DARF ICH DEINEN RUCKSACK TRAGEN?

… zusätzlich zu meinen eigenen – wohlgemerkt. Diese Frage habe ich in meinen Leben allzu oft mit JA beantwortet. Wobei es hier nicht um einen physischen Rucksack geht, sondern vielmehr um jenes Gepäck, das wir alle mit uns rumschleppen in Form von inneren Konflikten, Ängsten jeglicher Art, Frust, Schmerz, Enttäuschungen, ungelösten Lernaufgaben und unbearbeiteter Traumatisierungen … seelischer Ballast, zumeist tief in unserem Unterbewusstsein verborgen, und dennoch so real wie der Laptop, auf dem ich in diesem Augenblick tippe.

Wir alle schultern einen derartigen Rucksack. Manche sind leichter und handlicher, andere prall gefüllt und gefühlt zentnerschwer.

Manche von uns nehmen diesen Rucksack zur Hand, öffnen ihn und stellen sich dem, was sie darin vorfinden. Andere tun so, als würde er nicht existieren. Interessanterweise klagen viele von ihnen über Rückenschmerzen, ganz so, als würden sie tagein tagaus eine unsichtbare Last auf ihren Schultern tragen. Liebe Grüße aus dem Lager der Psychosomatik 😉

Und dann gibt es jene, die in schier bedingungsloser Liebe zu einem anderen sagen: „Darf ich deinen Rucksack tragen?“ Ein Teil von uns – wohlgemerkt in den meisten Fällen nicht unser kognitiver Verstand – kann diese Rucksäcke sehr wohl wahrnehmen. Dieser Teil weiß auch, das wir den Rucksack eines anderen auf unsere Schultern „duplizieren“ können, d.h. wir übernehmen ihn nicht wirklich, sondern laden uns nur dasselbe auf, was der andere bereits trägt. In diesem Sinne wird geteiltes Leid tatsächlich doppeltes Leid. Doch wir ermöglichen es dem anderen dadurch, nicht in seinen eigenen Rucksack zu schauen, sondern auf unser Duplikat – und manchmal führt das dazu, das wir all jene Kritik und Vorwürfe abbekommen, die der andere insgeheim gegen sich selbst richtet, doch da er/sie nicht in den eigenen Rucksack blickt, stehen wir quasi als Stellvertreter für die Ablehnung dessen, was nicht freiwillig bearbeitet wird, zur Verfügung.

Klingt schräg? Oh ja, das ist es in gewisser Weise, aber leider auch sehr weit verbreitet.

Familiensysteme und Beziehungsdynamiken – zwei hoch spannende Themen, die zu ergründen ich nur empfehlen kann. Innerhalb beider nehmen wir unterschiedliche Rollen ein, sind mal Kind, mal Partner*in, mal Elternteil, … doch es kann auch vorkommen, dass wir unsere Rolle wechseln und (zumindest unbewusst) uns so verhalten, als wären wir in einer anderen. Kinder benehmen sich nach dem Wegfall eines Elternteils dem Verbliebenen gegenüber wie ein Ersatzpartner. Söhne spielen gegenüber ihren Müttern den heroischen Beschützer, Töchter kämpfen gegen die vermeintlich „böse Schwiegermutter“. Auch innerhalb einer Partnerschaft kann es zu derartigen Rollenverschiebungen kommen, kann der eine Verhaltensmuster übernehmen und ausleben, die der anderen sich selbst verwehrt. Vielfalt ist hier mehr als ein Schlagwort. Systemische Verstrickungen häufig ein Resultat, das in unseren Alltag hinwirkt und Konsequenzen auslöst, die wir uns nicht oder nur sehr schwer erklären können.

Genug der Theorie. Das Leben verpasste mich auch in diesem Bereich eine interaktive Live-Lernsession. Hier die Kurzfassung davon:

Jahrelang schlug ich mich mit „morgendlichen Depressionen“ rum, mit Stimmungsschwankungen, diffusen körperlichen Schmerzen und surfte regelmäßig an der Grenze zur Überlastung. Zeitgleich schien mein Partner ein Ruhepol emotionaler Stabilität zu sein mit einer gut ausbalancierten Work-Life-Balance. Dann kam Tag X und damit unsere Trennung. Seit ich aus unserem gemeinsamen Umfeld ausgestiegen bin, sind alle oben genannten Symptome plötzlich verschwunden. Einfach so. Es wird noch spannender: Ich fühle mich seither leichter (verliere auch überschüssige Kilos einfach so), lebendiger, habe keine Verdauungsprobleme mehr, kann durchatmen, hartnäckige Verspannungen lösen sich (einfach so) auf. Kurz gesagt: Ich fühle mich wesentlich wohler als früher (in der Beziehung).

Puh, diese Beobachtung musste ich auch erstmal verdauen. Denn daraus ergab sich eine für mich anfangs erschreckende Schlussfolgerung: Konnte es sein, dass ich aus Liebe seinen Rucksack getragen hatte? Aus der Distanz heraus begann ich anders auf meinen Ex-Partner zu blicken, erkannte nun die unterdrückte Aggression in ihm, die aus ungelösten Konflikten seiner Vergangenheit herrührte. Plötzlich fiel ein anderes Licht auf manche meiner Handlungen. Unzählige Male hatte ich mich gefragt, warum ich immer wieder in Verhaltensmuster verfiel, die bei ihm negative Reaktionen mir gegenüber auslösten, obwohl ich über die Zusammenhänge Bescheid wusste. War ich tatsächlich so unfähig, mein Verhalten selbst zu steuern? Oder … tat ich genau das, was zu tun war, damit seine unterdrückte Wut sich auf jemand (mich) entladen konnte?

Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Jahrelang hatte ich bereitwillig seinen Rucksack getragen und ihm damit die Arbeit erspart, hineinzublicken und sich dem zu stellen, was er dort finden würde. Ich fungierte als Ventil, als Projektionsfläche, als Sündenbock – aus falsch verstandener Liebe heraus, wollte ihm den Schmerz der Aufarbeitung ersparen und nahm deshalb den Schmerz auf mich, es für ihn zu tragen. Bis zu dem Tag, an dem ich einfach nicht noch mehr (er)tragen konnte und ging. Ich legte seinen Rucksack ab, wurde frei von dieser Last und die oben beschriebenen Veränderungen setzten ein.

Spätestens hier stellt sich berechtigterweise die Frage: Was wäre gewesen, wenn ich früher gegangen wäre? Oder niemals seinen Rucksack übernommen hätte? Wären wir überhaupt so lange zusammengeblieben? Viele Fragen, auf die es nie eine schlüssige Antwort geben wird. Doch eines ist gewiss: Der Ausstieg aus dieser toxischen gewordenen Beziehungsdynamik war der finale Schritt meines Ausstieges aus der Borderline-Dynamik.

Nur damit wir uns richtig verstehen: Ich behaupte nicht, mein Ex-Partner und sein Rucksack wären für mein Borderline-Syndrom verantwortlich. Ganz und gar nicht. Ich war schon Borderlinerin lange bevor ich ihn kennenlernte. Doch meine Borderline-bedingte Sucht nach Anerkennung, nach Bestätigung und dem anderen gefallen zu wollen, hat mit Sicherheit ihren Teil dazu beigetragen, das ich einen fremden Rucksack auf meine Schultern hievte, der dort nichts verloren hatte. Viele Jahre tat ich alles, um unsere Beziehung aufrecht zu erhalten – um jeden Preis – auch um den Preis meines eigenen Seelenheils.

Dies heute hier nieder zu schreiben, ist meine Art und Weise, es zu verarbeiten. Ohne Vorwürfe oder Schuldzuweisungen, ohne Bedauern oder Schmerz, mit einem möglichst objektiven Blick (sofern das überhaupt möglich ist) auf das, was geschehen ist, und das, was ich daraus gelernt habe. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit werde ich in der Zukunft einen neuen Partner finden, mich verlieben und eine Beziehung eingehen. Vermutlich wird dieser neue Partner auch einen Rucksack mit sich herumschleppen, wie wir alle es tun. Wie auch immer dieser Rucksack gestaltet sein wird, leicht oder schwer, klein oder groß, es wird sein Rucksack bleiben und ich werde mich hüten, ihn zu tragen, denn ich habe eines aus meiner Vergangenheit gelernt:

Furchtsame Liebe, der es an Vertrauen mangelt, neigt dazu, alles zu tun, um dem anderen zu gefallen, selbst seinen Schmerz zu übernehmen und sich selbst zur Zielscheibe unterdrückter Wut zu machen.

Bedingungslose Liebe, die nichts einfordert, die loslässt und sich über das freut, was zurückkommt, trägt in sich die Kraft, es dem anderen zu überlassen, seinen Rucksack zu tragen in der Gewissheit, dass der andere nur dann daran wachsen und sich weiterentwickeln kann, wenn er diesen Rucksack selbst öffnet und sich dem stellt, was darin verborgen auf ihn wartet. Dies bedeutet auch, den anderen voll und ganz zu respektieren, anstatt sich über ihn zu erheben, denn genau das geschieht, wenn wir ungefragt den Rucksack des anderen schultern. Wir sprechen dem anderen ab, es selbst tun zu können, betrachten uns als stärker, ausdauernder, besser … stellen uns über den anderen. Und so wird das vermeintliche Opfer zum Täter – aber das ist eine andere Geschichte, die ich hier zu gegebener Zeit erzählen werde.

Vereinfacht gesagt: Liebe ist … dem anderen seinen Rucksack selbst tragen zu lassen.

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Mein aktueller Status

In den letzten Wochen hat sich enorm viel getan. Zeit, für eine Bestandsaufnahme. Zeit, einer Wahrheit ins Auge zu blicken, die vor wenigen Jahren noch undenkbar war und für mich selbst meinen aktuellen Status zu definieren.

Ich bin mit mir selbst und der Welt im Reinen.

Keinerlei Vorwürfe anderen Menschen gegenüber.

Keine Ablehnung der Realität.

Keine Stimmungsschwankungen oder gar Depressionen. Kein Schwarz-weiß-Denken. Keine Selbstentwertung oder Selbstverletzung … ich könnte die Reihe der Borderline-Symptome hier fortsetzen, doch das Ergebnis bliebe dasselbe.

Meine Lebenssituation hat sich weitgehend verändert. Nach 24 Jahren die Trennung von dem Mann an meiner Seite. Der Umzug. Man könnte annehmen, in dieser Situation wären Trauer, Wut, Schmerz oder ähnliches angebracht. Fehlanzeige. Ich stehe zu meiner Entscheidung. Die Liebe ist noch da, doch für eine funktionierende Beziehung braucht es immer zwei, die sich einig sind über die Art und Weise ihrer Partnerschaft. Das war nicht mehr gegeben.

Ich entdecke die Welt neu für mich. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich nur für mich selbst verantwortlich. Kein Partner oder Kind zu versorgen. Ich kann mich uneingeschränkt in mich selbst einfühlen, ohne die Erwartungshaltungen anderer zu erfüllen (was ich unbewusst ständig gemacht hatte) oder mich von deren Stimmungen anstecken zu lassen (auch das war eines meiner Abgrenzungsdefizite). Frei von „Störfunk“ nehme ich mich voll und ganz wahr, festige dieses Bewusstsein und werde damit auch für die Zukunft resilienter.

Und so kommt es, dass ich an einem Samstagmorgen um kurz nach 8 Uhr auf dem Fahrrad sitzend durch die noch angenehm frische Morgenluft radle, einer verträumten Melodie in meinem Kopf lausche, die aus mir selbst heraus entsteht. Ich „schwinge“ in der Frequenz meiner bevorzugten Songs, blicke mit einem Lächeln auf diese Welt und mir geht’s einfach nur gut.

Welche Worte können das angemessen beschreiben? Schwierig, weil es eine sehr subjektive Erfahrung ist. Meine liebste Formulierung: Geborgen in der Umarmung des Lebens. Tief in mir verwurzelt fühle ich Ruhe, Gelassenheit, Geborgenheit, Liebe, Lebensfreude, Glück und DANKBARKEIT – einfach nur im Hier und Jetzt sein zu dürfen. Dankbarkeit für mein Leben und jede einzelne Erfahrung, die ich machen durfte – ganz gleich, welche es war. Nicht alle waren erfreulich oder freiwillig gewählt, aber in Summe haben mich alle an diesen Punkt in meinem Leben gebracht.

Hochemotional und hypersensitiv bin ich nach wie vor. Intensive Gefühle sind an der Tagesordnung. Sie lassen meine Welt in den schönsten Farben erstrahlen. Ich liebe es, zu fühlen. Meine Gefühle entstehen aus mir selbst heraus und wie ich auf diese Welt, die Ereignisse und die Menschen blicke. Ganz selten nur noch löst ein anderer direkt und für kurze Zeit unerwünschte Emotionen in mir aus. Ich habe voll und ganz die Verantwortung für mich selbst und mein Erleben dieser Welt übernommen. Anders gesagt: Ich gestehe niemanden mehr die Macht und das Recht zu, über mein Erleben dieser Welt zu bestimmen. Ich bin berührbar, verwundbar, aber ich entscheide, ob und wann ich mich durch jemand oder etwas verletzt fühlen will. Ich bin stark. Und ich bin frei.

Drama-Dynamik erkenne ich im Alltag auf Schritt und Tritt, doch ich persönlich habe mich weitgehend aus den Verstrickungen herausgenommen. Die Opferrolle liegt hinter mir. Heute gestalte ich mein Leben nach meinen Vorstellungen.

Achtsamkeit und Selbstsorge sind integrierter Bestandteil meines Alltags.

Es fällt mir tatsächlich schwer, noch Borderline-Verhaltensmuster in mir zu finden. Erinnerungen gibt es zuhauf. Heute betrachte ich sie wie einen leicht verblichenen Film. Ja, das war ich einmal, es ist vertraut und zugleich fremd, weil ich das heute nicht mehr bin.

Es heißt, Menschen können sich nicht ändern. Ich denke auch nicht, dass ich mich geändert habe, sondern das ich zurückgefunden habe zu dem, was ich war, bevor die Ereignisse des Lebens mich jemand werden ließen, der ich nie sein wollte oder sollte.

Ich bin ich. Ein feuriger Funken Lebensfreude mit dem Potenzial, alles sein zu können, was ich sein will. Weitgehend frei im Denken. Grenzenlos im Fühlen. Bedingungslos im Lieben.

Ich fühle die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut, schließe meine Augen, lausche der Melodie in mir, lasse mir den Wind um die Nase wehen – und wenn ich in die Welt hinausblinzle, sage ich: JA 😊

Ende der Bestandsaufnahme.

Wie bezeichne ich nun meinen erreichten Status? Post-Borderline? Borderline solved? Oder einfach … LEBENDIG

#FeelTheEmbraceOfLife #BorderlineSolved #AliveAgain