TIEFERGEHENDE EINBLICKE Vol.1

„Deine Emotionen gehören zu dir und du wirst lernen, damit umzugehen. Sie auszuschalten, nur damit du rational denken kannst, ist keine Option, die ich akzeptiere.“

Dieses Zitat aus Band 3 meiner autobiographischen Roman-Trilogie „JAN/A – Eine [nicht] ganz alltägliche Liebesgeschichte #Borderline“, habe ich vor kurzem in Facebook gepostet. An sich eine taffe Ansage, die für sich selbst stehen könnte, doch ich möchte auch auf die Hintergründe mehr eingehen. Immerhin verdanke ich JAN/A meine Rückkehr in die Umarmung des Lebens (Selbstheilung durch Schreibtherapie).

Vermutlich kommt so etwas nicht alle Tage vor, weshalb es möglicherweise hilfreich für andere sein kann, wenn ich ein wenig über die Hintergründe erzähle. In den kommenden Wochen erwarten euch hier also tiefergehende Einblicke.

Emotionen ausschalten ist nicht ganz zutreffend formuliert, denn – meiner Erfahrung nach – ist das gar nicht möglich, ABER Emotionen lassen sich umfassend unterdrücken, bis sie im Wachzustand nicht mehr spürbar sind. Dennoch brodeln sie unter der Oberfläche weiter. Ich vergleiche diesen Zustand in der Story gerne mit dem „verborgenen Ozean der Gelassenheit“ (also dem, was ich als natürlichen Gefühlszustand eines emotional ausgeglichenen Menschen betrachte). Jener Ozean wird durch unterdrückte Emotionen aufgewühlt, das Gleichgewicht gestört.  

Wie bei einer Sprungfeder, die zusammengedrückt wird, braucht es auch beim Unterdrücken von Emotionen einiges an Energie – insbesondere, um den Zustand zu erhalten (was erklärt, warum es so kräfteraubend ist, etwas zu unterdrücken). Wird die Sprungfeder losgelassen, schnellt sie in ihren Ausgangszustand zurück – ähnlich verhalten sich unterdrückte Emotionen. Gleich einer Pop-up-Figur in einer Schachtel poppen sie auf, sobald das, was sie zurückgehalten hat, schwächer wird oder gänzlich wegfällt. Dafür genügt mitunter ein harmloser Auslöser im Außen.

Ein Beispiel aus meinem Alltag, das sich erst vor wenigen Stunden ereignet hat.

Ich stehe in der Küche, schäle Äpfel für ein Kompott, bin gechillt im sonntäglichen Relax-Modus, im Radio spielt es den Song „Großvater“ von STS und kaum eine Minute später laufen Tränen über mein Gesicht. Die emotionale Stimmung des Songs triggert etwas tief in mir, dass vor beinahe 50 Jahren „unterdrückt“ wurde (nicht freiwillig). Damals war ich fünf oder sechs Jahre alt. Ich erinnere mich an einen Großvater, der eine andere Sprache als ich sprach, bei dem ich mich wohl fühlte, obwohl er merkwürdig roch (Tabak). Eines Tages war er weg und ich bekam mein eigenes Zimmer. Niemand erzählte mir, wohin mein Großvater gegangen war. Von seinem Tod erfuhr ich erst Jahre später, als ich die Inschrift auf dem Grabstein lesen konnte. Die Traumatisierung, die mich in die Dunkelheit warf, geschah rund drei Jahre vor dem Tod meines Großvaters. Ich war also bereits „vorbelastet“. Gut möglich, dass ein Teil von mir damals den Tod intuitiv wahrnahm, aber da mein Umfeld sich so verhielt, als wäre alles in Ordnung, ich sogar noch mein eigenes Zimmer bekam, schob ich das Gefühl der Trauer als unangebracht in mir zur Seite, unterdrückte es, bis ich es nicht mehr wahrnehmen konnte. Auch nicht, als einige Jahre später mein Vater starb, oder nochmal einige Jahre später meine Großmutter. Bis heute kann ich das Gefühl der Trauer nicht dann zulassen, wenn es angebracht wäre. Stattdessen drängt es in einem Moment, in dem alles in bester Ordnung ist, wie aus dem Nichts an die Oberfläche, getriggert durch einen Song im Radio.

Viele Jahre hielt ich mich für „gefühlsbehindert“, weil es neben Trauer noch einige andere (vor allem positive) Gefühle gab, die ich nicht spüren konnte – doch sie waren da, tief in mir. Das Schreiben meiner Geschichten half mir, diese Gefühle wiederzufinden und sie in den passenden Kontext zu setzen, so dass ich die meisten (bis auf Trauer) heute fühlen kann – wenngleich sie mitunter extrem intensiv sein können. Alles im Leben hat zwei Seiten – so auch Borderline: intensive Emotionalität, aber auch dafür gibt es Möglichkeiten. Nicht, um zu dämpfen, sondern um auszugleichen und fühlend in der Balance zu bleiben.

Unterdrückte Gefühle bauen Spannung auf. Das sieht man an Menschen, die sich ärgern, diese Wut runterschlucken und nach außen hin versuchen, ruhig zu bleiben. Manche beißen dabei die Zähne zusammen, bis diese knirschen. Da verspannen sich Nackenmuskel, ballen sich Fäusten, verkrampfen Waden und Mägen, erhöht sich der Blutdruck …

Um eines klarzustellen: ich sage NICHT, dass Wut immer ausgelebt werden soll, aber anstatt sie zu unterdrücken, wäre es klug (und im Hinblick auf die physische und psychische Gesundheit sehr empfehlenswert) zu lernen, die Wut zu transformieren – oder sich einen Kontext zu suchen, in dem die Wut ausgelebt werden kann ohne Schaden anzurichten. Ich persönlich lebe ganz viel meiner intensiven Emotionalität beim Schreiben aus. Aufgrund meiner äußerst lebendigen Vorstellungskraft finden sich vielfältigen Szenarien, in denen die unterschiedlichsten Emotionen Platz finden.

Hierzu eine Anmerkung der Mentaltrainerin in mir: „Unser Unterbewusstsein kann nicht unterscheiden zwischen Vorstellung und Realität. Wer sich also lebhaft vorstellt, etwas zu erlebt, dessen Unterbewusstsein erlebt dies auch.“ Deshalb können Fantasiereisen so entspannend sein, funktionieren Trancen und Aufstellungsarbeiten. Deshalb konnte ich durch das Schreiben von JAN/A all die Blockaden in mir auflösen, die Wunden heilen, aus der Zerrissenheit in die Ganzheit zurückkehren.

Emotionalität gehört zum Menschsein. Unsere Gefühlswelt ist etwas Einzigartiges, vielschichtig, facettenreich, lebendig, mitunter widersprüchlich und manchmal können wir uns ihr ausgeliefert fühlen. Unsere Gefühle sind das, was uns bestimmt, mehr noch als unser Intellekt. Wir fühlen vom ersten Augenblick unseres Lebens an, lange noch, bevor wir eine individuelle Persönlichkeit entwickeln, und wir fühlen auch noch dann, wenn Krankheiten wie Alzheimer oder Demenz unsere geistigen Fähigkeiten einschränken.

Für mich sind jene Menschen wahrhaft stark, die ihre Gefühle zulassen inmitten einer Welt, die oftmals wenig gefühlvoll mit uns umgeht. Menschen, die ihren Verstand (Kopf) nicht über ihre Gefühle (Herz) stellen, sondern beides vereinen – auch wenn dies eine lebenslange Aufgabe sein kann. Menschen, die begriffen haben, dass sie nur dann vollständig (eins) sind, wenn sie all das, was in ihnen ist, annehmen und liebevoll umarmen. Denn nur dadurch beenden sie den Konflikt in sich und können die aus der Tiefe ihres Seins entspringende Harmonie in die Welt hinaustragen.

Genau das war es, was mich letztendlich wieder heil (eins) werden ließ: das Auflösen der Konflikte in mir, das Annehmen all dessen, was ich war – inklusive meiner Gefühle – auch wenn eines davon noch ein kleines Thema mit dem passenden Timing hat, aber das ist in Ordnung und darf sein.

Nobody is perfect 😉

Bild: https://pixabay.com/de/photos/smiley-emoticon-der-zorn-ver%C3%A4rgert-2979107/

Wie man sich selbst am Besten im Weg steht … Teil 2

Heute mit einer großen Portion Humor, auch wenn es durchaus ernst gemeint ist. Nachträglich betrachtet lässt sich meine größte Selbstblockade wohl am besten so formulieren: „Ich mache eh alles was möglich, aber die anderen nicht und deshalb geht’s mir schlecht und ich komme nicht weiter. Würde sich nur  dies oder das ändern, dann würde auch bei mir alles anders werden. Und so weiter und so fort …“.

Ein wenig böse, aber heute ist Halloween. Ein guter Zeitpunkt, die Geister der Vergangenheit aus dem Haus zu scheuchen.

Vor unendlich langer Zeit schenkte mir ein Freund ein Buch. Der Titel: „Drehbuch für Meisterschaft im Leben“ von Ron Smothermon MD (im Original: Winning through Enlightenment). Ziemlich am Anfang findet sich in dem Buch sinngemäß folgende Aussage: „Hören Sie auf sich zu beklagen. Das interessiert niemanden.“ Ich war jung. Ich hatte jede Menge ungelöste Probleme. Ich war überzeugt zu wissen, wer warum für mein Chaos verantwortlich war. Wütend schleuderte ich damals (bildlich gesprochen) das Buch in ein dunkles Eck. Es verschwand für lange Zeit in meinem Bücherregal.

Ungefähr 15 Jahre später entdeckte ich das Buch im Zuge einer Putzaktion wieder und begann darin zu lesen.

Ehrlich, ich habe selten so gelacht bei der Lektüre eines nicht-humoristisch angelegten Buches. Warum?

Ganz einfach. Zwischenzeitlich arbeitete ich als NLP-Trainerin und Coach und lehrte in meinen Seminaren und Workshops all das, was in diesem Buch stand. Und noch mehr. Natürlich erinnerte ich mich an meinen ursprünglichen Widerstand gegen die Aussagen, insbesondere in Bezug auf „Verantwortung für den eigenen Zustand“. Was ich in jungen Jahren nicht akzeptieren konnte und wollte, war zu einem integrierten Bestandteil meiner Lebensphilosophie geworden.

Dieses Erlebnis bot einmal mehr eine wunderbare Gelegenheit über mich selbst zu reflektieren. Was hatte sich verändert? Die Umstände meines Lebens? Kaum. Meine Vergangenheit? Keinesfalls. Meine Einstellung? Definitiv. Meine Wahrnehmungskompetenz (welch ein Wort)? Ja, denn ich hatte gelernt und verstanden, dass Wahrnehmungen und Gefühle zeitgleich auf mehreren Ebenen stattfinden. Ein wenig abstrakt? Erklärung folgt:

Meine Wahrnehmungen der Welt um mich (Menschen, Orte, Handlungen etc.) beeinflussen nach Abgleich mit Referenzwerten aus der Vergangenheit (also Erinnerungen) meine Gefühle und Gedanken. Vor unendlich langer Zeit ging ich davon aus, dieser Dynamik ausgeliefert zu sein und mein eigener emotionaler Zustand würde durch die äußeren Umstände hervorgerufen. Das stimmt auch, aber nur bedingt. Ereignisse beeinflussen meine Emotionen. Mogelt sich jemand an mir vorbei, während ich in einer langen Schlange an der Supermarktkasse warte (und ich bin nicht leicht zu übersehen mit über 1,80 m Körpergröße!), werde ich wütend. Erkrankt ein mir nahestehender Mensch, bin ich besorgt. Bekomme ich ein tolles Feedback, freue ich mich.

Doch während all diese Emotionen bedingt durch die Ereignisse entstehen, gibt es eine weitere Emotion, die unabhängig davon existiert. Quasi eine Art Grundstimmung. Früher war sie anders, aber heute ist meine Grundstimmung eine Melange aus Lebensfreude, Selbstliebe und Geborgenheit. Diese Grundstimmung besteht, ganz gleich, welche Ereignisse rund um mich geschehen. Meine romantische Ader hat für diese Grundstimmung den bezeichnenden Namen „Die Umarmung des Lebens“ gefunden.

Früher war meine Welt Schwarz/Weiß, habe ich mich mit den Ereignissen der Außenwelt identifiziert. Damit stand ich mir gewaltig selbst im Wege, denn es brauchte eine Menge Bedingungen, die erfüllt sein mussten, damit es mir gut gehen durfte. Wie hätte es mir auch gut gehen können, wenn mein Auto gerade kaputt war? Oder mich jemand im Straßenverkehr wieder mal ignoriert hatte? Oder im Job etwas schief gelaufen war? Oder gerade Stress in der Familie herrschte? Oder es seit Tagen regnete …

Heute bleibe ich bei mir selbst, egal, was rundum geschieht. Ich unterscheide zwischen Emotionen, die durch Ereignisse ausgelöst werden, und meiner Grundstimmung. Und ich amüsiere mich immer noch köstlich über mich selbst. Wie konnte ich mir selbst nur solange dermaßen im Weg stehen? Auf der anderen Seite: Wäre alles glatt gelaufen, worüber würde ich dann heute Geschichten schreiben?

#feeltheembraceoflife

Nur ein Mensch

In den letzten Tagen wird mein Selbstbild auf eine Weise geprüft, die ich als äußert unangenehm empfinde. Reden wir Klartext.

Hinter mit liegen einige sehr unausgeglichene Tage. Emotionale Schwankungen ohne erkennbaren Auslöser und damit auch kaum rational erklärbar. Insbesondere mein Lebenspartner reagiert aktuell auf diesen Umstand mit Rückzug und Distanz. Oder einfacher formuliert: er geht mir aus dem Weg. Kein Wort. Keine Berührung. Kein Kuss. Nichts, dass Auslöser für einen Crash liefern könnte. Einerseits ganz gut, aber andererseits … öffnet dieses Verhalten für mich Tür und Tor Richtung destruktiver Gedanken in der Art von: Ich habe wieder einmal etwas falsch gemacht, war zu emotional, habe nicht richtig funktioniert, mich kann man eben nicht leicht aushalten – ich bin das Problem.

Vermutlich wie viele andere Borderliner auch, neige ich dazu, die Verantwortung für alles, was rund um mich passiert, auf meine Schultern zu legen. Ganz besonders wenn etwas nicht zufriedenstellend läuft – wie gerade eben bei mir zuhause.

Mir ist durchaus bewusst, dass es seinerseits keine böse Absicht ist, sondern er einfach – genauso wie ich hin und wieder – Raum für sich selbst braucht um Durchzuatmen. Nur – verstehen ist eine Sache, fühlen eine ganz andere. Sind die gedanklichen Mühlen der Selbstdemontage erst einmal gestartet, mahlen sie langsam, aber ausdauernd. Von der Selbstdemontage bis zur Selbstzerfleischung – so nenne ich die gesteigerte Form jener Gedanken der Selbstentwertung – dauert es dann nicht mehr lange.

Plötzlich geschieht etwas völlig unerwartetes.

Eine Person betritt rein zufällig mein Leben im Rahmen eines beruflichen Gespräches. Weniger als eine Stunde später erzählt mir diese Person, dass sie am Morgen dieses Tages im Rahmen ihrer Motivationsarbeit sich vorgestellt hat, in den folgenden Stunden jemand zu treffen und Informationen zu erhalten, die ihr bei ihren offenen Themen im Leben weiterhelfen. Dann trifft sie mich, bekommt genau das, was sie gesucht hat. Und ich denke mir: Wow!

Plötzlich ist da ein anderer Gedanke, der beginnt, den Mühlen der Selbstdemontage das Wasser zu entziehen. Es gesellen sich weitere Gedanken dazu. Da war doch diese Frau letzte Woche bei der Veranstaltung, die hat ähnliches gesagt. Der Eine, den ich mit meinen Worten ein paar Wochen durch eine schwierige Zeit begleitet habe. Und dann war doch noch jemand … je mehr ich über die vergangenen Wochen und Monate nachdenke, desto mehr Menschen werden mir bewusst, für dich nicht jene war, die sie nicht aushalten konnten, sondern genau das Gegenteil: ich war die, die ihnen etwas geben konnte, dass ihnen in diesem Augenblick geholfen hat. Ich war die Lösung.

Somit stehe ich – wieder einmal – vor einem gedanklichen und gefühlten Widerspruch.

Bin ich das Problem? Bin ich aufgrund meiner Persönlichkeit, meines manchmal unerklärbaren Verhaltens und meiner sicherlich nicht leicht nachvollziehbaren, mitunter überbordenden Emotionalität eine, die man nicht dauerhaft uneingeschränkt aushalten kann?

Bin ich die Lösung? Bin ich aufgrund meiner vielleicht nicht dem Durchschnitt oder der Norm entsprechenden Gedanken- und Gefühlsmuster eine, die anderen jenen Input geben kann, denn sie sonst nicht so leicht finden würden und der etwas Positives zu ihrem Leben beiträgt?

Bin ich irgendwo dazwischen?

Nichts von alle dem?

Nur ein Mensch …

Nur ein Mensch?

Nur ein Mensch!