Zeit der Stille

Diesen Titel gab ich auch dem letzten Kapitel von JAN/A Band 1 bzw. dem ersten Kapitel von Band 2. Ich dachte allerdings nicht, dass ich je einen Blogbeitrag so nennen würde. Dennoch – der Titel passt genau in die Zeit, zu meinen Gedanken und Gefühlen. Wie so viele andere auch, lebe ich nun seit rund zwei Wochen mit den Corona-bedingten Einschränkungen. Abgesehen davon, dass ich seither weder in einem Verkehrsstau noch an einer Supermarktschlange sinnlos Zeit vergeudet habe, hatte ich derart viel beruflich zu tun, dass ich bis jetzt noch nicht dazu gekommen bin, mir die tatsächlichen Auswirkungen auf mich als Person und Borderlinerin bewusst zu machen.

Was bedeutet sie also für mich, diese drastische Reduzierung meiner analogen Interaktionen mit anderen Menschen auf eine Person – nämlich „meinen besten Ehemann von allen“ – und in digitaler Form über Telefon bzw. soziale Medien mit einigen wenigen mehr?

In erster Linie fühle ich mich ruhig. Tatsächlich. Mehr denn je bin ich auf mich selbst zurückgeworfen durch die Einschränkungen der Kontakte. Mit mir selbst klarkommen – vor einigen Jahren war dieser Gedanke eine wahre Horrorvorstellung. Keine oder kaum Interaktion mit anderen? Unvorstellbar, denn in mir war nichts – oder besser gesagt: konnte ich nichts wahrnehmen. Ich brauchte die „Reibung“ mit anderen, um mich selbst zu spüren. Die aktuelle Situation zeigt mir, wie sehr sich das verändert hat. Ich finde in mir alles, was ich brauche, damit es mir gut geht.

Mehr noch. Durch den Wegfall der Reibungsfläche hat sich auch die „Übernahme“ von Stimmungen und Gefühlen anderer deutlich reduziert. Was ich fühle, bin ich selbst, und nicht das, was ich von anderen nicht draußen lassen bzw. abgrenzen kann. Insofern ist diese Zeit der Stille für mich auch eine Zeit der Besinnung auf mich selbst, die mir vor Augen hält, was ich bislang erreicht habe. Ich brauche deutlich weniger Psychohygiene und Ausgleichsphasen.

Gelassen beobachte ich rundum verschiedene Strategien für den Umgang mit der neuen Situation. Da gibt es jene, die auf positives Denken setzen. Die anderen, die sagen, bleib authentisch und wenn’s dir Scheiße geht, dann steh dazu. Auch jene, bei denen sich einiges aufstaut, zu latenter Aggression beträgt, die sich dann bei unbedeutenden Anlässen entlädt. Tatsächlich gibt es auch noch ein paar, die den Ernst der Lage verkennen und Vorsichtsmaßnahmen ignorieren. Und natürlich – typisch für die Gegend in und um Wien – die „Raunzer“, die immer einen Grund finden, sich zu beklagen. Und eine Menge dazwischen.

Irgendwie passe ich wieder einmal in keines dieser Schemata. Die Situation ist, wie sie ist – und sie hat überraschenderweise kaum einen Einfluss auf meinen emotionalen Zustand. Als wäre ich entkoppelt. Oder selbstbestimmt im Fühlen. Am Tag 13 der Ausgangsbeschränkungen hier in Österreich, bin ich nach wie vor in der Umarmung des Lebens verankert, im Urvertrauen, in Geborgenheit und (Selbst-)Liebe. Mir geht’s auf eine nicht zu erklärende Art und Weise gut, ohne Begründung und ohne Einschränkung.

Klar, ich hetzte nicht mehr täglich im Früh- und Abendverkehr ins Büro, weil ich zuhause arbeite. Damit fallen mindestens zwei Fahrstunden plus unberechenbarem Staufaktor weg. Diese Zeit verbringe ich nun während täglicher Spaziergänge um die Mittagszeit mit „Meinem besten Ehemann von allen“.

Unser gemeinsamer Schi-Urlaub hat sich in Nichts aufgelöst – rechtzeitig, denn der Ort kam unter Quarantäne bevor wir noch hinfahren konnte. Damit sitzen wir die Zeit der Beschränkungen in den eigenen vier Wänden aus, was einen gewissen Faktor an Gemütlichkeit mit sich bringt.

Wie’s beruflich weitergeht, wird sich hoffentlich in den nächsten Wochen zeigen.

Einer Infektion mit Corona dauerhaft auszuweichen, halte ich für unwahrscheinlich. Irgendwann wird’s mich vermutlich erwischen. Meine Chance, dadurch immun zu werden, liegt bei 98,8 %. Das Risiko zu sterben bei 1,2 % aufgrund meiner persönlichen Konstitution. Risiko lässt sich nüchtern berechnen. Wenn meine Emotionalität auf Krisenmodus operiert, kann ich eine Situation wie die aktuelle pragmatisch abhandeln.

Meine eigene Gelassenheit erstaunt mich selbst. Es gibt Momente, da denke ich mir: Okay, jetzt bin ich total durchgeknallt. Wieso geht’s mir inmitten der allgemeinen Krise, der Unplanbarkeit im Job und Unabsehbaren Auswirkungen auf meine persönliche Zukunft noch immer gut? Das ist doch nicht normal, oder? Bin ich jenseits der Realität? Wenn ich zurückblicke auf das, was ich die letzten zwei Wochen gearbeitet habe, kann diese Frage eindeutig mit „Nein“ beantworten. Bin ich auf irgendeinem schrägen Psycho-Trip? Sofern Vitamin C keine wahrnehmungsverändernde Wirkung hat, gilt auch hier die Antwort „Nein“. Ich erkenne deutlich, was rund um mich geschieht.

Vielleicht ist mein aktueller emotionaler Zustand aber auch einfach nur „selbstbestimmt“ bzw. unabhängig von den äußeren Faktoren, und genau das ist das Fremdartige daran für mich. Nicht das Erleben der Wirklichkeit beeinflusst mich, sondern ich beeinflusse mein Erleben der Wirklichkeit. Wenn dem so ist, habe ich meinen persönlichen Goldtopf am Ende des Regenbogens gefunden. Vielleicht sollte ich auch weniger darüber nachdenken und einfach die Zeit der Stille genießen.

Für diesen Beitrag habe ich ein Bild gesucht und gefunden, dass für mich persönlich die Kraft der Stille zum Ausdruck bringt. Mein Dank für dieses Bild geht an https://pixabay.com/de/users/bessi-909086/

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