WENN EINE GRENZGÄNGERIN ZUR GRENZSCHÜTZERIN WIRD …

Dies ist eine wahre Begebenheit, die sich heute (29.01.2022) zugetragen hat.

Nach dem Training im Fitnessstudio wollte ich mich in der Sauna ein wenig erholen. In die große finnische Sauna passen ohne Gedränge gut und gern 25 Personen. Offenbar hatte ich einen günstigen Zeitpunkt erwischt, denn ich war allein, nutze den vorhandenen Raum und legte mich auf eine Bank in mittlerer Höhe. Die Saunabänke sind U-förmig angeordnet. Ich lag auf mit meinem Kopf in einem Eck, meine Beine Richtung Ende der Bank.  Eine zweite Frau kam in die Sauna und setzte sich vor meinen Füßen auf ihr Handtuch.

So weit, so gut.

Danach kam ein älterer Mann ohne Handtuch, drehte verwirrt eine Runde durch die Saunakammer und ging wieder raus. Die Frau und ich sahen uns fragend an. Eine Minute später kehrte der Mann mit Handtuch zurück und nahm im abseitigen Eck Platz.

So weit, so gut.

Kurze Zeit später verließ die andere Frau die Sauna. Unmittelbar danach erhob sich der Mann, schnappte sein Handtuch und nahm den Platz der Frau ein, nur wenige Zentimeter von meinen Füßen entfernt. Die restliche Saunakammer, in der locker 25 Personen Platz finden, war leer. Der Mann setzte sich genauso hin, dass er ohne Schwierigkeiten zwischen meine Beine blicken konnte.

Gar nicht mehr gut.

Auf meine Frage, ob ihm kalt sei, weil er sich direkt neben den Ofen gesetzt hat, verneinte er. Ich fühlte mich bedrängt, sprach dies auch deutlich aus, schnappte mein Handtuch und verzog mich in die gegenüberliegenden Ecke der Sauna. Darauf reagierte der Mann unwirsch, warf mir vor, ich wäre fehl am Platz in einer Sauna, wenn es mich stört, dass mir jemand so nahekommt. Nochmal angemerkt: in der Sauna herrschte kein Gedränge, wir waren allein mit jeder Menge Platz und dieser mir fremde Mann rückte auf Tuchfühlung an mich heran.

Alles andere als gut.

Als ich schließlich klar aussprach, seine Annäherung als sexuelle Belästigung zu empfinden, begann er mich wüst zu beschimpfen, packte sein Handtuch und verließ die Sauna mit lautstarkem Gezeter. In diesem Augenblick setzte mein Verstand aus und mein Selbstschutzinstinkt ein. Ich bin dem Mann nach und sagte ihm klar, dass „ich ihm eine auflege, wenn er mir nochmal zu nahekommt“. Vermutlich war ich die erste Frau in seinem Leben, die ihm auf diese Weise begegnet ist. Vielleicht war ich auch eine der erste, die sich seine „Annäherung“ nicht gefallen ließ. Auf jeden Fall war ich einen Kopf größer, mit Sicherheit agiler und jünger.

Das geht natürlich gar nicht.

Aus seiner Sicht verhielt sich eine junge Frau absolut respektlos ihm gegenüber.

Aus meiner Sicht verhielt sich ein älterer Mann absolut respektlos mir gegenüber – und ich wehrte mich dagegen, schützte meine Grenze, meine Intimsphäre, die verletzt worden war.

Als ich später in der Garderobe anderen Frauen davon erzählte, fand ich nicht nur Verständnis für meine Reaktion, sondern auch ähnlich lautende Erzählungen, andere Männer und Zeitpunkte betreffend, aber ebenso respektlos.

Wir schreiben das Jahr 2022. Mitten im kultivierten und zivilisierten Europa werden Frauen tagtäglich in ihrer Würde als Mensch herabgesetzt. Oder etwas griffiger formuliert: Als Lustobjekt betrachtet, an dem manche ihre Geilheit befriedigen.

Der heutige Vorfall erinnert mich wieder daran, wie wichtig es ist, als Frau – insbesondere als Grenzgängerin – den Mut zu haben, sich zur Wehr zu setzen. Viele Jahre meines Lebens „ließ ich geschehen, was geschah“, weil ich nicht wagte, meine Grenzen zu schützen.

Damit ist endgültig Schluss.

Minutenlang noch hörte ich den Mann, der sich nunmehr in die Opferrolle geflüchtet hatte, schimpfen und fluchen, Zustimmung suchen bei anderen, eine Allianz gegen mich aufbauen. Man müsste mich aus der Sauna entfernen. Mich? Was hatte ich getan, außer friedlich auf meinem Handtuch zu liegen, allein inmitten einer großen, leeren Sauna. Völlig entspannt, bis ein Mann sich von unzähligen freien Plätzen genau auf jenen setze, der meinen Intimbereich in sein unmittelbares Sichtfeld brachte. Welcher Mensch macht so etwas, frage ich mich? Das hat nichts mit Prüderie zu tun, sondern mit Respekt und Anstand. Ich habe kein Problem mit Nacktheit, aber eines mit Übergriffigkeit in jeder Form. Wer es wagt, wird eines feststellen:

Ich schütze meine Grenzen!

… und wenn ich dafür die Kraft des beschützenden Drachen in mir entfesseln muss.

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MYTHOS BEZIEHUNGSUNFÄHIGKEIT

In den vergangenen Wochen habe ich mich gedanklich mit dem Mythos der Beziehungsunfähigkeit befasst, der Borderlinern gerne nachgesagt wird. Meine Conclusio: Wie meistens im Leben, ist es nicht so einfach.

Beinahe 25 Jahre in einer Lebenspartnerschaft spricht gegen eine Beziehungsunfähigkeit. Regelmäßige Krisen in dieser Zeit dafür.

Freundschaften (die ja auch eine Form von Beziehung sind) zu pflegen ist für mich nach wie vor eine Herausforderung.

Ich finde es faszinierend, dass Menschen über Jahrzehnte befreundet sein und sich quasi parallel entwickeln können. Von der Schule über den Job, Familiengründung, gemeinsame Unternehmungen … für mich klingt das wunderbar und gleichzeitig unerreichbar. In meinem Leben kommen und gehen Menschen. Manchmal frage ich mich, ob es an mir liegt, ob ich nicht den „sozialen Kitt“ aufbringen kann, um Menschen in meinem Leben zu halten. Bin ich zu sprunghaft? Zu vielseitig? Zu unnahbar? Zu tiefgründig? Ich bin anders, in vielem. Aber beziehungsunfähig?

Wie funktionieren Freundschaften? Wie Beziehungen? Jenseits der Theorien, also in der Praxis?

Berufliche Beziehungen sind einfach. Freundschaften nicht. Um ehrlich zu sein, gibt es nur wenige Menschen, die ich als Freunde bezeichne, im Unterschied zu den unzähligen Bekannten. Zu Freundschaft gehört für mich auch eine Form von emotionaler Verbundenheit, die ich nicht leicht eingehe. Ich wahre gerne eine gewisse Distanz. Vielleicht eine Art von Schutzreflex, denn Nähe kann zur Belastung werden, wenn ich all die Emotionen und Stimmungen der anderen Menschen wie ein Schwamm aufnehme.

Ich halte mich selbst für äußerst umgänglich und alles andere als beziehungsunfähig, dennoch gelingt es mir nicht, meinen Freundeskreis zu erweitern.

Laufend bekomme ich die Rückmeldung, wie toll Menschen all das finden, was ich kann, was ich mache und was ich erreicht habe, dennoch freunden sie sich nicht mit mir an.

Im Job sage ich häufig scherzhaft: „Ich bin ein Alien.“ Vielleicht liegt in dieser Aussage mehr Wahrheit, als mir lieb ist.

Ich bin anders.

Die Art und Weise, wie ich Beziehungen führe und Freundschaften pflege, ist anders.

Anders als die Norm, also die Masse, der Durchschnitt.

Es geht nicht um richtig oder falsch, gut oder schlecht. Eher darum, nicht verstanden zu werden.

Würde ich die Norm, also die Masse, den Durchschnitt, als Referenz heranziehen, würde dies unweigerlich dazu führen, mich als die Ursache des Nichtfunktionierens zu identifizieren. Ich denke, genau deshalb halten sich viele Borderliner für beziehungsunfähig. Oder weil sie es in der Fachliteratur gelesen haben. Oder jemand ihnen diesen Stempel aufgedrückt hat. Aber ist alles, was außerhalb der Norm liegt, automatisch „defekt“?

Es ist nicht so, dass jene zwei Menschen, die sich entscheiden, eine Freundschaft oder Beziehung einzugehen, die für sie stimmigen Parameter festlegen – ganz gleich, welche es sind?

Vielleicht scheitern viele Beziehungen nicht aufgrund der Beziehungsunfähigkeit einzelner Personen, sondern aufgrund der Unterschiede in den Beziehungsparametern.

Menschen sind von Natur aus soziale Wesen. Ich denke, echte Beziehungsunfähigkeit kommt weitaus seltener vor, als sie unterstellt wird. Oder als Urteil über sich selbst gefällt wird. Topf und Deckel müssen zusammenpassen. Manche Töpfe kommen häufiger vor, andere sind Raritäten, ebenso wie manche Deckel.

Lebenserfahrung macht es nicht immer leichter, neue Beziehungen aufzubauen. Wer – so wie ich – schon so einiges erlebt hat, wird vorsichtig. Kaum verwunderlich, dennoch hinderlich. Unvoreingenommen jedem neuen Menschen in seinem Leben zu begegnen, das kann eine Herausforderung sein.

Heißt es nicht: gibt jedem Tag die Chance, der Schönste deines Lebens zu werden.

Ich adaptiere diese Aussage einfach mal auf: gibt jedem Menschen die Chance, dein Freund zu werden.

Meistens dauert es Jahre, bis ich zulasse, dass mich jemand umarmt. Ein anderes Mal gehe ich beim ersten Treffen auf einen Menschen zu und umarme ihn. Für mich hängt der Grad an Nähe von vielen Faktoren ab. Ebenso wie Freundschaften. Oder Beziehungen. Wie gerne würde ich für mich eine klare Regel erstellen, doch … so einfach ist es nicht für eine komplexe, in sich teilweise widersprüchliche und dennoch alles vereinende Persönlichkeit wie mich.

Bin ich deshalb beziehungsunfähig?

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GEBEN UND NEHMEN EINMAL ANDERS BETRACHTET

Aus den vielen positiven Rückmeldungen rund um den Jahreswechsel und meinen Überlegungen für das soeben angebrochene Jahr, haben sich auch Gedanken um das altbekannte Thema „Geben und Nehmen“ herauskristallisiert.

Seit längerem bereits beobachte ich das Phänomen, das manche Menschen nehmen und nehmen und nehmen, quasi alles einkassieren, dessen sie habhaft werden können. Ganz egal, ob es sich dabei um verbale Zuwendungen oder materielle Objekte oder sonstiges handelt, es wird genommen, was zu kriegen ist. Am besten gratis. Doch was nichts kostet, ist nichts wert. Oder anders betrachtet: Das, was gratis ist, kostet mitunter den Selbstwert, den man verlieren kann, wenn man etwas Wesentliches ignoriert …

Ich habe in meinem Leben viel von anderen bekommen und stets danach getrachtet, mich dafür erkenntlich zu zeigen, mich zu revanchieren bzw. einen Ausgleich in welcher Form auch immer herzustellen. Geben und Nehmen in Balance zu halten – wie es zwischen Erwachsenen sein sollte. Doch ich habe in den vergangenen Jahren nur sehr selten erlebt, dass jemand diese Form des Ausgleichs sucht. Zumeist wird genommen, sich höflich bedankt und das war’s.

Wer etwas bekommt, sollte im Gegenzug dafür auch etwas zurückgeben.

Das klingt im ersten Ansatz nach einer heftigen Forderung, denn nicht jeder kann es sich leisten, etwas zu geben. Spätestens hier sage ich: Stopp! Raus aus der Denkfalle. Jeder kann etwas geben! Hier geht es nicht um Geld oder centgenaue Gegenrechnung. Es geht um Ausgleich. Es geht darum, dass zwei erwachsene Menschen auf Augenhöhe miteinander bleiben. Das können sie nur, wenn beide Seiten geben und nehmen. Im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern besteht ein natürliches und gesundes Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen. Nicht so zwischen Erwachsenen. Erfolgt hier kein Ausgleich, verschiebt sich das Gleichgewicht, sie bleiben nicht auf Augenhöhe. Es gibt die „Überlegenen“, die geben, und die „Bedürftigen“, die nehmen.

Das Wort „bedürftig“ finde ich persönlich schrecklich, doch es bringt das Problem auf den Punkt.

Wenn ich jene Menschen beobachte, die einfach alles nehmen, dessen sie habhaft werden können, ob sie es nun brauchen oder nicht, und die nichts im Gegenzug dafür geben, dann drängt sich mir das Gefühl auf, dass diese Menschen so bedürftig danach sind, etwas zu bekommen, weil sie gar nicht wahrnehmen, was sie längst schon alles haben.

Wer nimmt, ohne zu geben, hat offenbar nicht genug, um etwas davon abzugeben.

Wer zurückgibt, anerkennt, dass er genug hat, um zu teilen.

Man könnte auch einfach „Armutsdenken“ und „Wohlstandsdenken“ dazu sagen. Oder Problemrahmen und Lösungsrahmen. Mangelbewusstsein und Reichtumbewusstsein. Es gibt unterschiedliche Modelle und Begrifflichkeiten dafür. Allein gemein ist, im Geben Stärke und Größe zu sehen, im Nehmen Bedürftigkeit.

Ich mag das Wort „bedürftig“ noch immer nicht, obwohl ich ganz viele Menschen als „bedürftig“ erlebe, die zwar weder hungern noch obdachlos sind oder in einer Krise stecken, dennoch sind sie bedürftig, raffen an sich was geht, obwohl sie etliches davon nicht wirklich brauchen. Sie kümmern sich nicht um das Gleichgewicht von Geben und Nehmen in zwischenmenschlichen Beziehungen und wundern sich, warum es ständig zu Problemen kommt.

Leider gehöre ich zu jenen, die gerne geben, ohne automatisch etwas dafür zu fordern. Deshalb habe ich auf meine Agenda nun den Punkt gesetzt, künftig stärker auf den Ausgleich zu achten, um nicht die Bedürftigkeit anderer zu nähren.

Es mag vielleicht auf den ersten Blick edelmütig erscheinen, selbstlos zu geben, doch bei genauerer Betrachtung unterstützt man damit nur den Verbleib in der Bedürftigkeit. Ich vergleiche das mit den frühen Formen der Entwicklungshilfe, die Menschen zwar gefüttert hat, aber sie nicht dabei unterstützte, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, sie also in der Abhängigkeit hielt, schwach und im Grunde lebensunfähig. Ähnliches geschieht beim Geben ohne Ausgleich: die Nehmenden bleiben bedürftig. Damit ist – für mich – jetzt Schluss.

Geben und Nehmen im Ausgleich und Gleichgewicht.

Ich gehe davon aus, die meiste Zeit von eigenverantwortlichen erwachsenen Menschen umgeben zu sein, die im Gegenzug für das, was sie bekommen, auch etwas geben können. Wer also künftig etwas von mir möchte, darf sich gerne anschließend dafür revanchieren, damit wir uns respektvoll und auf Augenhöhe begegnen können, keiner dem anderen über- oder unterlegen ist, und ein Gleichgewicht aus Wertschätzung und Anerkennung zwischen uns herrschen kann.

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GRAS WÄCHST AUCH NICHT SCHNELLER …

… wenn man dran zieht. Diese volkstümliche Weisheit begegnete mir das erste Mal Anfang der 2000er-Jahre. Sie hat sich – wieder einmal – als äußerst zutreffend für mich erwiesen.

Seit knapp einem Jahr habe ich etwas vor mir hergeschoben, dass ich grundsätzlich gerne tun wollte, weil es für meine Borderline-Auflösung einen wichtigen Schritt darstellt, doch gleichzeitig habe ich mit auf jede nur erdenkliche Weise davor gedrückt und alle Ablenkungen und Zwischenfälle priorisiert.

Worum es geht?

Um das Finale meiner JAN/A-Trilogie, meiner in Echtzeit geschriebenen Borderline-Auflösung in Romanform. Vor wenigen Tagen habe ich die Arbeit daran aufgenommen, motiviert durch mein wachsendes schlechtes Gewissen bei dem Blick auf meinen Zeitplan. Immerhin wollte ich Ende 2021 damit fertig sein. Doch Stand heute fehlen noch 3 von 7 Kapiteln.

Welch Hybris von mir, zu denken, ich setze mich hin und schreibe die Story einfach zu Ende. Den Verlauf der Handlung kenne ich seit 2018, daran hat sich nichts geändert. JAN/A sollte noch ein paar Überraschungen für mich parat halten, denn kaum hatte ich begonnen, eine – zugegeben emotional herausfordernde – Szene zu schreiben, fügte meine Intuition (ich schreibe in einer Art Wachtrance) neue Elemente hinzu, die so nicht angedacht waren. Aber sie fühlten sich stimmig an, weshalb ich sie übernahm. Gleichzeitig wurden mir auch Zusammenhänge bewusst, die zuvor noch im Dunkeln lagen. Mein Verständnis dessen, warum manches wie in meinem Leben geschehen ist, gewann eine neue Dimension dazu.

Mittlerweile denke ich den unbewussten Grund für mein Ausweichen im vergangenen Jahr zu kennen: Ich brauchte noch Zeit, mich dem zu stellen und das zuzulassen, was nun geschieht. Und es tut sich sehr viel. Als hätte ich einen Sturm im Wasserglas entfesselt und alles, was sich dort abgesetzt hatte, aufgewirbelt, damit es sich neu ordnen kann. Einschlafprobleme, unruhige Nächte, körperliche Schmerzen, Sinnfragen, demonstrative Abgrenzung – alles wieder da. Dennoch anders als früher. Ich weiß, das mein Schreib- bzw. Auflösungsprozess dafür verantwortlich ist. Ich rüttle bewusst an allen mir bekannten Türen und Schubladen, spüre in mich hinein auf der Suche nach verbliebenen Verstrickungen, Verspannungen und Konflikten. Mein Unterbewusstsein antwortet mit Symbolen, Metaphern, Wendungen in der Geschichte… JAN/A ist eine niedergeschriebene intrapersonelle Teilearbeit. Mein innerer Dialog in den Bildern meiner Seele. Ziemlich fantasievoll und emotional. Eine alternative Realität, in der das geschehen kann, was in der realen Welt in der Vergangenheit verabsäumt wurde und auch in der Gegenwart kaum umzusetzen ist.

Mein Ort des Heilens: meine JAN/A-Bubble

Der Schreibprozess ist meine Zeit des Heilens.

Doch … Ego, Wille und Co hin oder her … es geht nicht schneller, nur weil ich dran ziehe, oder darauf drücke im Sinne von Einhalten des Zeitplans.

Wie könnte es auch?

Was vor Jahren oder Jahrzehnten zerbrochen, entweder gar nicht oder nur behelfsmäßig geflickt wurde, braucht nun auch seine Zeit, um wieder zu heilen.

Diese Worte legte ich vor wenigen Tagen Jana in den Mund: „Geduld war keineswegs meine größte Tugend, jedoch erforderte mein ausgefeilter Plan reichlich davon.“ … und hielt mir damit selbst einen Spiegel vor meine Nase.

Mein „Plan“, mich mit den 3 Bänden von JAN/A (oder 3 Entwicklungsphasen im Sinne von auf mich selbst zugehen, mich selbst annehmen, mit mir selbst leben) zurück in die Selbstbestimmung meines Lebens zu schreiben, entstand zwar eher unbeabsichtigt, aber nachdem mir die damit verbundenen Möglichkeiten bewusst geworden waren, folgte die weitere Umsetzung aus voller Überzeugung. Nur den Faktor „Zeit“ hatte ich nach Band etwas leichtfertig behandelt, indem ich dachte, ich bestimme, wann ich fertig bin. Das tue ich nicht.

Traumatisierungen oder (romantisch gesprochen) eine verletzte Seele heilen nicht nach einem getakteten Fahrplan. Die Route zurück zu mir kenne ich (seit langem), folge ihr auch konsequent, doch das Tempo bestimmt nicht mein Verstand, sondern mein Fühlen, das sich langsam vortastet in eine Welt außerhalb der heilenden Bubble.

Jana hat ein passendes Mantra, das ich wohl selbst öfters rezitieren sollte: „Ruhe und Gelassenheit, Jana, Ruhe und Gelassenheit.“

Gras wächst auch nicht schneller, wenn man dran zieht.

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AUFBRUCH INS JAHR 2022

Rund um den Jahreswechsel habe ich mich wieder einmal zurückgezogen, um meine Gedanken und mich selbst zu reflektieren, einiges davon auch neu auszurichten. Zeitlicher und räumlicher Abstand zum Hamsterrad und Alltagstrott sind enorm wichtig, um aus Schubladendenken und überholter Routine auszusteigen.

Wohin soll es 2022 für mich gehen?

Tatsächlich habe ich mehrere Anläufe benötigt, diesen Beitrag zu schreiben. Das ist für mich absolut ungewöhnlich. Normalerweise schreibe ich meine Gedanken rasch und schlüssig nieder. Doch diesmal war es irgendwie sperrig.

Zum einen waren da die zahlreichen Rückmeldungen, die kurz vor Jahresende noch kamen. Viele haben sich bei mir bedankt, weil ich ihnen in schwierigen Zeiten weiterhelfen konnte, Hoffnung vermitteln und ihr Vertrauen stärken konnte. Bewunderung für mich als Person und was ich in meinem Leben erreicht habe. Und allzu oft der Satz: Du hast so Recht. Wenn der kommt, nehme ich für einige Zeit meine Finger von der Tastatur, um zu verhindern, eine Antwort in der Art von „Mir geht’s nicht darum, Recht zu haben. Davon löst sich weder dein Problem noch ändert sich die Welt. Schwing lieber deinen Hintern in die Höhe und mach das, was zu tun ist.“ Diese Rückmeldung wäre schwer verdaulich, aber auch ehrlich.

Ich bin dankbar, hin und wieder begleiten, oder vielleicht sogar ein klein wenig bewirken zu dürfen. Tendenziell werde ich künftig stärker die Angehörigen von Borderlinern ansprechen und ihnen dabei helfen, eine Gedanken- und Gefühlswelt zu respektieren, sich von ihrer eigenen enorm unterscheidet. Verstehen wird wohl nicht immer möglich sein, aber Respekt und Achtsamkeit sind bereits wichtige Schritte. Meine bisherigen Erfahrungen in diesem Bereich zeigen mir, dass jene, die daneben stehen, ebenso an ihren Belastungsgrenzen sind wie jene, die mitten im Strudel der Emotionen stecken. Mit jemand zu sprechen, der all dies durchlebt, überlebt und zurück in ein glückliches Leben gefunden hat, kann Hoffnung und Zuversicht wecken.

Deshalb erzähle ich meine eigene Geschichte immer und immer wieder. Nicht aus Geltungsdrang oder weil ich damit berühmt werden will. Ich will damit inspirieren und motivieren. Und transformieren.

Früher hätte meine Geschichte wohl so gelautet:

In meinem Leben ist eine Menge Scheiße passiert.

Heute lautet sie:

Ich meinem Leben ist eine Menge Scheiße passiert, die zu jenem Dünger wurde, auf dem nun heilsame (Wort)Pflanzen (Geschichten und Gedichte) wachsen, die anderen helfen, ihre Wunden zu schließen, die in ihnen Mut, Hoffnung und Zuversicht keimen lassen, sie zum Nachdenken und Verstehen anleiten, sie zum Lächeln bringen, Lebensfreude wecken und für einige Zeit in die Umarmung des Lebens hüllen.

Aus Schicksal (Fluch) wurde Sinn (Segen). Eine wunderbare, berührende Geschichte.

Zum anderen schlage ich mich (wieder einmal) mit einem Thema herum, das ich leider nicht ganz ausblenden darf bzw. kann. Wie und wofür verwende ich meine Zeit? Dieses begrenzte Gut, das niemand von uns horten kann und vor dem auch niemand weiß, wie viel noch bleibt. Ich möchte meine Zeit bestmöglich nutzen. Ein wesentlicher Teil ist für den „Broterwerb“ reserviert. Mit dem Rest gilt es sinnvoll umzugehen.

Mein Widerwillen gegen Zeitfresser wie Facebook & Co ist nichts Neues. Meine Energie dafür einzusetzen, in der Flut von Postings mitzuschwimmen, die überwiegend anderes beinhalten als meine tiefgründigen Beiträge, sehe ich als reine Verschwendung an. Was ich mache, erfordert eindenken und einfühlen, also das Gegenteil von schnellem liken. So sehr ich die Grundidee der sozialen Medien schätze, hinterfrage ich, was die Masse an Menschen daraus macht. Die Herausforderung liegt meiner Ansicht nach im Lebensstil unserer Zeit. Oberflächlich und schnelllebig. Beiträge werden innerhalb von Sekunden mit einer Wertung versehen, ohne sie überhaupt gelesen oder gar reflektiert zu haben. Ein Blick auf ein Bild, vielleicht noch ein paar Worte … das war’s. Gesehen, aber nicht verstanden oder in die Tiefe erspürt. Genau dort vermute ich die Ursache für die Leere, die so viele Menschen in sich tragen. Sie streben nach Aufmerksamkeit und fühlen sich im Grunde bedeutungslos, denn Bedeutung ist etwas, das erkannt werden will, was Zeit in Anspruch nimmt, sich wandelt und erweitert je länger man es betrachtet.

Wie gesagt, die Grundidee dahinter finde ich gut. Dank der sozialen Medien habe ich einige wunderbare Menschen kennengelernt und spannende Projekte begonnen, ABER in der Masse dessen, was mir begegnet ist, machen diese nur einen kleinen Teil aus. Deshalb werde ich mich 2022 weiter aus den sozialen Medien zurückziehen und stärker auf das reale Leben konzentrieren.

Vor einige Wochen schrieb ich folgendes:

„Das wertvollste Geschenk, das du einem Menschen machen kannst, ist ein Augenblick, in dem kein Gedanke dich davon abhält, voll und ganz den anderen zu fühlen.“

Damit ich anderen Menschen noch viele wertvolle Geschenke machen kann, ist es wichtig, auf meine Zeit zu achten und manche Zeitfresser nicht länger zu füttern.

Das Bild zu diesem Beitrag entstand heute auf einer kurzen Wanderung an einem milden, sonnigen 2. Jänner 2022 – eine Stunde kraftspendende Zeit mit mir selbst und meinen Gedanken.