AUF DEN PUNKT GEBRACHT

An sich nichts neues, doch in den letzten Tag fiel es mir wieder verstärkt auf: Die Vielfalt an Themen und Ausprägungen von Symptomen, die Borderliner tagein tagaus beschäftigen – und die sich wiederholen. Manchmal mit kleinen Abweichungen, ein anderes Mal unverhohlen als das, was es bereits war. Ich erspare mir hier eine Aufzählung der Symptome, denn diese Liste ist lang – sehr lang. Angesichts dieser Vielzahl ist es absolut verständlich, wenn man jede Hoffnung verliert, jemals mit der Aufarbeitung fertig zu werden. Oder einfach irgendwo beginnt.

Mir erging es nicht anders. Jahrelang arbeitete ich mich von einem „Nebenschauplatz“ zum anderen vor. Stets in der Hoffnung, endlich am Ziel angekommen zu sein, wenn dies oder das gelöst wäre. Doch dem war nicht so. Ganz im Gegenteil. Mitunter verbarg sich hinter einer gelösten Hürde eine weitaus höhere. Viel Zeit und Energie investiert – und (scheinbar) doch nicht weitergekommen. Mehr als einmal war ich kurz davor, zu resignieren. Aufzugeben. Ähnliches beobachte ich bei vielen Betroffenen in den Selbsthilfegruppen.

Wie etwas lösen, das scheinbar keinen Anfang und kein Ende hat? Das derart komplex verstrickt ist – wie ein verfilzter gordischer Knoten – das die Zusammenhänge nicht mehr erkannt werden können. Das vielleicht niemals gelöst werden will?

Nun, meine Lösung geschah, als ich es genau genommen nicht erwartet oder angestrebt hatte. Es passierte eher zufällig, als ich begann das zu tun, was ich tun wollte, solange ich mich zurück erinnern kann, aber es nicht gewagt habe: ich fing an, all die Geschichten, die mir Tag für Tag und Nacht für Nacht durch den Kopf geisterten, aufzuschreiben. Ich fing an, ich zu sein. Mit mir selbst in Interaktion zu treten.

Auf den Punkt gebracht: Ich fing an, in mich hineinzuhören.

Allmählich veränderte sich mein Bild von mir selbst, begann ich zu verstehen, wie alles zusammenhing. Der gordische Knoten begann sich zu lösen. All die Probleme im Außen, die Symptome, die mich über Jahre wie ferngesteuert durch mein unverständliches und phasenweise nicht gefühltes Leben wanken ließen … all das offenbarte, wonach ich tief in meinem Innersten sehnte: meine grundlegenden menschlichen Bedürfnisse, die erfüllt sein wollten, damit es mir gut geht.

Auf den Punkt gebracht: Ich lernte, meine eigenen Bedürfnisse zu verstehen …

… und es waren ganz andere, als mein Verstand mir jahrelang erzählt hatte. Und vor allem lernte, ich meine Bedürfnisse auch selbst zu erfüllen. Keine Abhängigkeiten mehr von anderen oder äußeren Bedingungen! Autark im Fühlen. Nichts und niemand bestimmt, wie ich mich fühle! Naja, zugegeben, hin und wieder ärgere ich mich über so manches, was andere tun, doch mir ist bewusst, dass es meine eigene Entscheidung ist, mich zu ärgern. Ich könnte auch darüber lachen. Oder es ignorieren. Manchmal verletzt mich auch jemand. Doch auch dabei ist mir bewusst, dass ich diesem Gefühl zustimme, weil es wichtig ist, die eigene Verletzlichkeit zu akzeptieren. Wunden heilen. Es wäre eine naive Illusion zu glauben, niemals verletzt zu werden.

Die menschliche Gefühlswelt ist vielfältig. Jedes unserer Gefühle hat seine Berechtigung. Indem wir einzelne davon negieren, treiben wir einen Keil durch uns selbst. Als kleines Kind erlebte ich schier überwältigenden Schmerz. Dafür wollte ich mich schützen, versuchte Schmerz zu vermeiden indem ich mein Fühlen drosselte – und erlebte regelmäßig, von all dem Unterdrückten aus der Bahn geworfen zu werden. Die emotionale Achterbahnfahrt einer Borderlinerin.

Der Ausstieg begann, als ich aufhörte, auf die Schienen zu starren, und stattdessen entdeckte, woher der Motor seine Energie bezog.

Auf den Punkt gebracht: Die Auflösung begann mit der Annahme von mir selbst.

Wie gerne würde ich anderen Betroffenen jahrelange Umwege ersparen. All die Energie, die sie dafür investieren, an jenen oberflächlichen Symptomen und Problemen zu arbeiten, die links und rechts der Schienen nach Aufmerksamkeit gieren.

Wie gerne würde ich einfach sagen:

Stopp! Schieb all das Beiseite, von dem du glaubst, dass es wichtig ist und schau auf das, was dahinter liegt, auf den Kern der Sache. Auf das, was du (dein inneres Kind und welche Anteile sonst noch beteiligt sind) brauchst, um in deine Kraft zu kommen und stabil auf beiden Beinen im Leben zu stehen. Was auch immer in deinem Leben geschehen ist und wie schrecklich es auch gewesen sein mag, es ist vorbei! Im Hier und Jetzt liegt es allein an dir, wie du diesen Augenblick erlebst.

Es liegt an dir, dein Bedürfnis nach Liebe, Geborgenheit und Anerkennung zu erfüllen.

Es liegt an dir, all das loszulassen, was dich belastet.

Es liegt an dir, dich selbst so zu lieben, wie du bist – und andere damit einzuladen, es dir gleichzutun.

Es liegt an dir, den anderen mit Offenheit und Toleranz zu begegnen – und ihnen zu zeigen, wer du bist, damit sie dich auch verstehen können.

Es liegt an dir, jeden neuen Tag mit einem Lächeln zu beginnen und einem „Danke“ zu beenden.

Es liegt an dir, mit der Veränderung (und deiner Selbstheilung) zu beginnen.

Es liegt an dir, darauf zu vertrauen, dass du es kannst und in dir bereits alles vorhanden ist, was du dafür brauchst – vielleicht mit ein wenig Anleitung, doch deinen eigenen Weg der Auflösung kannst du nur selbst gehen.

Es liegt an dir … auf den Punkt gebracht.

Die beste Nachricht aller Zeiten – so empfinde ich es mittlerweile.

Wie gerne würde ich anderen Betroffenen all das sagen, doch wer würde mir glauben? Vor ein paar Jahren hätte ich mir selbst nicht geglaubt, ebenso wenig wie ich jenen glaubte, die mir ähnliche Worte immer und immer wieder vor die Nase hielten.

Ich wollte nicht glauben.

Ich wollte Recht behalten. Mir war Unrecht geschehen und ich hatte ein Recht darauf, darunter zu leiden.

Ich wollte leiden.

Auf den Punkt gebracht: Ich stand mir selbst im Weg, …

… bis ich mir die Frage stellte: Lieben oder Leiden?

Auf den Punkt gebracht: Ich entschied mich zu lieben!

Bild: pixabay.com

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