Es gibt Phasen in meinem Leben, da blicke ich auf die zurückliegende Woche und denke mir: Wie hat all das Platz gefunden in 7×24 Stunden? Die vergangene Woche war eine von diesen. Unter all dem, was geschah, sticht ein Ereignis heraus, das mich mehr als alle anderen berührt.
Wieder einmal traf ich auf einen Menschen, der zurückblieb, als ein anderer ging. Ein geliebter Mensch, von vielen geschätzt, der in sich ein strahlendes Licht trug – und tiefste Finsternis. Letzteres wusste kaum jemand, weshalb es umso mehr schockierte, als dieser geliebte Mensch freiwillig ging und jene anderen zurückließ, verzweifelt fragend, nach Erklärungen suchend.
Einer dieser zurückgebliebenen Menschen traf also auf mich. Auf eine, die ein strahlendes Licht in sich trägt, ebenso wie tiefste Finsternis, und die offen darüber spricht, wie es ist, hin und her gerissen durch dieses Leben zu wandeln, das eine nicht ohne das andere sein zu können – und nach langem den Frieden in sich gefunden zu haben.
Es war nicht das erste Zusammentreffen dieser Art – und wird nicht das letzte gewesen sein.
Für mich war es ein „Wink des Schicksals“, mich wieder verstärkt jenen zuzuwenden, die danebenstehen und nicht begreifen können, was in ihren Liebsten geschieht. Vielleicht helfen meine folgenden Gedankengänge, einen neuen Blickwinkel zu eröffnen:
Menschen mit „psychischen Problemen“, sei es nun Borderline, Depressionen, Bipolarität und anderen Formen/Symptomen unter dem Hashtag Persönlichkeitsstörung sind weder schwach noch Versager. Ganz im Gegenteil. Viele unter ihnen sind sehr starke Menschen, denn es gelingt ihnen, über Jahre und Jahrzehnte ihr „Problem“ zu verbergen, im Alltag Rollen zu spielen, die kräftezehrend und belastend sind. Erst hinter verschlossenen Türen, wenn nur noch wenige Vertraute um sie sind oder manchmal auch niemand mehr, fallen die Masken, tritt der ungelöste innere Konflikt zu Tage und mit ihm die Zweifel an sich selbst bis hin zur Verzweiflung.
Starke Menschen weinen im Stillen.
Es mangelt ihnen nicht an Kraft, aber an Wissen um das, was sie fremdsteuert, ebenso wie es an der Fähigkeit mangelt, damit umzugehen, ihr psychisches und/oder seelisches Gleichgewicht selbständig in Balance zu halten.
Woher sollten sie es auch können?
Der Blick nach innen, die Reise zu sich selbst, die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und was immer sich dort findet … all das gehört für manche Menschen zum Alltag, aber für viele andere nicht.
Weil es sie nicht interessiert.
Weil sie nicht in einem Umfeld aufgewachsen sind, das sie dazu ermutigt hat.
Weil unsere Gesellschaft grundsätzlich mehr auf die Oberfläche als unter sie blickt.
Weil sie Angst vor dem haben, was sie vielleicht finden könnten.
Weil vielleicht etwas gänzlich anderes sie davon abhält.
Was auch immer es ist, es verhindert, dass diese Menschen lernen, in sich die Balance zwischen „Licht und Dunkelheit“ (wie ich es gerne romantisch nenne) herzustellen. Dieses Gleichgewicht wurde/wird bei den meisten Menschen irgendwann im Laufe des Lebens erschüttert (z.B. durch Verluste, traumatische Erlebnisse und dergleichen). Die Einen finden zurück ins Gleichgewicht, andere nicht. In ihnen wirkt Tag für Tag nach, was sie einst erschüttert hat, verstärkt durch das, was folgte, bis hin zum alltäglichen Rollenspiel.
Die Auswege aus diesem Dilemma sind so vielfältig wie die Menschen selbst, doch ihre Richtung ist stets dieselbe: der Blick nach innen, die Reise zu sich selbst.
Kleine bunte Pillen lösen keine dieser Probleme, sondern kehren sie unter einen farbenfrohen Teppich. Mehr nicht. Keine Pille der Welt ist in der Lage, eine Traumatisierung aufzulösen. Weder lässt sie das Geschehene vergessen noch eine neue Einstellung dazu gewinnen. Sie unterdrückt, was gelöst werden will, und damit verhindert sie auch die Rückkehr in den inneren Frieden.
Lösen kann man nur jenes, auf das man blickt, mit dem man sich befasst. Manchmal allein, ein anderes Mal mit Unterstützung. Auflösung ist ein aktiver, bewusster Prozess, der durch in ein offenes, wertschätzendes Umfeld unterstützt werden kann.
Wer sich auf die Reise zu sich selbst macht, wird dabei so manchem begegnen, das möglicherweise alten Schmerz wachruft, das lieber vergessen sein will, doch da gilt es hindurchzugehen. Weiß man Menschen an seiner Seite, die nicht (ver)urteilen, nicht die Richtung oder das Tempo vorgeben wollen, sondern einfach begleiten und Halt geben, wenn man diesen braucht, dann können die Herausforderungen dieser Reise leichter gemeistert werden.
Wer mit einem Gipsbein durch die Welt humpelt, wird als vorübergehend eingeschränkt wahrgenommen und es wird Rücksicht genommen. Gilt das auch für jene, die mitten in einer Depression stecken und den Kopf hängen lassen? Oder bekommen sie zu hören: „Reiß dich zusammen. Anderen geht’s auch dreckig und sie machen trotzdem weiter.“ Wer will schon als schwach gelten?
Starke Menschen weinen im Stillen, aber sie weinen.
Jeder von uns kann einen Teil dazu beitragen, das es für diese starke Menschen leichter wird, zu bleiben, indem wir anfangen, ein Umfeld zu erschaffen, das Halt gibt auf der Reise zu sich selbst.
Weg von (Vor)Urteilen, hin zu Respekt und Wertschätzung.
Vielleicht müssen starke Menschen dann nicht mehr im Stillen weinen.
Vielleicht kommt sogar der Tag, an dem sie aufhören zu weinen, weil sie angekommen sind und geschätzt werden als die, die sie sind.
Eine wunderschöne Vorstellung.
Bild: https://pixabay.com/de/photos/sonnenuntergang-frieden-einsamkeit-1207326/