Wenn alles andere versagt: Humor & Fantasie

Eines gleich zu Beginn: Borderline ist ein ernstzunehmendes Thema, das ich keinesfalls beschwichtigen oder herunterspielen will und werde. ABER nur weil etwas ernst ist, muss ich meinen Humor nicht in den Keller sperren. Ganz im Gegenteil. Humor kann helfen, scheinbar Unerträgliches zu überstehen. Für mich wurde diesbezüglich Victor Frankl zum Vorbild, der trotz seiner Erlebnisse in diversen KZs während des 2. Weltkrieges seine Menschlichkeit behielt – und seinen Humor.

Früher versank ich in Selbstvorwürfen, wenn ich fremdsteuert auf der emotionalen Achterbahn des Borderline unterwegs gewesen war, ohne es aufhalten zu können. Heute handhabe ich das mit einer gesunden Portion augenzwinkerndem Humor und viel Fantasie.

Stell dir bitte für einen Augenblick vor, du würdest in den Spiegel blicken und für dich selbst folgendes sehen: eine Person, die an einer als unheilbar klassifizierten Persönlichkeitsstörung leidet, die für andere Menschen kaum verständlich oder nicht nachvollziehbar ist, weshalb diese Person vermutlich gemieden werden wird, einfach weil sie ist, wie sie ist. Und genau genommen kannst du dich selbst nicht leiden, obwohl du keine Ahnung hast, wer du bist, aber eines weißt du mit Sicherheit: du bist nicht liebenswert. Wertgeschätzt fühlst du dich von niemanden und nirgendwo wirklich sicher oder geborgen – oder gar angekommen. Nicht gerade aufbauend, oder?

Deshalb habe ich mich 2017 entschieden, mich anders zu sehen. In mir schlummert ein feuriger Drache (Jan), der vieles sein kann, von romantisch, sinnlich bis zu grummelig und starrsinnig, manchmal auch voller Selbstzweifel, der aber letztendlich immer seinen Phönix (Jana) beschützen wird, die Eine, die leichtfüßig durchs Leben schwebt und alles zu verändern vermag, jedoch diesem Drang nach Veränderung mitunter ausgeliefert ist und deshalb Ruhe und Stabilität in den Armen des Drachen sucht, obwohl der manchmal auch ein ziemlich arroganter Arsch sein kann. Dann gibt es auch noch Aquila, den Adler, der geboren wurde, um zu kämpfen, doch sanft ist in seinem Wesen. Er ist der strahlende Held der Geschichte. Ihm gegenüber steht Amaranthia, die Immerwährende, die Heilerin, die jegliches Leben über alles liebt, sich selbst als schwach ansieht, dabei jedoch die einzige ist, die Aquila aus den Flammen der Zerstörung zurückholen kann. Und es gibt Sethos, den stierköpfigen Dämon, mit dem alles begann, der verraten und betrogen worden war und darüber vergaß, wer er einst war, der sich selbst in der Dunkelheit verlor und allem und jedem mit Ablehnung begegnet. Ihn zu retten brach Yanara, das strahlende Licht, einst auf, denn ihretwegen nahm er all den Schmerz und das Leid auf sich. Ihr Licht vermag selbst jene Dunkelheit zu durchdringen, in die er gefallen ist.

Psychoanalytiker und Psychotherapeuten werden nun möglicherweise euphorisch in ihren Analyse-Modus verfallen, aber ja, so sehe ich mich: eine sechsköpfige Quadriga! Bevor nun die wissenschaftlichen Belehrungen folgen: es ist mir bewusst, dass der Begriff Quadriga ein Gespann mit vier Pferden meint, ABER wenn es einen sechsbeinigen Hund gibt, darf es (für mich) auch eine sechsköpfige Quadriga geben.

Hier beginnen nun Humor und Fantasie ineinander zu greifen. Mal ehrlich, würde ich mich als das sehen, was die Psychoanalyse für mich vorgesehen hätte, mit all den abstrakten Begriffen und Termini – das wäre ziemlich spaßbefreit. Ich will mich nicht als Ergebnis einer tiefenpsychologischen Problemanalyse sehen. Was bringt das Positives in mein Leben? Wie fühlt sich das an? Ich will mich doch gut fühlen mit mir selbst. Daher sehe ich mich viel lieber als die Lenkerin einer sechsköpfigen Quadriga, die manchmal sehr eigenwillig unterwegs sein kann. In der Vergangenheit ist immer wieder eines meiner „Pferdchen“ durchgegangen und allein vorgeprescht, was zu allen Formen von Dis-Balance (oder Borderline-Episoden) geführt hat. Seit mir klar ist, welche Pferdchen in mir galoppieren, wie sie zueinander in Beziehung stehen und wer wen zum Ausgleich braucht, gelingt es mir die meiste Zeit, sie schön brav im Gleichschritt zu halten. Seither bin ich in Balance.

Und wenn nicht, dann blicke ich in den Spiegel. Vielleicht grummelt gerade wieder mal mein Drache, weil ihm irgendwas nicht passt, oder einfach eine alte Erinnerung an die Oberfläche aufgestiegen ist und die fast schon vergessenen Gefühle von Schmerz und Leid zurückkehren. Dann hilft eine (imaginäre) Umarmung des Phönix, ihre innige Verbundenheit und vielleicht auch eine sinnliche Fantasie, um die aufsteigende Dunkelheit im Feuer des Phönix in das sanfte Licht eines Sonnenaufgangs zu verwandeln – und ich bin wieder auf Kurs.

Ich bin wer ich bin. Mein Borderline-Dämon ist hoch emotional, leidenschaftlich, sinnlich, fantasievoll, kreativ und unkonventionell. Schaffe ich in meinem Leben Raum für seine Energie, wird er zu meinem Verbündeten. Bekämpfe ich ihn, zerstört dieser Kampf letztendlich ihn und mich.

Natürlich bin ich nicht den ganzen Tag in meiner Fantasie-Welt unterwegs. Ich tauche jedoch bei Bedarf in sie ein, verweile dort manchmal nur Minuten, manchmal auch Stunden, eben genauso lange wie es braucht, bis alles in mir wieder ruhig ist. Dann kehre ich in den Alltag zurück und lebe mein „normales“ Leben mit Familie, Beziehung, Job … was so alles dazugehört.

So einfach? Ja, so einfach funktioniert es für mich… nachdem ich mein rechthaberisches Ego, dass es kompliziert machen will, kurzzeitig in den Keller gesperrt habe (schließlich brauche in freie Bahn für etwas Verrücktes); nachdem ich den Realitätscheck, das rundum wirklich alles in Ordnung ist, rational durchgezogen und mich versichert habe, dass mein emotionales Gefühlschaos nichts mit dem Hier und Jetzt zu tun haben kann (wie in 99,9% der Fälle). Konsequente Übung plus die Bereitschaft, einen Schritt neben konventionellen Mustern zu Denken und das (kindlich) naive Vertrauen darauf, dass kein Problem getrennt von der Lösung existieren kann, dass in mir all das vorhanden ist, was in Momenten der Dis-Balance scheinbar fehlt. Es war immer vorhanden, ich hatte es nur einige Zeit vergessen und musste erst wieder lernen, mich zu erinnern.

Grande Finale (angelehnt an Peter Pan): Heute mache ich es mir auf dem einachsigen Streitwagen gemütlich, lasse mich in den passenden Sound (dazu nächstes Mal mehr) fallen, während ich mit meiner sechsköpfigen Quadriga beseelt Richtung Sonnenuntergang fliege, vorbei am zweiten Stern rechts und dann immer geradeaus bis zur Morgendämmerung …

2 Einträge zu „Wenn alles andere versagt: Humor & Fantasie

  • Puh, wenn das mit dem Humor gelegentlich schwer fallen sollte würde es mich nicht erstaunen. Doch er ist nicht nur bei Persönlichkeitsstörung und psychischer Erkrankung, er ist auch im stolperfallenreichen Alltag und im Irrsinn der Welt im Großen und Ganzen die probate, ach was, die einzige Möglichkeit, mit diesen Gegenüber, vor allem aber mit sich selbst umzugehen. Denn gestört sind wir alle, nicht entstört, war ja kein Elektrikermeister alias Herr der Ströme am Werk, es ist nur die Frage, wie sehr wir durch die Raster fallen, also umgekehrt wie bei diesem Kinderspielzeug, wo durch ein bestimmtes Loch immer nur ein bestimmt geformter Gegenstand paßt, in das Raster gepaßt haben. Das mit der sechsspännigen Kutsche ist ein schönes Bild, allerdings mutet es auch wahnsinnig anstrengend an. Sind doch die Gäule an sich schwer zu bändigen, zu lenken, sind da zur Erschwernis auch noch Geflügelte dabei – und wir wissen alle, dass Geflügel nicht gerade für emotionale Reife/Ruhe berühmt ist! Wer auch nur ein Pferd halbwegs auf dem Hufschlag zu halten versucht, mag sich vorstellen, wie das ist, mit einem Mehrspänner zu fahren dessen Zugtiere gerne mal alle in verschiedene Richtungen wollen.

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    • Vielen Dank für deinen umfangreichen Kommentar. Ja, es hat seine Zeit gebraucht, bis ich gelernt hatte, dieses Potenzial auf Kurs zu halten, aber es hat sich gelohnt. Ausdauer ist gefragt. Das Problem entsteht ja auch nicht von jetzt auf gleich. Die Lösung braucht entsprechend Zeit und Geduld. Letzteres ist nicht gerade meine vorrangige Stärke, weshalb ich vermutlich ein paar Umwege eingelegt habe … aus Ungeduld. Aber ich habe auf meinem Umwegen viel gelernt 🙂

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