das Nein-Tabu seine Finger im Spiel hat, wirken Fragen dieser Art nicht wie zugeworfene Rettungsringe, sondern wie umgeschnallte Senkbleie. Natürlich weißt du, dass du dich wehren solltest, aber du schaffst es nicht, was das Gefühl des Versagens verstärkt.

Jahrzehntelang lebte ich unter der Fuchtel des Nein-Tabus, ließ Übergriffe zu, von Nahestehenden und völlig Fremden. Rückblickend der völlige Irrsinn. Eine starke, taffe Frau, die Leistungssport betrieb und im Job so einiges weitergebracht hat, erstarrte und verstummte, wenn jemand mehr wollte als ich zu geben bereit war.

Es ist mehr als an der Zeit, das Nein-Tabu den Flammen des Osterfeuers zu übergeben.

Möge das Tabu in den Flammen zu Asche verbrennen.

Möge sich aus der Asche etwas Neues erheben, ein Nein-Schild.

Möge dieses Nein-Schild mit Bedacht geführt seine schützende Macht entfalten.

Möge der kommende Sonnenaufgang ein neues Leben(sgefühl) mit sich bringen, die Kraft UND das Vertrauen, im Nein einen starken Beschützer und Verbündeten zu haben.  

Die Zeit ist gekommen, Nein zu sagen, wenn du Nein fühlst.

Zu viele Borderliner erleben die (Übergriffs- & Missbrauchs)Hölle auf Erden, weil sie nie gelernt haben, sich zu wehren, weil sie nie darin bestärkt wurden, sich zu wehren, weil ihnen nie jemand das Recht zugestanden hat, sich zu wehren … mögen sie „wiedergeboren“ werden in den Osterfeuern und sich vom Nein-Tabu befreien.

Gewidmet all jenen, die zu lange zu viel ertragen und erduldet haben.

Bild: pixabay.com

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